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Sie fürchtet Wendy noch immer

Sie fürchtet Wendy noch immer Sie fürchtet Wendy noch immer

Mikaela Shiffrin blickt voraus auf die WM-Rennen in Cortina – und zeigt Respekt vor Wendy

Nächste Woche beginnen die Alpinen Skiweltmeisterschaften. Mit dabei ist auch die 25-jährige Amerikanerin Mikaela Shiffrin, die schon viermal WM-Gold im Slalom gewonnen hat und seit Jahren Wendy Holdeners härteste Konkurrentin ist. Doch nun scheint vieles anders.

WOLFGANG HOLZ

«Ich habe noch nie so ein Jahr erlebt wie dieses», sagt Mikaela Shiffrin bei einer Internet-Pressekonferenz über Zoom in Zürich. Auch der Einsiedler Anzeiger hat sich unter zahlreichen internationalen Journalisten in die Medienveranstaltung eingeklinkt, um an der Fragerunde teilzunehmen.

Wirkt verunsichert

Auf dem Bildschirm ist der amerikanische Skistar in einer holzgetäferten Stube zu sehen. Mikaela Shiffrin sitzt im schwarzen Trainingsanzug mit weissen Kopfhörern vor dem Laptop. Sie blickt oft schüchtern nach unten, bis sie langsam in einen Redefluss findet. Ihre Stimme hat einen belegten, manchmal sogar weinerlichen Unterton.

Mikaela Shiffrin wirkt überhaupt nicht mehr wie jene elegante Skifahrerin, die noch vor gut einem Jahr wie auf Schienen souverän und fast unantastbar durch die Slalomtore brauste und ihre Konkurrentinnen dabei nonchalant deklassierte. Man sieht ihr vielmehr ihre Verunsicherung an. Die 25-jährige Skirennfahrerin, die immer wie von einem anderen Stern schien, sieht blass und verletzlich aus – einsam trotz ihrer gigantischen Erfolge. Und das nicht nur wegen Corona.

«We love you all, Mikaela!»

Dabei sind Fragen zu ihrem Privatleben, zum letztjährigen Tod ihres Vaters, der sie so traumatisiert hat und noch immer sehr mitzunehmen scheint, bei der Pressekonferenz gar nicht erwünscht. Als ein amerikanischer Journalist Shiffrin fragen will, ob sie wenigstens den «joy»,also die Freude und Freiheit am Skifahren noch empfinde, muss kurioserweise die Pressesprecherin des amerikanischen Skiverbands die Frage stellen, weil der Journalist sich selbst «zu emotional » fühlt, um dies zu tun. Stattdessen sagt er spontan: «We all love you, Mikaela!» Holperige Pisten Shiffrin selbst ist sehr gefasst. Ihr Lachen klingt nicht unbeschwert. Das Wort «Dad» kommt ihr nur einmal über die Lippen. Während der 40-minütigen Zoom-Pressekonferenz bleibt sie stets sehr sachlich. Dass sie wieder Spass daran gefunden habe, Speed-Rennen zu trainieren. Dass sie die Alpine Kombination, in der Wendy Holdener ja Titelverteidigerin ist, und den Super-G in Cortina auf alle Fälle fahren will. Dass ihr im Weltcup so mancher zweite Lauf trotz hervorragender Zeiten im ersten Durchgang misslungen sei, weil die Pisten so überraschend «bumpy», also holperig, gewesen seien und deshalb mehr Risiko einforderten. Dass sie aber natürlich noch immer schnell Ski fahren könne und ihr Bestes bei der WM geben wolle.

Wendy sitzt ihr im Nacken Wirklich interessant wird es, als sie am Ende gefragt wird, wer denn aus ihrer Sicht die WM(Mit-) Goldmedaillenanwärterinnen seien. «Beim Slalom ist es sicher Liensberger, Petra, Michelle – und Wendy.» Klar, wie selbstverständlich und ohne nachdenken zu müssen spricht Shiffrin den Namen der 27-jährigen Unteribergerin aus. Obwohl diese sie ja in all den Jahren im Slalom nie schlagen konnte, aber sage und schreibe 25-mal hinter ihr aufs Slalom-Podest gefahren ist. Und plötzlich begreift man auch, warum die Amerikanerin sich stets so schnell durch die Stangen schlängelte: Weil Wendy sie vor sich hergetrieben hat. Weil Wendy ihr stets im Nacken sass. Mikaela fürchtet Wendy also noch immer. Cool. Der WM-Slalom in Cortina könnte tatsächlich spannend werden.

Mikaela Shiffrin bei der Zoom-Pressekonferenz in Zürich. Foto: Wolfgang Holz

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