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«Alles wirkliche Leben ist Begegnung»

«Alles wirkliche Leben  ist Begegnung» «Alles wirkliche Leben  ist Begegnung»

Nach elf Jahren als Leiter der Propstei St. Gerold ist Pater Kolumban Reichlin in die Klostergemeinschaft in Einsiedeln zurückgekehrt. Pater Kolumban engagiert sich im Aufbau des Instituts im Reusshaus und in der Pfarrei- und City-Seelsorge in Luzern.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie sind Sie in der Klostergemeinschaft Einsiedeln angekommen, nachdem Sie während über zehn Jahren Propst in St. Gerold gewesen sind? Ich bin von den Mitbrüdern herzlich empfangen worden und habe mich rasch wieder zurechtgefunden, auch wenn sich gegenüber früheren Jahren das eine und andere – auch coronabedingt – verändert hat.

Können Sie Ihre Tätigkeit umschreiben, die Sie beim Aufbau des Instituts im Reusshaus in Angriff nehmen? Vorerst geht es um das Erledigen von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um Vertragsabschlüsse mit Dozierenden und Praxisgemeinden oder Assessments von Interessierten und so weiter, damit wir im Herbst mit dem ersten Ausbildungslehrgang starten können. Mit Beginn des Studienjahres werde ich zusätzlich für das liturgische Leben und das Team der geistlichen Begleitung der Studierenden verantwortlich sein. Wie ist es zur Gründung des in Luzern beheimateten Instituts gekommen? Das Institut im Reusshaus hat sein Vorbild im St. Mellitus College in London, das im Jahr 2007 gegründet worden ist und mittlerweile zu den bedeutendsten theologischen Ausbildungsstätten der anglikanischen Kirche gehört. Eine Handvoll engagierter Kirchenfrauen und -Männer der Schweiz, unter anderen Abt Urban, die reformierte Pfarrerin Sabine Brändlin und Ruedi Beck, der Pfarrer der Hofkirche Luzern, haben sich anlässlich eines Besuchs im St. Mellitus College im Jahr 2019 inspirieren lassen und sich dazu entschlossen, eine ähnliche Ausbildungsstätte in der Deutschschweiz zu realisieren.

Auf welches Zielpublikum richtet sich das Institut mit seinen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten aus? Wir möchten Menschen mit Berufsabschluss oder Matura ansprechen, die die Schöpfung und das Leben lieben, die Interesse verspüren, sich bewusster in dieses Geheimnis hinter der Schöpfung, das wir Gott nennen, zu vertiefen und die diesen Glauben auf engagierte und zeitgemässe Art und Weise mit den suchenden und fragenden Menschen von heute zu leben und zu teilen bereit sind. Welche Berufsperspektiven hat eine Person nach Abschluss der Ausbildung am Institut im Reusshaus? Wir bilden Menschen für eine neue, innovative Berufstätigkeit in der evangelisch-reformierten und römisch-katholischen Kirche aus. Der Lehrgang befähigt, den christlichen Glauben biblisch fundiert, lebensnah und in Konfrontation mit den Fragen und Herausforderungen unserer Zeit zu vermitteln. Es geht darum, die Menschen auf ihrer Sinnund Gottsuche wertschätzend zu begleiten, in bestehenden Pfarreien und darüber hinaus geistliche Gemeinschaften zu stärken, kirchliche Projekte zu initiieren und dadurch vielfältige, auch unkonventionelle Formen kirchlicher Gemeinschaft zu gründen. Worin unterscheidet sich dieser Lehrgang von bisherigen theologischen Ausbildungsmöglichkeiten?

Zum einen versteht sich das Institut im Reusshaus als geistliche Weggemeinschaft. Es soll ein Ort sein, an dem Menschen ihre persönliche Beziehung zu Christus vertiefen. Zum andern ist die Interdisziplinarität eine Besonderheit dieses dreijährigen Lehrgangs. Das Theologiestudium wird ergänzt und bereichert durch aktuelle Erkenntnisse aus den Humanwissenschaften wie Soziologie, Persönlichkeitsentwicklung, Psychologie und Pädagogik, aber auch durch Kommunikation, Leadership, Betriebswissenschaft und Management. Besonders inspirierend ist es, dass die Ausbildung zugleich für die evangelisch-reformierte und römisch-katholische Kirche angeboten wird. Welchen Stellenwert hat die Ökumene im Institut im Reusshaus?

Das Reusshaus ist ein bewusst ökumenisches Ausbildungsinstitut. Christliche Glaubensgemeinschaften müssen am selben Strick ziehen, wenn sie heute auf die Gesellschaft glaubwürdig wirken wollen. Gemeinsames Fundament bilden die heilige Schrift und der Glaube an den dreieinen Gott sowie die Pluralismusfähigkeit, auch mit Blick auf den interreligösen Dialog. Es gibt kein fruchtbares Miteinander ohne Respekt vor unterschiedlichen theologischen Ausrichtungen und geistlichen Beheimatungen. Gemeindebildung steht im Fokus des Instituts: Wie würden Sie den Wert von Gemeinschaften in unserer Gesellschaft umschreiben?

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber meinte einmal: «Alles wirkliche Leben ist Begegnung. » Wir Menschen sind soziale Wesen und nicht für das Alleinsein geschaffen. Nur im Miteinander können wir das Potenzial unserer individuellen Persönlichkeit und unserer menschlich- gesellschaftlichen Berufung wirklich zur Entfaltung bringen und ausschöpfen. Eine Gesellschaft ohne dynamische Gemeinschaften erlebt eine ärmere Gegenwart und Zukunft. Was bedeuten Ihnen der Glaube und Ihre priesterliche Berufung persönlich? Die Menschheit ist ein faszinierendes Projekt Gottes im Prozess. In kleinen Schritten werden wir uns unserer besonderen Bestimmung, der gegenseitigen Abhängigkeit sowie der Notwendigkeit und des Reichtums des Miteinanders und Füreinanders bewusster. Diener und Geburtshelfer dieses Bewusstseinsprozesses mittels Verkündigung zu sein, erfüllt mein Leben mit Sinn und Freude. Übernehmen Sie nebst dem Institut weitere neue Aufgaben innerhalb der Klostergemeinschaft in Einsiedeln? Da ich auch im Institut in Luzern wohnen und dort in der Pfarreiund City-Seelsorge noch etwas engagiert sein werde, sind vorerst keine Aufgaben in der Klostergemeinschaft vorgesehen.

Informationen sind zu finden unter https://institut-reusshaus.ch.

Pater Kolumban Reichlin ist nach seiner Rückkehr nach Einsiedeln von den Mitbrüdern herzlich empfangen worden und hat sich rasch wieder in der Klostergemeinschaft zurechtgefunden.

Foto: zvg

«Wir Menschen sind soziale Wesen und nicht für das Alleinsein geschaffen.»

Pater Kolumban Reichlin

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