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«Ans Aufgeben habe ich nie gedacht»

«Ans Aufgeben habe ich nie gedacht» «Ans Aufgeben habe ich nie gedacht»

Extremsportlerin Gabi Schenkel ruderte vor einem Jahr allein über den Atlantik

Es war vor knapp einem Jahr: Am 25. Februar, nach 75 Tagen und rund 5000 Kilometern auf rauer See, erreichte die heute 44-jährige Gabi Schenkel in ihrem Ruderboot völlig erschöpft, aber überglücklich ihr Ziel: Antigua in der Karibik. Gestartet war sie Mitte Dezember von der Kanareninsel La Gomera aus beim Atlantik- Challenge-Ruderrennen. Inzwischen wohnt die Osteopathin in Einsiedeln. Eine Begegnung.

WOLFGANG HOLZ

Frau Schenkel, bald jährt sich Ihre Atlantik-Passage. Welche Erinnerungen kommen da bei Ihnen hoch? Von der Überfahrt überwiegen vor allem die schönen Momente. Und doch bin ich jetzt jeden Abend froh, mich in trockene Bettwäsche kuscheln zu können und mir das Kondenswasser am Morgen nicht vom Kabinendach auf den Kopf tropft. Die herausfordernden Aspekte treten erstaunlicherweise immer mehr in den Hintergrund. Die Ankunft ist in ihrer Form immer noch etwas surreal. Die schönen Bilder davon helfen aber zu realisieren, dass ich das wirklich geschafft habe. Sie haben ja unglaubliche Entbehrungen, Krankheiten, psychischen Stress und Gefahren auf Ihrer Seefahrt durchgemacht, wenn man Ihre Reiseberichte liest. Warum tut man sich das an? Es gab nie ein wirkliches Warum. Es war ein Bauchentscheid, mich auf das Abenteuer einzulassen, mit all seinen guten und anstrengenden Aspekten. Und darum habe ich im Vorfeld auch alle möglichen Herausforderungen und Gefahren durchgedacht und Lösungsansätze geplant. Auf dem Atlantik ist dann trotzdem alles anders abgelaufen. Pläne sind oft dazu da, spontan angepasst zu werden. Hatten Sie nicht einmal den Wunsch, Ihr nasses und windiges Abenteuer auf dem Ozean einfach abzubrechen und zu Hause gemütlich im Wohnzimmer zu sitzen?

Das Wohnzimmer hat mir nicht gefehlt, denn die Kulisse war immer spektakulär auf dem Wasser. Es waren punktuell Dinge wie ein eisgekühltes Getränk oder frisches Gemüse, die ich manchmal gerne genossen hätte. Am meisten haben mir die physischen Kontakte zu anderen Menschen gefehlt. Das ist aber auch jetzt manchmal in viel kleinerem Ausmass so. Nach 60 Tagen hatte ich während 45 Minuten zwei Menschen auf einer Jacht um mich, und meine Satellitentelefone sind beide bereits Mitte Januar ausgestiegen. Trotzdem, ans Aufgeben habe ich nie gedacht.

Was hat Ihnen diese existenzielle Erfahrung gegeben? Einerseits die Erkenntnis, dass Menschen zu viel mehr fähig sind, als sie denken. Ich hatte durch meine Erfahrung im Ultramarathon bereits eine Ahnung davon, mir wurde das aber auf dem Atlantik noch viel klarer vor Augen geführt. Durch die Bewältigung der diversen Herausforderungen auf der Überquerung setzte ich die gewonnene Erfahrung auch in anderen Bereichen meines Lebens um. Den Mut, der mir dazu teilweise noch gefehlt hat, entwickelt sich seither immer weiter. Dafür bin sehr dankbar. Wie ist es, Naturgewalten ungefiltert zu spüren? Sie haben ja sogar angefangen, mit dem Meer zu sprechen. Ja, das stimmt. Ich habe ab und zu den Wind und die Wellen angeschrien, jetzt doch auch mal etwas nett mit mir zu sein. Und mich immer in aller Form entschuldigt, wenn meine Wortwahl nicht wirklich salonfähig war. Mir wurde bewusst, dass wir als Menschen gegenüber der Natur im Grunde nur kleine Player sind. Es geht nicht darum, gegen die Elemente zu kämpfen, sondern mit der Natur zu arbeiten. Das wurde mir schnell bewusst, und die Zusammenarbeit hat so meist das beste Resultat erzielt. Mal ehrlich, wie oft hatten Sie Todesangst – so ganz allein auf dem Ozean? Todesangst hatte ich nie. Selbst als ich von Bord katapultiert wurde wegen einer Geisterwelle, die mein Boot um die Längsachse drehte, hat mir mein Gurt, über den ich am Boot befestigt war, Sicherheit vermittelt. Zudem habe ich meinem Boot zu 300 Prozent vertraut. Auch das Wasser empfand ich eher als Landschaft, weniger als kilometertiefes Ungewisses. Aber ja, wohl war es mir nie, als ich ins Wasser musste, um den Unterboden des Bootes von Muscheln zu säubern. Da habe ich immer mit der «Go-Pro»-Kamera das Wasser «vorgefilmt » und geschaut, ob irgendwelche grosse Fische ums Boot kreisen. Haie waren nie dabei. Wie haben Sie Ihre Ängste zu überwinden gelernt? Schon im Vorfeld wusste ich, Angst ist ein Konstrukt meines Kopfs und lähmt. Und aus dieser Lähmung kann schnell Panik entstehen. Panik und allein sich auf einem Boot mitten im Atlantik zu befinden: Das ist eine ungünstige Konstellation. Deshalb hatte ich jedes Mal, wenn ich ein ungutes Gefühl wahrgenommen hatte, ganz genau darauf geachtet, präsent und achtsam zu bleiben. Manchmal musste ich meine Hände auf meine Oberschenkel legen, damit ich auch physisch gespürt habe, dass ich ganz im Hier und Jetzt bin. Das hat immer geholfen.

Ihr Ruderboot war mit viel High-Tech ausgestattet und kostete um die 75’000 Franken. Wie konnten Sie sich das leisten? Die ersten Anzahlungen konnte ich dank eines Darlehens aus meiner Familie begleichen. Danach kamen neben vielen Spenden auch Sponsoren dazu. Besondere Freude empfand ich, dass nach dem Verkauf des Boots auch noch über 40’000 Franken an Ocean Care und Planet Patrol, die beiden Organisationen, welche ich unterstützen wollte, gespendet wurden. Was ist eigentlich das Faszinierende für Sie am Extremsport? Persönlich finde ich es spannend, immer wieder an meine Grenzen geführt zu werden. Ich habe mich aus freien Stücken für die Challenge angemeldet, wie auch vorher an all die langen Läufe. Mir gefällt der Aspekt, nur für mich alleine unterwegs zu sein und fernab von Wettkampfgeschehen meine Erfahrung sammeln zu können. Extremsport im Ausdauerbereich bringt einen oft an einen Punkt, wo Mauern wegfallen, hinter welchen man sich im Alltag gerne versteckt. An diesem Punkt hat man dann immer noch die Wahl, den nächsten Schritt zu sich selbst zu machen oder die Übung abzubrechen. Ist so ein Ausflug in die Wildnis nicht auch Zivilisationsflucht? Ich glaube, im Bereich der Ozeanruderer gibt es sicher solche, die das so sehen und auch brauchen. Persönlich habe ich gerne Menschen um mich. Grosse Massen waren zwar noch nie mein Ding, und die Natur ist ein wichtiger Bestandteil meines Alltags. Ruhe finden und Energie tanken bedeuten mir viel und erlauben es mir, in der Zivilisation gut zu leben. Es war schön, für eine Weile so richtig weit weg zu sein – und trotzdem geniesse ich nun das Leben hier. Lieben Sie auch im normalen Leben Extreme? Lange hatte ich das Gefühl, anders als alle anderen zu sein und mein Leben etwas unkonventionell zu gestalten. Heute weiss ich, dass ich eine gute Mischung von vielen Gegensätzen bin, was andere manchmal überrascht und zu interessanten Begegnungen führen kann. Bestimmt kann meine Vita manchmal als extrem erscheinen. Persönlich finde ich mich manchmal sogar einen Tick langweilig und doch fühle ich mich auf jedem Parkett wohl. Im Alltag arbeiten Sie als Osteopathin in Zürich und wohnen seit Oktober letzten Jahres in Einsiedeln. Warum? Es war eine meiner besten Bauchentscheidungen, nach Einsiedeln zu ziehen. Schön fand ich es hier schon immer. Meine Praxisgemeinschaft in Zürich kommt mir etwas wie eine Insel vor, die den gleichen «Vibe» hat wie Einsiedeln. Mein Arbeitsplatz gefällt mir sehr, sonst sagt mir die Stadt nicht viel. Der Arbeitsweg ist aktuell auch in Ordnung, aber in punkto Harmonie gibt es da irgendwann sicher Optimierungspotenzial. Gerne würde ich Wohnort und Praxis am selben Ort haben. Wenn der Moment da ist, bin ich sicher auch bereit.

Was gefällt Ihnen hier?

Ich betrachte Einsiedeln als eines der bestgehüteten Geheimnisse der Region. Anfangs kam ich fürs Langlaufen im Winter hierher, dann auch mit Laufschuhen im Sommer. Neben der Natur sind auch die Menschen und die Gemeinschaft positiv wahrnehmbar. Manche Dinge kann man schlecht mit Worten erklären, sondern spürt man. Einsiedeln macht mich glücklich, hilft mir, mein inneres Gleichgewicht zu halten, und es gibt wenige Blicke, die mich nicht tief und dankbar durchatmen lassen. Der Ruderclub Sihlsee hat mir und meinem Trainingsboot unkompliziert eine neue Heimat gegeben und, sobald es die Verhältnisse zulassen, sind wir auf dem Sihlsee anzutreffen. Entgegen meiner Erwartung, gefällt mir das Rudern immer noch, auch wenn ich mich weiterhin noch gerne mit den Laufschuhen vergnüge.

Neues Abenteuer in Sicht?

Nein, mein Leben ist aktuell Abenteuer genug, und ich geniesse es, nicht immer unter Druck zu stehen, liefern zu müssen. Im Dezember werde ich die Medienzentrale für die zwei Frauen sein, welche mein Boot gekauft haben und als Zweierteam über den Atlantik rudern werden. Alles andere kann, muss aber nicht sein. Was war für Sie bisher das grösste Glück in Ihrem Leben? Das Leben an sich. Gesund zu sein, Erfahrungen gesammelt zu haben und die auch weiter zu sammeln. Und dabei zu wissen, dass jeder negative Aspekt dazu da ist, die positiven Seiten umso besser wahrnehmen zu können. Ich merke, dass sich seit der Atlantiküberquerung meine Prioritäten sehr verändert haben. Ich geniesse diese Klarheit ein wenig wie das klare Wasser auf hoher See.

«Einsiedeln macht mich glücklich.»

Gabi Schenkel, Extremsportlerin

Nach 75 Tagen und rund 5000 Kilometern auf dem Meer: Gabi Schenkel trifft am 25. Februar 2020 auf Antigua in der Karibik ein.

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