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«Olympia-Silber hat bei Kälins Tradition»

«Olympia-Silber hat bei Kälins Tradition» «Olympia-Silber hat bei Kälins Tradition»

Auf der Tartanbahn statt auf Schnee: Leichtathletin Annik Kälin ist seit Kurzem nationale Rekordhalterin im Fünfkampf

Der Name Kälin verpflichtet. Und deutet klipp und klar darauf hin, woher die Person ursprünglich herkommt – nämlich aus Einsiedeln. Im Klosterdorf war Annik Kälin zwar noch nie. Doch die 20-jährige Spitzenleichtathletin aus dem Bündnerland kennt Einsiedler Sportgrössen – und möchte ihnen bei den nächsten Olympischen Spielen nacheifern.

WOLFGANG HOLZ

Frau Kälin, Sie haben einen speziellen und eindeutigen Namen. Sind Sie sich Ihrer Herkunft bewusst?

Auf meinen Nachnamen Kälin wurde ich schon öfters angesprochen, ob ich denn von Einsiedeln sei. Leider habe ich in Einsiedeln und Umgebung keine Verwandten mehr. Von meinem Vater weiss ich aber, dass Einsiedeln mit Wisel und Urs Kälin zwei Olympiamedaillengewinner hat. Und natürlich versuche ich, diese Tradition fortzuführen, einfach auf der Tartanbahn statt auf Schnee. Waren Sie überhaupt schon einmal in Einsiedeln?

In Einsiedeln war ich noch nicht. Vielleicht ergibt sich einmal ein Besuch, wenn wir zu unseren Freunden nach Brunnen SZ fahren, wo der Göttibueb meines Vaters wohnt.

Wie haben Sie eigentlich Ihre Liebe zur Leichtathletik entdeckt?

Sport hatte in unserer Familie immer einen hohen Stellenwert. So habe ich als Kind sehr viele verschiedene Sportarten ausgeübt. Skifahren gehört im Bündnerland natürlich auch dazu. In der Primarschule besuchte ich die Jugendriege und bekam Freude an der Leichtathletik. Ab der 4. Primarklasse entschied ich mich, in die Athletikgruppe AJ TV Landquart zu gehen, für die ich immer noch starte.

Als Mehrkämpferin im Fünfund Siebenkampf üben Sie bis zu sieben verschiedene Disziplinen aus. Wie gehen Sie da beim Training vor, trainieren Sie alle Disziplinen gleich oft? Unser Ziel ist, immer wieder alle Siebenkampf-Disziplinen zu trainieren. Das ist jedoch nicht immer so einfach. Gerade in der jetzigen Corona-Zeit, da Sportanlagen nicht für alle zugänglich sind. Wenn wir draussen sind, trainieren wir aber zwei, drei verschiedene Disziplinen pro Trainingseinheit. Während der Winterzeit legen wir den Fokus auf die Schnelligkeit. Bei den jüngsten Hallen-Schweizermeisterschaften in Magglingen stellten Sie im Fünfkampf einen neuen nationalen Rekord auf. Sie sprinteten unter anderem in 8,14 Sekunden über 60 Meter Hürden, sprangen 1,75 Meter hoch und 6,47 Meter weit. Das sind erstaunliche Leistungen. Wie kommts – sind Sie so talentiert oder trainieren Sie einfach so viel mit Ihrem Vater Marco Kälin?

Talent gehört sicherlich auch dazu. Ich bin aber auch sehr trainingsfleissig. Mit meinem Vater und der kleinen Trainingsgruppe habe ich das optimale Umfeld. Wir sind sehr kritisch, anspruchsvoll und testen Verschiedenstes aus, um das Optimum zu finden. Zudem steht der Sport bei mir im Zentrum, und ich organisiere alles drum herum. Gibt es eine Disziplin, die Sie im Mehrkampf nicht so mögen? Ich liebe die Vielfalt des Siebenkampfes. Auf den 800-Meter- Lauf könnte ich am ehesten verzichten, aber der ist eben der krönende Abschluss. Warum haben Sie sich eigentlich nicht einfach auf eine Disziplin spezialisiert? Durch die sieben verschiedenen Disziplinen ist das Training sehr abwechslungsreich. Dazu kommt, dass ich keine deutliche Schwäche habe, was vorteilhaft für den Mehrkampf ist. Es ist aber trotzdem toll zu sehen, dass ich auch in Einzeldisziplinen vorne mitmischen kann und ein Ziel ist es auch, an einem Diamond League Meeting in einer Einzeldisziplin zu starten. Ist Leichtathletik aus Ihrer Sicht ein sehr harter Sport – wegen des vielen Trainings und der Verletzungsgefahr?

Verletzungen sind leider Teil vom Spitzensport, wir trainieren oft nahe an der Belastungsgrenze. Durch meinen Vater, der Hausarzt ist, bin ich in besten Händen. Auch durch meine Ausbildung zur Physiotherapeutin lerne ich immer mehr über den Körper und die Verletzungsprophylaxe. Der Aufbau der Belastbarkeit ist ein langer Prozess und in jedem Training machen wir Übungen zum Warmwerden und um Verletzungen zu vermeiden. Was sind Ihre sportlichen Ziele? Wollen Sie an den Olympischen Spielen teilnehmen? Kurzfristige Ziele sind diesen Sommer eine Medaille an der U23-Europameisterschaft in Norwegen sowie die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio. Langfristig möchte ich meine Bestleistungen immer weiter verbessern und bei internationalen Meisterschaften um die Medaillen kämpfen. Olympiasilber hat ja bei den Kälins Tradition, das wäre schon traumhaft. Sie werden im April 21 Jahre alt. Wissen Sie schon, welchen Beruf Sie später einmal ausüben wollen?

Ich studiere seit 2018 Physiotherapie. Den Schulblock habe ich im März hinter mir und werde danach noch 2 Jahre zu einem 50-Prozent-Pensum als Physio- Praktikantin arbeiten.

Wie denken Sie: Ist es eigentlich gerecht, dass Leichtathleten, die solche Spitzenleistungen wie Sie erbringen, nur eine geringe finanzielle Honorierung dafür erhalten, während etwa Tennisspielerinnen, auf ihrem Niveau betrachtet, sich mit ihrem Sport ein einträgliches Einkommen verdienen können? Leichtathletik ist im Vergleich zum Tennis deutlich weniger populär. Ich habe die Leichtathletik jedoch nicht aufgrund der Honorierung ausgewählt, sondern weil mir der Sport viel Spass macht. Zudem war es für mich immer wichtig, neben dem Sport ein weiteres Standbein zu haben und eine Ausbildung zu absolvieren. Dadurch, dass ich die Praktika zu 50 Prozent absolvieren kann, habe ich den nötigen Ausgleich zum Sport und trotzdem genügend Zeit für das Training und die Regeneration. Was machen Sie gerne, wenn Sie nicht Leichtathletik trainieren?

In meiner Freizeit geniesse ich die Zeit für mich und mit meinen Freunden. Ich koche und ich backe gern.

«Ich habe die Leichtathletik ausgewählt, weil mir der Sport viel Spass macht.»

Eine Menge Disziplinen, wie etwa Weitsprung, muss Leichtathletin Annik Kälin für den Mehrkampf beherrschen. Foto: athletix.ch

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