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«Wenn man heiratet, weiss man auch nicht, wie sich das noch entwickelt»

«Wenn man heiratet, weiss man auch nicht, wie sich das noch entwickelt» «Wenn man heiratet, weiss man auch nicht, wie sich das noch entwickelt»

Vor 15 Jahren hat sich Pater Thomas Fässler für das Klosterleben entschieden. Wie man sich das Mönchsdasein vorstellen muss, wie wichtig die sozialen Medien für das Kloster Einsiedeln sind und ob genug Nachwuchs da ist, verriet uns der 36-Jährige im Interview.

ANOUK ARBENZ

Wann war für Sie klar, dass Sie Mönch werden wollen?

Das kam schleichend. Ich besuchte damals das Gymnasium der Stiftsschule Einsiedeln. Dadurch, dass viele unserer Lehrer Mönche waren, wurde das für mich eine Option. Ich fragte mich, wieso sie sich dafür entschieden hatten und beobachtete, dass sie einen ganz zufriedenen Eindruck machten. Ich erhielt Einblick in dieses Leben und realisierte, dass es gar nicht so abstrus ist. Mönche können auch in die Ferien, sie können sich verwirklichen, sie haben Projekte und so weiter. Sie sind nicht total eingeschränkt, wie man meinen würde. Als die Matura anstand, konnte ich es mir vorstellen, Mönch zu werden, aber ich wollte erst etwas Abstand gewinnen und schauen, ob dieser Wunsch wieder verfliegt oder bestehen bleibt. Nach der Rekrutenschule studierten Sie Geschichte und Latein in Freiburg. Sagte Ihnen dieses Leben nicht zu? Doch, das Studium gefiel mir total und das WG-Leben auch, trotzdem wusste ich, dass es mich auf lange Sicht nicht ganz würde erfüllen können. Es gab keine Antwort auf die Sinnfrage, so wie ich sie jetzt habe. Ich wollte am Ende meines Lebens nicht zurückschauen und daran zweifeln müssen, ob mein Leben wirklich das geboten hat, was ich mir vorgestellt hatte. So zog es mich nach Einsiedeln zurück.

Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?

Ich komme aus einer gläubigen Familie, in der es auch schon Verwandte gab, die ins Kloster eingetreten waren. Es war also nichts Fremdes für sie. Meine Eltern hatten es eigentlich schon vermutet, hofften aber, dass ich einen anderen Weg einschlage. Meine Freunde waren zweigeteilt. Ein Teil sagte: Das passt zu dir, der andere Teil war überrascht. Beide Reaktionen haben mich bestärkt in meiner Entscheidung.

Was fasziniert Sie daran?

Es ist die Möglichkeit, sich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was man als wesentlich erachtet. Das ist ein enormer Luxus.

Worauf konzentrieren Sie sich?

Das Wesentliche ist für uns Gott. In einem Psalmvers heisst es, an Gott gerichtet: «Alles vergeht, du aber bleibst.» Als gläubiger Mensch gehe ich davon aus, dass ich irgendwann vor Gott stehen werde. In dem Moment kann ich auf nichts anderes verweisen als darauf, was ich Gutes getan habe in meinem Leben und wie viel Liebe ich gezeigt habe. Das ist alles, was zählt. Deshalb ist alles, was ich tue, darauf ausgerichtet, was es in der Ewigkeit für einen Wert hat. Das relativiert ganz vieles. Welche Nachteile bringt das Mönchsdasein? Jede Entscheidung beinhaltet auch einen Verzicht. Das ist der Grund, weshalb es vielen Menschen schwer fällt, sich zu entscheiden. Sie haben Angst vor den Konsequenzen. Aber auch das Nichtentscheiden hat Konsequenzen. Wenn ich in ein Kloster eintrete, kann ich nicht gleichzeitig etwas anderes machen. Ich kann nicht heiraten und eine Familie gründen, ich kann mich nicht völlig neu orientieren. Man ist ein Stück weit gebunden.

Und der Vorteil?

Ich habe meinen Platz gefunden, ich kann Wurzeln schlagen, wachsen und Früchte tragen. Das Überallsein und doch nirgends, weil man sich alle Optionen offenhalten will, lässt einen nirgendwo richtig ankommen.

Wie oft sehen Sie Ihre Familie?

Ich lade sie ein paar Mal pro Jahr zum Mittagessen ein und in den Sommerferien gehe ich zwei bis drei Tage nach Hause. Seit ich studiere, haben wir die Familientradition, dass ich immer mittwochs eine E-Mail nach Hause schicke, in der ich über meine Erlebnisse und Aufgaben berichte. Ich schreibe meiner Familie mehr, als dass ich sie sehe. Steht für Sie fest, dass Sie nie das Kloster verlassen und eine Familie gründen werden? Es kann natürlich schon sein, dass man sich verändert und das Mönchsdasein plötzlich gar nicht mehr das Richtige ist, oder dass sich die Gemeinschaft und die Umstände ändern. Zum Beispiel weil neue Leute eintreten, mit denen man Mühe hat, oder weil ein neuer Abt gewählt wird, der einem nicht passt. Die ersten fünf Jahre im Kloster bilden zwar eine Probezeit, wonach man sich festlegen muss,

Pater Thomas Fässler

Geburtsname: Michael Fässler Geburtsdatum: 1. Oktober 1984 Wohnort: Kloster Einsiedeln Beruf: Mönch Eintritt: 2006, im Alter von 21 Unterrichtet: Geschichte, Latein Das sagen meine Freunde über mich: aufgestellt, kreativ, umtriebig, begeisterungsfähig

doch ist dann natürlich nicht alles vorauszuahnen. Es ist mit dem Heiraten zu vergleichen: Da weiss man ja auch nicht, wie sich das Zusammenleben entwickeln wird, aber man verspricht, einander treu zu bleiben. Wenn es einem mal nicht passt, sollte man also nicht gleich den Bettel hinschmeissen. Ist es schon einmal vorgekommen, dass Ihnen etwas nicht passte? Krisen gibt es immer wieder. Manchmal gibt es auch Momente, in denen man mit Gott hadert. Zum Beispiel weil man etwas erlebt hat, das man nicht versteht. Man fühlt sich Gott dann nicht sehr nahe. Ein Mönch ist nicht jemand, der Gott immer an seiner Seite spürt. Er versteht sich als «auf der Suche nach Gott». Dabei entdeckt er auch ständig neue Seiten von Gott und muss alte Vorstellungen loslassen. Das ist nicht immer ganz einfach.

Gast im Kloster

Im Kloster Einsiedeln ist es möglich, als Gast ein paar Tage in der Gemeinschaft der Mönche mitzuleben: Gottesdienste mitfeiern, Gespräche mit Mönchen führen, beten, lesen und vieles mehr. Das Miterleben des Alltags im Kloster kann auch dazu dienen, um herauszufinden, ob das Mönchsleben etwas für einen ist./aa.

Gibt es Vorurteile gegenüber Mönchen, die gar nicht stimmen?

Ich glaube, viele Leute denken, dass wir den ganzen Tag in einem abgedunkelten Kämmerchen sitzen und den Rosenkranz beten; dabei haben wir ein sehr buntes, vielfältiges Leben. Wie muss man sich das Leben als Mönch vorstellen? Haben Sie jede Woche dieselbe Routine?

Es gibt ein festgelegtes Raster, mit Gebeten und Mahlzeiten. Dazwischen gebe ich zum Beispiel Schule und bin mit anderen Aufgaben betraut. Zum Beispiel betreue ich ein Langzeitvolontariat, das sich «Klosterzeit» nennt. Dabei handelt es sich um ein Angebot für Männer zwischen 18 und Anfang 30, die während sechs bis zwölf Monaten in Benediktinerklöstern weltweit leben. Ich führe Aufnahmegespräche mit Interessenten und betreue sie während des Programms. Finden Sie denn heutzutage noch genug Nachwuchs fürs Kloster? Ja, gerade im Herbst haben zwei junge Herren ihre Kandidatur gestartet. Wir haben sehr viele Interessenten, die fasziniert sind von unserem Lebensentwurf und die sich nach «mehr» sehnen. Sie kommen regelmässig zu uns als Gast, häufig scheuen sie sich dann aber vor dem letzten Schritt. Entweder weil der Druck des Umfelds sehr gross ist oder weil ihnen der Mut fehlt, wirklich loszulassen. Sie betreiben die Sozialen Medien für das Kloster Einsiedeln … Facebook haben wir schon länger. Den Instagram-Kanal gibt es seit zwei Jahren. Den Account hat eine Mitarbeiterin in der Wallfahrt von sich aus kreiert, doch habe ich ihn dann bald übernommen, weil ich besser den Insider-Blick vermitteln kann. Täglich setze ich dafür etwa eine Dreiviertelstunde ein. Es gibt viele Anfragen über Instagram, die aus der ganzen Welt kommen. Bei den Sozialen Medien geht es um Vernetzung und Austausch, um Sehen und Gesehenwerden – kein Widerspruch zum Mönchsdasein? Der Mönch an sich ist schon in diesem Spannungsfeld. Er ist primär in seiner Zelle, wo er sich mit Gott auseinandersetzt. Er tritt aber immer wieder aus diesem Raum und kommt in die Gemeinschaft. Jetzt mache ich einfach einen Schritt weiter, indem ich nicht nur mit den Mitbrüdern in Kontakt trete, sondern mit der Welt. Und die Welt macht einen Schritt auf uns zu.

Hattet ihr Corona-(Todes)fälle im Kloster? Ja, es gab Todesfälle als Folge einer Covid-19-Erkrankung. Wir waren aber gut vorbereitet und haben schon im Frühling Isolationszimmer eingerichtet. Sobald jemand Symptome zeigte, kam er ins Zimmer und wurde dort getestet. Weitere Ansteckungen konnten wir so verhindern.

Wird die Corona-Pandemie auch 2021 die grösste Bedrohung für die Menschheit sein? Vielleicht indirekte Folgen der Pandemie. Was ich mit Sorge beobachte, ist eine Polarisierung. Man ist nicht mehr bereit, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und zusammen Lösungen zu suchen. Man will nur das hören, was in die eigene Welt passt, was man sowieso schon denkt. Corona hat diese Kluft vergrössert. Diese Spannungen kommen jetzt an die Oberfläche, das hat man in Amerika gesehen. Aber es gibt auch positive Seiten.

Welche wären …?

Man hat sich Illusionen gemacht, dass man alles kontrollieren kann. Ängste und Katastrophen wurden ausgeblendet – aber für ganz viele Menschen ist das die Realität. Dass man das Leben nicht planen kann, erleben täglich Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Jetzt merken wir: Ängste, Tod und Krankheit gehören zum Leben dazu. Aber wir haben noch Mühe damit, das in unser Leben zu integrieren.

«Dass man das Leben nicht planen kann, erleben täglich Millionen von Menschen. Jetzt merken auch wir: Ängste, Tod und Krankheit gehören zum Leben dazu.» «Viele denken, dass wir den ganzen Tag in einem abgedunkelten Kämmerchen sitzen und beten, dabei haben wir ein sehr buntes, vielfältiges Leben.»

Michael Fässler besuchte als Schüler die Stiftsschule Einsiedeln und kehrte als Mönch Pater Thomas ins Kloster zurück. Foto: zvg

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