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Hans Küng und der mutige Benziger Verlag

Hans Küng und der mutige Benziger Verlag Hans Küng und der mutige Benziger Verlag

Der am Dienstag im Alter von 93 Jahren verstorbene Schweizer Theologe bringt es im Katalog des Benziger Verlags auf nicht weniger als 172 Einträge. Seit Mitte der 60er-Jahre war er Herausgeber oder Mitherausgeber von drei Zeitschriften. Und 1970 provozierte er die Kirche mit dem Buch «Unfehlbar? Eine Anfrage».

WALTER KÄLIN

Der in Sursee geborene Küng wurde 1954 zum Priester geweiht und machte sich als Professor an der Universität Tübingen einen Namen. Er schrieb zahlreiche Bücher, in denen er sich nicht nur mit Gott und dem Christsein auseinandersetzte, sondern auch mit der Kirche. Oder ganz gezielt mit dem Papsttum.

«Jenes seltsame Dogma der Unbefleckten Empfängnis» Den Ausgangspunkt für «Unfehlbar? Eine Anfrage» beschreibt Küng in seiner «Kleinen Geschichte der katholischen Kirche » so: «1870 verkündet Pius IX. gegen zahlreiche Proteste das Dogma der Unfehlbarkeit bei seinen eigenen feierlichen lehramtlichen Entscheidungen. Diese feierlichen (‹ex cathedra›) Entscheide sind aufgrund eines besonderen Beistands des Heiligen Geistes unfehlbar und aus sich selber, nicht aber kraft der Zustimmung der Kirche, unabänderlich. » Schon 1854, im gleichen Jahrzehnt, in dem Charles Darwin seine Evolutionstheorie veröffentlichte, habe Pius IX. «jenes seltsame Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens» verkündet, «worüber man in der Bibel und in der katholischen Tradition des ersten Jahrtausends kein Wort findet und das im Lichte der Evolutionstheorie auch kaum einen Sinn hat».

Als berühmtes Beispiel für ein Dogma auf dem Hintergrund der Unfehlbarkeit erwähnt Küng dann Papst Pius XII., der 1950 die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel verkündet hat. Das Fass zum Überlaufen bringt bei ihm aber die Enzyklika «Humanae vitae» von Papst Paul VI., «die nicht nur Pille und mechanische Mittel, sondern auch die Unterbrechung des Geschlechtsverkehrs zur Empfängnisverhütung als schwere Sünde verbieten will». Diese Enzyklika ist für Hans Küng der Anlass, 1970 das Buch «Unfehlbar? Eine Anfrage » zu schreiben.

Im Vorwort dazu beruft er sich auf das Konzil: «Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollte Erneuerung der katholischen Kirche ist ins Stocken geraten. Dies ist fünf Jahre nach Abschluss des Vatikanum II nicht mehr zu übersehen. Und es wäre unklug und schädlich, es in Kirche und Theologie zu verschweigen. Vielmehr dürfte nach langen nachkonziliaren Jahren des geduldigen, aber vergeblichen Wartens heute eine offenere und deutlichere Sprache angebracht sein, damit der Ernst der Lage sichtbar wird und die Verantwortlichen vielleicht aufhorchen. » Kein anderes Buch habe er in einem so rasanten Tempo verfasst wie «Unfehlbar? Eine Anfrage », rühmt sich der Theologe 2007 in seinen Erinnerungen unter dem Titel «Umstrittene Wahrheit »: «Am 16. Mai 1970, unmittelbar vor Pfingsten, ist das Manuskript fertig. Pünktlich zum 100. Jahrestag der Unfehlbarkeitsdefinition des Ersten Vatikanischen Konzils am 18. Juli 1970 wird es vom katholischen Benziger Verlag auf den Markt gebracht und entwickelt sich sofort zum Bestseller. Buchstäblich einschlägig mein Titel: ‹Unfehlbar?› Wichtig aber auch der Untertitel, oft nicht mitbedacht: ‹Eine Anfrage›. Dieser Terminus der Parlamentssprache (Interpellation) besagt ein Auskunftsersuchen an die Regierung. Das ist ehrlich gemeint: Ich will nicht eine feststehende, indiskutable dogmatische These präsentieren. Wohl aber will ich in Kirche und Gesellschaft eine ernsthafte Diskussion anstossen und die Kirchenleitung offen zu einer theologisch überzeugenden Antwort herausfordern.» Dass dieses aufmüpfige Buch bei Benziger herauskam, ist einem Einsiedler zu verdanken, der damals den theologischen Bereich des Verlags leitete und so bedeutende Theologen wie Hans Urs von Balthasar, Magnus Löhrer (Kloster Einsiedeln), Karl Rahner, Herbert Haag oder Hans Küng verlegte.

Noch Jahrzehnte später schwärmt der Autor von seinem Verleger und der Aufmachung des Buches: «Auffällig gestaltet der Umschlag, eine Idee meines Schweizer Verlegers Dr. Oscar Bettschart, Chef des Benziger Verlags, eines tapferen konziliar denkenden Katholiken: auf schwarz glänzendem Grund oben gross in weiss das Wort ‹Unfehlbar› und unten klein mein Name, dazwischen mehr als viermal so gross wie ‹Unfehlbar› ein riesiges poppiges Fragezeichen in Pink. Dass dieses Fragezeichen schon überdeutlich sagt, worum es geht, liegt nicht an mir, sondern an der Problematik, die in der Luft liegt.» Das Buch löst eine riesige Diskussion aus, die Küng in seinen Erinnerungen genau dokumentiert. Er hatte gehofft, damit etwas zu einer konstruktiven Entwicklung innerhalb der Kirche und einer breiteren Akzeptanz beitragen zu können. Das Werk kommt in immer wieder neuen Auflagen heraus. 20 Jahre später zum Beispiel als Taschenbuch mit einem abgeänderten Untertitel: «Unfehlbar? Eine unerledigte Anfrage».

Die Anfrage war allerdings schon kurz nach der ersten Publikation unerledigt, die Interpellation blieb unbeantwortet, Küng hatte offensichtlich zu viel erwartet: «Ob man also in Rom und im Episkopat, denke ich 1970, nach anfänglichem begreiflichem Schock angesichts eines so gut dokumentierten Buches nicht einsehen wird, wie viel die katholische Kirche an Glaubwürdigkeit gewänne, wenn sie ehrlich zu ihren Irrtümern stehen und sie korrigieren würde? Und da nun die Enzyklika ‹Humanae vitae› selbst innerhalb der katholischen Kirche grösstenteils abgelehnt wird und unwiderlegbar gezeigt hat, in welche Schwierigkeiten sich eine ‹unfehlbare› und daher korrekturunfähige Kirche bringt, könnte man doch eine selbstkritische Besinnung erwarten.» Eine selbstkritische Besinnung ist in Rom aber nicht vorgesehen. Stattdessen verkündet im August 1971, ein Jahr nach der Publikation des Buches, der Osservatore Romano: «Untersuchung gegen Küng eingeleitet.» Der Schweizer Theologe stand schon seit den 50er-Jahren unter verschärfter Beobachtung der Glaubenskongregation. Die Verfahren, die in den 70er-Jahren gegen ihn liefen, wurden aber eingestellt. Oder anders gesagt: Rom beschränkte sich auf Rügen und Erklärungen gegen sogenannte Irrtümer. Gerügt und kritisiert wird Küng auch von Theologen, die sich zum Teil von ihm distanzieren, wie überraschenderweise auch Karl Rahner. Dieser gibt 1971 ein Buch heraus mit dem Titel «Zum Problem Unfehlbarkeit. Antworten auf die Anfrage von Hans Küng».

Küng kontert zwei Jahre später mit einem Folgeband zu «Unfehlbar? »: «Im Januar 1973 erscheint schliesslich, wieder im mutigen Benziger Verlag, das imposante Opus unter dem Titel: ‹Fehlbar? Eine Bilanz›. 525 Seiten umfasst es, 16 Beiträge hochqualifizierter Fachgelehrter zur biblischen, historischen, gesellschaftlichen und theologischen Problematik, davon auf rund 190 Seiten meine persönliche Bilanz, die auf alle wichtigen und auch auf weniger wichtige Fragen der Auseinandersetzung genauestens eingeht.» Der Konflikt der Kirche mit Hans Küng schwelt weiter, und 1979 schlägt die Deutsche Bischofskonferenz zu: Sie entzieht ihm die kirchliche Lehrerlaubnis, die missio canonica. Küng sieht das als Reaktion auf seine Kritik am Dogma der Unfehlbarkeit. Im dritten Band seiner Erinnerungen «Erlebte Menschlichkeit » denkt er 2013 an diese Zeit zurück: «Der Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis unmittelbar vor dem Weihnachtsfest 1979 war für mich eine zutiefst deprimierende Erfahrung. Doch bedeutete sie zugleich den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Ich konnte eine ganze Reihe neuer Themen in den Blick nehmen, die nicht nur die Kirche, sondern die Menschheit bewegen: Frau und Christentum, Theologie und Literatur, Religion und Musik, Religion und Naturwissenschaft, den Dialog der Religionen und Kulturen, den Beitrag der Religionen für den Weltfrieden und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Menschheits- oder Weltethos.» Trotz der «zutiefst deprimierenden Erfahrung» zieht Hans Küng im Rückblick eine positive Bilanz. An den Anfang des Buches setzt er diese Erinnerung: «Das Leben geht weiter – aber wie!? So hatte ich mich vor drei Jahrzehnten nach den dunkelsten Wochen meines Lebens selber gefragt. Und kann es heute in einem Wort sagen: besser als damals vorauszusehen!»

1970 provozierte Hans Küng die Kirche mit dem Buch «Unfehlbar? Eine Anfrage» – herausgegeben im Benziger Verlag Einsiedeln. Am Dienstag nach Ostern, 6. April, ist der Schweizer Theologe im Alter von 93 Jahren gestorben.

Foto: zvg

«Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollte Erneuerung der katholischen Kirche ist ins Stocken geraten.» «Wohl aber will ich die Kirchenleitung offen zu einer theologisch überzeugenden Antwort herausfordern.» «Wie viel die katholische Kirche an Glaubwürdigkeit gewänne, wenn sie ehrlich zu ihren Irrtümern stehen und sie korrigieren würde.» «Der Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis unmittelbar vor dem Weihnachtsfest 1979 war für mich eine zutiefst deprimierende Erfahrung.»

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