«Seit Januar sind mehr als eine Million neue Nutzer zu Threema gestossen»
Der Einsiedler Silvan Engeler ist Mitgründer der Chat-App Threema, welche über 9 Millionen Nutzer hat. Der Informatiker erklärt, wozu Whats-App unsere Daten sammelt und warum Threema unsere Privatsphäre schützt.
LUKAS SCHUMACHER
Anfang Jahr war bei vielen WhatsApp-Nutzern die Aufregung und Verunsicherung gross, als auf dem Smartphone folgende Nachricht zu lesen war: «WhatsApp aktualisiert seine Nutzungsbedingungen und seine Datenschutzrichtlinien». Bis zum 8. Februar 2021 sollten Nutzer ursprünglich zustimmen, um die App weiter nutzen zu können. Wer das nicht wollte, dem blieb nur eines: deinstallieren. Nach heftiger Gegenwehr verschob das Unternehmen die Deadline auf den 15. Mai. Seit letzter Woche erscheint der Aufruf zum Akzeptieren der Bedingungen wieder in der App.
Doch was soll sich eigentlich ändern? Für Nutzer in der europäischen Region, zu der auch die Schweiz gehört, sollte sich nicht viel ändern, da hier strengere Datenschutzgesetze gelten als zum Beispiel in den USA. Ausserhalb der EU fliessen Whats-App-Nutzerdaten an Facebook zu Werbezwecken oder zur Verbesserung ihrer Produkte. Ob Facebook, der WhatsApp gehört, nicht trotzdem Daten für eigene Zwecke nutzt, weiss man nicht – Grund zum Zweifeln gibt es, da das Unternehmen schon mehrmals in Skandale dieser Art verwickelt war. Welche Daten WhatsApp bereits von uns sammelt, sehen Sie im Kasten.
Die Alternative mit Einsiedler Wurzeln Der Einsiedler Silvan Engeler hat 2012 zusammen mit Manuel Kasper und Martin Blatter die App Threema entwickelt. Es sollte eine Chat-App werden, die sie selbst mit gutem Gewissen nutzen können, ohne sich kommerziellen Datensammlern und staatlicher Überwachungswillkür aussetzen zu müssen. Silvan Engeler erklärt im Interview, was es mit der Datensammlerei bekannter Apps wie WhatsApp und Facebook auf sich hat und weshalb Threema auf das Sammeln unserer Daten gänzlich verzichtet.
Silvan Engeler, stimmt es, dass aufgrund der strengeren Datenschutzregeln, welche in Europa gelten, Facebook nicht berechtigt ist, unsere WhatsApp-Daten für eigene Zwecke zu nutzen? Es besteht grundsätzlich ein Interessenkonflikt. WhatsApp wurde für mehrere Milliarden Dollar von Facebook gekauft, und das Geld muss irgendwie wieder eingespielt werden. Die Nutzerdaten spielen dabei, in welcher Form auch immer, eine zentrale Rolle, denn bekanntlich ist WhatsApp kostenlos und irgendwie möchte Facebook Geld verdienen.
Wenn ich auf meinem Smartphone Facebook oder Instagram installiert habe, gebe ich dann meine Daten nicht sowieso schon preis? Eine Chat-App deckt einen anderen Fall ab als Instagram. Mit der Chat-App kommuniziere ich mit dem engeren Umfeld. Bei Instagram folge ich gewissen Interessen. Wenn man diese zwei Informationsquellen miteinander verknüpft, erhält man ein umfassendes Bild einer Person. Jeder muss für sich selbst entscheiden: Möchte ich, dass ein Konzern all diese Daten über mich besitzt und ohne klar ersichtliche Vorgaben verwendet? Aber auch wenn man auf Instagram bleiben will, macht es durchaus Sinn, beim Messenger eine Alternative zu nutzen, denn der Messenger deckt das privatere Beziehungsnetz ab, welches besonders schützenswert und darum für Facebook wohl besonders interessant ist. Für einige war dies der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte und wechselten den Dienst. Haben Sie bei Threema in diesem Zeitpunkt einen aussergewöhnlichen Zuwachs von Usern registriert? Wir freuen uns, dass das Thema Privatsphäre und Datenschutz wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Seit Jahren spüren wir einen Zuwachs von Nutzern, die sich von den grossen Platzhirschen abwenden und sich nach einer datenschutzfreundlichen Lösung umsehen. Der Trend wird nun durch die aktuelle Kontroverse beschleunigt, und wir denken, dass es einen nachhaltigen Einfluss auf unsere Nutzerzahlen haben wird.
Seit Januar sind mehr als eine Million neue Nutzer zu Threema gestossen. Benutzen Sie selber eigentlich auch WhatsApp?
Natürlich nicht!
Als Sie persönlich das erste Mal von den neuen Nutzungsbedingungen erfuhren. Was haben Sie gemacht?
Ich habe unserem Support-Team geholfen, die zahlreichen Anfragen zu bewältigen (lacht).
Bei WhatsApp bezahlen wir mit der Freigabe unserer Daten. Für Threema bezahle ich einmalig drei Franken als Privatkunde. Einmalig drei Franken – das ist ja fast geschenkt – rechnet sich das für Sie, wenn jemand den Dienst bereits mehrere Jahre nutzt? Das ist korrekt, Threema ist günstig. Trotzdem können wir die Kosten für die Weiterentwicklung und Betrieb von Threema decken. Unsere Firma ist seit Gründung profitabel. Wir zählen mehr als neun Millionen Nutzer, und es kommen tagtäglich neuehinzu. Zusätzlich zu diesen Einnahmen generieren wir substanziellen Umsatz mit unserer Business- App «Threema Work». Firmenkunden haben andere Anforderungen als Privatnutzer und sind auch bereit, dafür wiederkehrend Geld auszugeben. Threema setzte von Anfang an auf eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aller Nachrichten, sodass die Inhalte der Nachrichten, welche auf einem Server zwischengespeichert werden, vom Anbieter nicht gelesen werden können. WhatsApp führte diese Funktion ein paar Jahre nach Threema, im Jahr 2016 ein. Was macht Threema aktuell anders als WhatsApp im Umgang mit unseren Nachrichten? Verschlüsselung ist wichtig, aber der Teufel liegt im Detail. Im Umgang mit Metadaten unterscheidet sich Threema wesentlich von anderen Messenger-Diensten. Metadaten sind diejenigen Informationen, welche bei Konversationen neben den eigentlichen Nachrichteninhalten anfallen: Wer hat mit wem kommuniziert, wer ist mit wem in welchen Gruppen, wer schreibt wie viele Nachrichten um welche Zeit et cetera. Diese Daten sind für datengetriebene Dienste von höchstem Interesse. Damit lässt sich Geld verdienen. Threema sammelt solche Informationen nicht, sondern das Vermeiden von Metadaten ist Kernbestandteil des Produkts. Darum sind bei Threema im Gegensatz zu WhatsApp keine personenbezogenen Daten wie die Telefonnummer für die Nutzung des Dienstes notwendig. Zudem ist Threema Open Source und WhatsApp nicht. Klassen-Chats auf WhatsApp sind aufgrund des Mindestalters von 16 Jahren nicht zulässig. Sind solche Chats mit Threema möglich? Wenn ja, warum? Ja, bei Threema sind solche Chats möglich, da die Nutzung ohne Angabe personenbezogener Daten wie Handynummer möglich ist.
Wie ist es überhaupt möglich, dass eine App weltweiten Erfolg hat?
Dafür gibt es leider kein Standardrezept. Die Welt der Apps ist hochdynamisch, und das Kaufverhalten der Nutzer lässt sich nur schwer beeinflussen. Wichtig ist, dass das Produkt solide ist und zu überzeugen vermag. Das ist uns mit Threema von Anfang an gelungen. Zudem war Threema eine der ersten Chat-Apps mit Fokus auf Sicherheit und Privatsphäre; einer der ersten zu sein, schadet bekanntlich nie.
Glauben Sie, dass es möglich ist, dass irgendein anderer Messenger-Dienst WhatsApp die Krone abnimmt? Es kommt darauf an, welche Krone gemeint ist. Wenn es um die Datensammel-Krone geht, so gibt es sicherlich einige Kandidaten.
Wie viel Speicherkapazität benötigen die Server von Threema?
Da wir keine Nachrichten und Metadaten speichern, sind die benötigten Serverkapazitäten bei Threema relativ gering. Nachrichten bleiben nur so lange auf dem Server gespeichert, bis sie zugestellt wurden.
Hat die Coronapandemie Auswirkungen auf Ihr Unternehmen?
Durch die Pandemie wurde die Digitalisierung, gerade bei Unternehmen und in Schulen, immens beschleunigt. Das hat dazu geführt, dass wir sehr viele Neukunden bei Threema Work und Threema Education dazugewonnen haben. Für uns als Unternehmen hat es die Konsequenz, dass alle Mitarbeiter seit längerer Zeit im Home Office arbeiten.
Wie haben Sie bei der Entstehung von Threema mitgewirkt? Und worin bestehen Ihre Aufgaben heute?
Ich bin einer der Mitgründer der Threema GmbH. Ursprünglich war ich für die Entwicklung der Android-App zuständig. Heute verantworte ich als Head of Software Engineering die Entwicklung der Business-Lösungen Threema Work, Threema Broadcast und Threema Gateway.
Wie viele Mitarbeiter hat Threema?
Zurzeit sind rund 30 Personen bei Threema beschäftigt. Unser Büro befindet sich in Pfäffikon SZ. Von der Softwareentwicklung bis hin zum Kundensupport erfolgt alles inhouse. Welches sind die wichtigsten Aufgaben im Alltag von Threema?
Die Weiterentwicklung einer App ist ein laufender und sehr aufwendiger Prozess, der nie abgeschlossen ist. Konstant werden neue Funktionen hinzugefügt oder das Design verbessert. Doch auch im Hintergrund muss immer wieder vieles angepasst werden, damit eine Chat-App wie Threema reibungslos funktioniert. Neben der Softwareentwicklung nimmt der Kundensupport sowie Kommunikation und Marketing einiges an Ressourcen ein. Können Sie in einfachen Worten erklären, wie eine Ende-zu-Ende- Verschlüsselung funktioniert?
Ich versuche es: Die Threema- Nutzer Hans-Ruedi und Vreni besitzen jeweils zwei Schlüssel, einen privaten und einen öffentlichen. Den privaten Schlüssel kennt nur der jeweilige Besitzer, den öffentlichen jedoch kennen alle Teilnehmer. Schreibt nun Hans-Ruedi an Vreni eine Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachricht, so verschlüsselt er diese Nachricht mit dem öffentlichen Schlüssel von Vreni. Diese Nachricht kann nur mit dem privaten Schlüssel von Vreni entschlüsselt werden. Somit hat niemand ausser Vreni die Möglichkeit, diese Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachricht zu lesen.
Ihr Schlusswort …
Oft höre ich den Satz «Ich habe ja nichts zu verbergen». Das mag ja sein, heisst aber nicht, dass man unbedacht seine Privatsphäre preisgeben sollte.
Der Einsiedler Silvan Engeler ist Mitgründer der Chat-App Threema, welche besonders hohen Wert auf Privatsphäre legt. Im Gegensatz zu WhatsApp werden keinerlei Daten über den Nutzer gespeichert und für eigene Zwecke genutzt.
Foto: zvg
«Das Geld muss Facebook irgendwie wieder einspielen.» «Verschlüsselung ist wichtig, aber der Teufel liegt im Detail. Im Umgang mit Metadaten unterscheidet sich Threema wesentlich von anderen Messenger-Diensten.» «Corona hat die Digitalisierung sehr beschleunigt.» «Von der Softwareentwicklung bis zum Kundensupport erfolgt alles inhouse in Pfäffikon.»