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«Parteien haben noch immer nicht gelernt, Frauen als Potenzial zu sehen»

«Parteien haben noch immer nicht gelernt, Frauen als Potenzial zu sehen» «Parteien haben noch immer nicht gelernt, Frauen als Potenzial zu sehen»

Mona Birchler, die Präsidentin des Frauennetzes Schwyz, gibt ihr Amt an der GV vom 17. April ab. Ihr Engagement für Frauenfragen bleibt.

SILVIA CAMENZIND

Das Frauennetz Kanton Schwyz gibt es seit zwanzig Jahren. Was hat es bisher erreicht? Der Verein ging 2001 aus der kantonalen Gleichstellungskommission hervor. Er wurde gegründet mit dem Ziel, sich für Frauenförderung und politische Gleichstellung starkzumachen. Dieser Prozess dauert an. Heute fokussieren wir als Verein uns im Wesentlichen immer noch auf das, was auch unseren Vorkämpferinnen wichtig war: Frauen zu vernetzen, sie sichtbar zu machen und ihnen eine Bühne zu geben.

Warum ist Vernetzung für Frauen wichtig?

Wer in die Politik einsteigen oder politisch weiterkommen will, braucht persönliche Kontakte. Das Gleiche gilt ja auch für die Arbeitswelt. Frauen sind oft gut vernetzt in sozialen Bereichen und im familiären Umfeld. Wenn es aber darum geht, dass sie sich in der Politik oder im Berufsleben etablieren, fehlt ihnen ein entsprechendes Netzwerk. Für Männer ist es selbstverständlich, Kontakte für eigene Interessen zu nutzen. Warum tun sich Frauen damit schwer? Ich glaube, Frauen wissen oft nicht so genau, wie erfolgreiches Netzwerken funktioniert. Es braucht strategische Überlegungen: Was ist genau mein Ziel? Wo will ich reinkommen? Wer kann mir dabei helfen? Ausserdem fehlt bei vielen Frauen die Einsicht, dass die Kontaktpflege ein Engagement ist, das ich nicht erst starten kann, wenn ich Kontakte brauche. Zusätzlich erschwert die Familienarbeit, die im Kanton Schwyz nach wie vor hauptsächlich von den Müttern geleistet wird, das Netzwerken. Mütter verkehren in dieser Phase oft nur unter ihresgleichen. Diese Netzwerke sind für einen Wiedereinstieg in die Berufswelt oft nicht zielführend. Wie schwierig ist die Vernetzung gerade in der Pandemie? Sie macht es bestimmt nicht einfacher. Es ist gut, wenn ich auf bereits funktionierende Netzwerke zurückgreifen kann. Wir kompensieren unseren Frauen-Bier-Anlass mittels Onlinetreffen. Dieses Angebot wird gut genutzt. Aber es hat auch gezeigt, dass nicht alle Frauen fit in digitalen Belangen sind und Berührungsängste haben. Gerade diese Pandemie zeigt uns, wie schnell es gehen kann und dass digitale Fertigkeiten gefragt sind. Wir ermuntern Frauen, sich auch auf diesem Gebiet weiterzubilden und dranzubleiben.

Im Kanton Schwyz sitzen lediglich zehn Frauen im Parlament und eine in der Regierung. Warum ist das politische Pflaster im Kanton so hart? Es hat sich erstaunlich wenig geändert. Eine Studie, die das Frauennetz 2004 zur Situation im Kanton Schwyz in Auftrag gab, brachte zwei Erkenntnisse zutage: die mangelnde Bildung der Frauen und das Schwyzer Wahlsystem. Beides hat sich verändert. Frauen sind heute ebenso gut ausgebildet wie Männer. Sie bringen die Kompetenz für ein politisches Amt mit und überlassen auch das Wählen nicht mehr den Männern. Mit der Einführung des doppelten Pukelsheim im Jahr 2015 wurde dann auch das Wahlgesetz zugunsten der Frauen leicht geändert. Trotzdem: Weshalb sind die Frauen immer noch stark untervertreten?

Das erkläre ich mir einerseits mit der schlechten Vereinbarkeit von Familie, Beruf und politischem Amt. Andererseits haben die politischen Parteien im Kanton Schwyz noch immer nicht gelernt, Frauen als grosses Potenzial zu sehen und sich nach den Bedürfnissen von Frauen auszurichten. Birgitta Michel Thenen monierte das übrigens schon vor zwanzig Jahren als damalige Präsidentin der Gleichstellungskommission. Und der dritte Grund für die Untervertretung der Frauen in politischen Gremien sind ihre schlechteren Wahlchancen. Es werden immer noch deutlich weniger Frauen portiert, und auf den Wahllisten sind sie immer noch viel zu selten auf dem ersten Listenplatz zu finden.

Wie müsste sich ein Umfeld präsentieren, in dem Frauen mit Freude ein Engagement auf Gemeinde-, Bezirks- und Kantonsebene anpacken würden? Es braucht mehr Frauen als Vorbilder. Amtierende Politikerinnen, die ihre Erfahrungen zum Beispiel im Rahmen eines Mentoring- Programms an Neueinsteigerinnen weitergeben. Auf Fortschritte folgen immer wieder Rückschläge. Haben Sie die Geduld nie verloren? Oh doch! Fragen Sie meinen Mann (lacht). Ich bin wahnsinnig ungeduldig. Mein Vorstandsteam hat Rückschläge mitgetragen. Gemeinsam konnten wir diskutieren und den Frust auch mal bei einem Glas Bier wegspülen. Ich bewundere alle, die sich für unpopuläre Überzeugungen einsetzen und dabei auch Hass, vor allem in den sozialen Medien, erfahren. Und ich ziehe vor unseren Politikerinnen und Politikern den Hut. Sie machen einen extrem anspruchsvollen Job, der ganz viel Geduld braucht. Wie steht es aktuell mit der Zusammenarbeit mit der Gleichstellungskommission? Wo liegen die Schwierigkeiten? Als Unternehmerin musste ich lernen, dass politische Gremien wie die Gleichstellungskommission anders funktionieren. Mein Wunsch war und bleibt, auch im Kanton Schwyz eine Gleichstellungsbeauftragte zu haben. Aber dieser Entscheid liegt nicht bei uns. Als unabhängiger Verein unterstützen wir die Arbeit der Kommission. Wir treffen uns neu zweimal jährlich zum Gedankenaustausch und zur Koordination von Aktivitäten. Eine gemeinsame Sache ist ein Buchprojekt, welches im Jahr 2022 zum 50-Jahr-Jubiläum des kantonalen Frauenstimmrechts erscheinen wird. Darauf freue ich mich sehr.

Ein Bundesgerichtsurteil kommt zum Schluss, dass geschiedene Frauen mehr für den eigenen Lebensunterhalt sorgen sollen. Bisher galt die 45er-Regel. Über 45-jährigen Frauen wurde der Einstieg in die Frauenarbeit nicht mehr zugemutet. Neu werden diese Frauen nach einer Scheidung deutlich stärker in die Pflicht genommen und müssen auch Arbeit suchen. Wie beurteilen Sie die Gleichstellungspolitik des Bundesgerichtes?

Ich denke, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Frauen darf zugemutet werden, sich nach einer Scheidung um ihren Lebensunterhalt zu kümmern, wenn die Kinder schon älter sind. Ich hoffe, dass Frauen sich deshalb bereits während der Mutterzeit um berufliche Weiterbildung kümmern. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass damit traditionelle Rollenmuster hinterfragt werden müssen. Solche sind bei uns gelebter Standard. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist zurzeit weder von der Politik noch von der Wirtschaft gewährleistet. Die Schweizer Politik privatisiert diese Anliegen. Fakt ist: Viele Frauen ziehen sich nach der Familiengründung aus dem Erwerbsleben zurück. Deshalb bin ich etwas ambivalent. Dass wir Einsiedlerinnen und Einsiedler kürzlich familienergänzende Betreuungsangebote an der Urne zum zweiten Mal bachab geschickt haben, zeigt, dass die Zeit anscheinend noch nicht reif ist. Zeigt sich da auch ein Generationenkonflikt? Sind für junge Frauen Abhängigkeiten kein Thema mehr? Aus Gesprächen mit jungen Frauen weiss ich, dass sie denken, gleichgestellt zu sein. Sie können grundsätzlich jeden Beruf lernen und haben auch sonst viele Freiheiten, die frühere Generationen vermissten. Wenn dann Kinder kommen, merken sie, dass dem nicht so ist und sie sich erklären müssen, wenn sie rauswollen aus dem, was als normal angesehen wird. Wie sieht denn für Sie eine ideale Gesellschaft aus? Schwierige Frage. Für mich wäre es eine, die Raum lässt für Denkräume, die Respekt hat für Andersdenkende, die sich eine kindliche Neugier bewahrt und die sich bewusst ist, dass wir nicht der Nabel der Welt sind. Und dass wir unsere Andersartigkeiten als Bereicherung schätzen; ob Frau oder Mann, Kind oder Queer, als Mensch, der anders tickt und aussieht als ich. John Lennon hat das wunderbar gesungen im Jahrhundertsong «Imagine». Ideal wäre, dass wir uns immer wieder fragen: Was wollen wir unseren Kindern für eine Welt hinterlassen? Sie haben Ihren Rücktritt bereits angekündigt. Ist es nun zum 20-Jahr-Jubiläum so weit? Genau, an der GV trete ich zurück. Diese findet im Kreise des Vorstandes statt, die Mitglieder stimmen schriftlich ab. An der Jubiläumsfeier im Oktober werden wir hoffentlich alles, was es zu feiern gibt, nachholen können. Meine Nachfolgerin ist ab 2022 gefunden, das Zwischenjahr wird von Claudia Hiestand und Diana de Feminis in einem Vize-Co-Präsidium geleitet. Was war das Highlight Ihrer Tätigkeit als Präsidentin? Da war so viel. Berührend waren die persönlichen Briefe von Frauen. Unvergessen bleibt mir, als ich als neu gewählte Präsidentin den Vorstand personell neu besetzen musste. Ich fragte Freundinnen und Bekannte, die spontan zusagten, ohne zu wissen, was genau auf sie zukommt. Diese Solidarität zu erleben, war toll. Gefreut hat mich, dass die Medien immer wieder über unsere Tätigkeiten berichteten. Es ist wichtig, dass über diese Themen geschrieben und geredet wird, egal, welche Meinung vorherrscht. Hier haben wir offene Türen eingerannt. Dass ich als abtretende Präsidentin einen breit aufgestellten, aktiven Vorstand zurücklassen darf, ist auch ein Highlight und macht es leichter loszulassen. Engagieren Sie sich weiterhin für Frauenfragen? Das werde ich. Ich freue mich, dem Verein weiterhin als aktives Mitglied anzugehören. Frauenfragen, also Fragen, wie wir als Gemeinschaft miteinander umgehen, interessieren mich nach wie vor. Ich werde die weitere Entwicklung mit Interesse verfolgen.

Die Einsiedler Mona Birchler gibt ihr Amt als Präsidentin des Frauennetzes Schwyz ab.

Foto: Archiv EA

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