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Will man heutzutage noch persönliche Briefe schreiben?

Keine Frage: Briefschreiben ist die innigste Form der Korrespondenz. Einer abwesenden Person kann man sich nicht näher fühlen, als wenn man zu Papier und Griffel greift. Während sich WhatsApp, SMS und all diese Turbokommunikationsmittel in Sekundenbruchteilen erledigen und im Nirvana der digitalen Welt verschwinden, befinde ich mich noch immer in einer mentalen Sammlungsphase: Wahl des Papiers (farbig, weiss), des Couverts (Gummierung, Haftklebestreifen), der Briefmarke (Standard, Extraausgabe), des Schreibgeräts (Kugel, Metallfeder, Mine) und der Gestaltung (Verzierung, Zeichnung).

Während der WhatsAppler sein angefragtes Date per Knopfdruck wahrscheinlich bereits wieder abgeblasen hat, überlege ich mir, ob die Anrede «Liebe XY» zu direkt, angemessen oder gar zwingend ist. Ich wäge die Worte ab, überdenke den Satzbau, schaue auf den Fluss der Sprache. Und erst die Rechtschreibung! Jeder Fehler ist irreversibel, ein entlarvendes Zeichen fehlender Geistesgegenwart. Ohne Korrekturtaste bist du nackt. Aber echt.

Beim Briefeschreiben kann man sich herrlich vergessen und hineindenken, fühlen, hineinschreiben in die empfangende Person. Briefeschreiben ist wie Geisterbahnfahren: voller Schrecken, Überraschungen und Wendungen. Und am Ende ist man froh, heil herausgekommen zu sein. Erst dann ist ein Brief ein Brief. Einmalig und unverwechselbar. Eine stumme Kostbarkeit, die nicht anders als höchstpersönlich dem Briefkasten anvertraut werden kann. Doch selbst dann bleibt die bange Frage, ob mein Couvert auch wirklich das Ziel erreicht?

Briefeschreiben ist Emotion pur. Freude und Nähe. Verbundenheit und Zutrauen. Alles, was in Corona-Zeiten doppelt an Wert gewonnen hat.

Es käme mir niemals in den Sinn, jemandem einen Brief zu schicken – selbst handgeschriebene Postkarten aus den Ferien meide ich entschieden. Auch kann ich mich nicht erinnern, wann ich dies das letzte Mal tat. Ich bin zwar nicht wie die Generation Z mit einem Smartphone aufgewachsen, besitze aber seit ich 8 Jahre jung war – also seit 21 Jahren – ein E-Mail-Konto. Dort sind sogar noch Nachrichten gespeichert, die ich in der dritten Klasse an meinen Schulfreund geschickt habe. Briefe aus dieser Zeit gibt es keine.

Einen Brief zu verschicken, ist für mich quasi ein Ding der Unmöglichkeit: den passenden Umschlag kaufen, eine Karte oder Briefpapier aussuchen, sorgsam und fehlerfrei einen Text aufschreiben – mit beschränktem Platz – alles einpacken, frankieren und auf die Post bringen – nein danke! Da lobe ich mir doch den E-Mail-Verkehr und WhatsApp. Geschäftliches wird per E-Mail ruck zuck geregelt und wenn jemand Geburtstag hat, dann schicke ich ihm eine persönliche WhatsApp-Nachricht – vielleich noch mit einem lustigen Bild im Anhang. Die digitale Kommunikation ist blitzschnell und kostenlos.

So habe ich mich auch gefreut, dass es seit diesem Jahr endlich möglich ist, die Steuererklärung online einzusenden – YES (!) das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Digitalisierung heisst das Wort, das mir Freude bereitet.

Digitale Nachrichten sind völlig normal und akzeptiert. Von meinen Freunden wäre niemand enttäuscht, wenn er «nur» eine WhatsApp-Nachricht zum Geburtstag oder anderen Feierlichkeiten erhielte. Nachricht ist Nachricht, ob von Hand geschrieben, am Smartphone getippt oder am Telefon gesprochen.

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