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«Es ist absurd, den Bundesrat mittels Gesetz zu etwas zwingen zu müssen …»

«Es ist absurd, den Bundesrat mittels Gesetz  zu etwas zwingen zu müssen …» «Es ist absurd, den Bundesrat mittels Gesetz  zu etwas zwingen zu müssen …»

Alois Gmür

VICTOR KÄLIN

Corona diktiert auch die Agenda des Nationalrats. Auf besonderes Interesse stiess dabei die Abstimmung über die Beizen- Öffnung per 22. März. Warum haben Sie dem Antrag zugestimmt?

Mit der Zustimmung will ich Druck auf den Bundesrat ausüben. Es ist bis heute nicht erwiesen, dass man sich in den Restaurants ansteckt. Das Gastgewerbe hat viel in die Schutzkonzepte investiert. Sie sind nach den Vorgaben von Fachleuten erstellt worden. Es kann ja nicht sein, dass diese nichts nützen. Die Öffnung hätte zwingend und unabhängig der Pandemielage erfolgen sollen: Sahen Sie in der Absolutheit dieser Massnahme keine Gefährdung der bisherigen Strategie? Es muss einen Strategiewechsel geben. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Es wird nicht einfach verschwinden. Weiterhin Schliessungen von Betrieben und Verbote für Anlässe zu verfügen, ist wirtschaftlich nicht mehr zu verantworten. Es muss mehr getestet und mehr geimpft werden. Das Tracing muss funktionieren und ausgebaut werden. Ist es letztlich nicht widersinnig, einen Öffnungstermin für Restaurants ins Schweizer Gesetzesbuch zu schreiben? Es ist nicht widersinnig. Eigentlich ist es absurd, den Bundesrat mittels Gesetz zu zwingen, die Restaurants zu öffnen. Sie hätten aus meiner Sicht nie geschlossen werden dürfen. Zukünftig dürfen sie nicht mehr geschlossen werden. Momentan wird die Krise auf dem Buckel des Gastgewerbes und deren Zulieferer ausgetragen. Das will ich nicht länger hinnehmen. Der Antrag, den 22. März als Öffnungsdatum ins Gesetz zu schreiben, scheiterte am Ende mit 69 zu 121. Warum ist die in der Woche zuvor doch ziemlich laut angekündigte «Palastrevolution » gescheitert – und zwar ziemlich heftig? Die Mitte und die FDP haben die Erklärung unterstützt, mit der die sofortige Öffnung der Aussenbereiche und die Öffnung der Restaurants auf den 22. März gefordert wurde. Man hoffte, dass der Bundesrat darauf eingeht. Termine und Beträge in ein Gesetz zu schreiben, ist grundsätzlich problematisch. Es widerspricht eigentlich auch meiner Haltung. Hat Ihnen Ihre Haltung fraktionsintern Ärger bereitet – schliesslich stimmte «die Mitte » mehrheitlich gegen den Antrag …

Ich habe meine Haltung an der Fraktionssitzung eingebracht. Wir hatten in dieser Sache keinen Abstimmungszwang. Ich bin einer der wenigen im Parlament, der von den Massnahmen wirtschaftlich direkt betroffen ist. Man versteht deshalb mein Verhalten. Auch die Entscheidung zum umstrittenen Maulkorb für die Science Taskforce wurde mit 116 zu 78 Stimmen abgelehnt. Mit Ihrem Ja blieben Sie erneut auf SVP-Kurs. Warum war Ihrer Ansicht nach ein Redeverbot nötig?

Die Informationspolitik in dieser Krise ist chaotisch. Die Taskforce wurde nicht vom Bundesrat, sondern vom BAG eingesetzt. Die Informationen der Taskforce und des Bundesrats sind widersprüchlich. Die Informationen müssen zukünftig mit dem Bundesrat abgesprochen werden. Ich bin nicht für einen Maulkorb, sondern für eine kohärente Information der Bevölkerung.

Das Parlament stimmte des Weitern dem Antrag zu, dass Personen, die sich gegen Covid- 19 geimpft haben, von allfälligen Quarantänemassnahmen befreit werden. Nur wer geimpft ist, darf ins Restaurant … Kann man sich das ungefähr so vorstehen? Geimpfte sollen Vorteile erhalten. Eine Quarantäne für Geimpfte braucht es nicht. Dank der Impfung kann die Krise bewältigt werden. Dass nur Geimpfte in Restaurants dürfen, wäre übertrieben. An Grossanlässen sollte man aber nur Geimpfte oder negativ Getestete zulassen. Damit würden Grossanlässe wieder möglich. Wechseln wir das Thema, kommen wir zur «Heiratsstrafe». Diese Woche ist eine Volksinitiative zur Individualbesteuerung lanciert worden. Demgemäss sollen natürliche Personen unabhängig ihres Zivilstandes besteuert werden. Als Mitte-Politiker dürfte Sie diese Initiative nicht freuen, kündigte Ihre Partei doch an, die eigene, knapp gescheiterte Ehe-Initiative neu aufzugreifen. Die Heiratsstrafe müsste gemäss Bundesgerichtsentscheid schon lange abgeschafft werden. Eine Individualbesteuerung würde eine massive zusätzliche Bürokratie auslösen. Die Handhabung wäre kompliziert – zum Beispiel bei der Aufteilung der Abzüge. Es gäbe neue Ungerechtigkeiten. Paare mit einem grossen und einem kleinen Zweiteinkommen würden benachteiligt. Alles geteilt durch zwei wäre die Lösung der Mitte – und einfach zu handhaben. Nochmals das Stichwort Initiative: Der Nationalrat lehnt die Volksinitiative «Ja zum Tierund Menschenversuchsverbot» rundweg und ohne Opposition ab. Diese Initiative würde dem Forschungsplatz Schweiz massiv schaden. Sie verbietet zum Beispiel, Medikamente, die aufgrund von Tier- und Menschenversuchen entwickelt worden sind, in der Schweiz anzubieten. Aktuell müsste der Covidimpfstoff verboten werden. Der Nationalrat ist der Ansicht, dass gegen übermässigen Motorenlärm strengere Massnahmen ergriffen werden sollen. So soll der Bundesrat etwa aufzeigen, wie Lärm verursachendes Tuning an Autos besser sanktioniert werden kann. Wie ist Ihre Haltung? Ich rege mich immer auf, wenn Auto- oder Motorradfahrer sich mit zusätzlichem Motorenlärm brüsten. Das muss gesetzlich geahndet werden können. Eine letzte Frage noch: Am Montag debattierte der Nationalrat bis fast um 01.00 Uhr. Wie ging es mit Ihnen danach weiter …? Kein Parlamentsmitglied hat je eine Debatte erlebt, die bis über Mitternacht dauerte. Am Montagmorgen begann die vorbereitende Fraktionssitzung zum Covidgesetz um 11.15 Uhr. Der Sitzungsmarathon dauerte für mich beinahe 14 Stunden. Zum Glück war der Kiosk im Bundeshaus geöffnet, sodass man weder Durst noch Hunger haben musste. Von der Journalistenbühne her hat ein aufmerksamer Journalist bei den Bundesräten Berset und Maurer je eine Flasche Einsiedler Bier unter dem bundesrätlichen Rednerpult entdeckt und es am darauf folgenden Tag kommentiert. Ich meine, Berset und Maurer haben gerade deshalb mit ihren Voten auch noch nach Mitternacht überzeugt …

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