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Das Monatsgespräch im Januar

Das Monatsgespräch im Januar Das Monatsgespräch im Januar

Franziska Keller trifft Rolf Jezler, ehemaliger Flugzeugmechaniker bei der Swissair, lebt seit zwei Jahren in Einsiedeln

Jahrgang: 1948 Bürgerort: Schaffhausen Geburtsort: Heiden, AI Wohnort: Einsiedeln Kennengelernt habe ich den Herrn mit dem «Käppi» vergangenen Sommer. Er mag in der hektischen Welt die Beständigkeit des Klosters, schätzt die unterschiedlichsten Begegnungen und die Natur – ganz besonders die Pferde. So steht er oft bei den Koppeln, beobachtet und freut sich, wenn sich mit anderen Spaziergängern ein Gespräch ergibt. Er interessiert sich für alles und redet gerne mit den unterschiedlichsten Menschen – nicht aus Neugier, aber weil er von ihnen lernen könne.

Nach den Feiertagen trafen wir uns einen Tag nach seinem 73. Geburtstag: Rolf Jezler. Ich besuchte ihn und seine Frau Margrit an der Werner-Kälin-Strasse in ihrer schönen Wohnung mit grossem Balkon und Ausblick auf die Mythen. Wie haben Sie den heutigen Samstag bei schönstem Winterwetter verbracht? Wie jeden anderen Wochentag: Als Frühaufsteher bin ich zeitig aus dem Bett gestiegen, habe meinen Morgenkaffee zusammen mit einer Zigarette auf unserem Balkon genossen und anschliessend in der Stube die Tageszeitung überflogen. Und dann habe ich mich gemütlich noch einmal auf die Couch gelegt, weil mein Körper mir sagte: «Bi nochli müed. Ligg nomol ane.» Ich schätze es, in meinem Pensioniertendasein endlich auf meinen Körper hören zu dürfen und bewusster zu leben: Ich muss nichts mehr – ich darf nur noch. Letzten Sommer habe ich Sie oft beim Spazieren im Abteihof gesehen. Haben Sie eine Lieblingsstrecke?

Ich besuche jeden Tag die Pferde, wo ich es sehr schätze, Reiterinnen oder weitere Spaziergänger zu treffen. Die Pferde faszinieren mich, seit wir hier oben wohnen. Ich staune, wie so ein 600-Kilo-Tier sensibel sein kann. Nach dem Besuch der Pferde spaziere ich weiter den Klostermauern entlang, höre und beobachte und gehe dann dankbar wieder nach Hause zu Margrit. Seit zwei Jahren wohnen Sie mit Ihrer Frau in Einsiedeln. Was hat Sie hierhergebracht? Nach meinem früheren berufsbedingten Nomadendasein an den verschiedensten Orten in der Schweiz und in Frankreich haben wir lange im Zürcher Oberland gewohnt. Ich bin gelernter Flugzeugmechaniker bei der Swissair, habe mich anschliessend zum Dipl. Werkmeister weitergebildet und bin daher weit herumgekommen. Nach meiner Pensionierung wollten wir nicht länger in Wetzikon wohnen, sondern hielten Ausschau in der Innerschweiz, weil wir ganz ehrlich von der Agglomeration und den dortigen Problemen die Nase gestrichen voll hatten. Darf ich fragen, wie Sie das meinen?

Ich ärgerte mich immer öfter über die Respektlosigkeit gewisser Bürger, über das aufkommende Littering, weil man den Güselkübel vor der Nase nicht sehen wollte, und ganz ehrlich, bedeuten mir unsere Kultur und unsere Religion derart viel, dass es mich schmerzt, wenn ich fürchten muss, dass unser Christentum an die Wand gefahren wird, weil andere Religionen immer mehr Raum einnehmen, weil man anderen Kulturen so viel Platz gewährt.

Und dann fiel die Entscheidung auf Einsiedeln?

Meine Frau ist eine gebürtige Artherin und dort aufgewachsen. Sie kennt deshalb die Umgebung und weiss aus Erfahrung, dass es im Talboden Schwyz im Sommer genauso heiss ist und im Winter ebenso wenig Schnee hat wie in Wetzikon. Und dann schlug sie Einsiedeln vor. Mehrmals fuhren wir hierher, besichtigten verschiedene Quartiere und schon bald war uns beiden klar, dass wir hier unseren Lebensabend geniessen möchten.

Was gefällt Ihnen hier?

Hier spüre ich noch eine gewisse «heile Welt» im Gegensatz zu unserem vorherigen Wohnort und ich schätze die Gesundheitsversorgung sehr. Mit 30 schaust du noch nicht so darauf, mit 70 jedoch schon. Mir gefällt unsere Wohnung an wunderbarer Wohnlage, mit einem Lift im Haus, falls ich einmal gehbehindert werden sollte. Und ich schätze es, in fünf Minuten beim Einkaufen, am Bahnhof, beim Kloster oder im Grünen zu sein. In und um Einsiedeln gibt es wunderschöne Erholungsmöglichkeiten.

Wie lernen Sie hier Menschen kennen? Ich beobachte gerne und gehe auf die Menschen zu. Zum Beispiel habe ich viele an der Baustelle des Klosterplatzes kennengelernt. Man bleibt stehen, interessiert sich für eine Sache und schon ist man im Gespräch. Meine grundsätzliche Einstellung ist, dass ich von jedem Menschen etwas lernen kann.

Und was schätzen Sie in Ihrem Leben? Da sein und jeden Morgen denken können: «Ich has schön.» Dass meine drei erwachsenen Töchter zufrieden und gesund sind, dass ich flotte Schwiegersöhne habe und dass unsere vier Enkel gut gedeihen.

Und natürlich meine Frau Margrit. Sie schimpft zwar manchmal mit mir, «aber isch e Liebi, wänn sie schimpft, hät sie en Grund». Worauf müssen Sie in der momentanen Situation verzichten? Ich würde gerne wieder einmal spontan mit jemandem in einem Restaurant einen Kaffee trinken oder auswärts essen. Ich mag es nicht, irgendwo einen Nussgipfel zu kaufen und ihn in der winterlichen Kälte draussen mit klammen Fingern zu essen. Momentan wird wenig gereist. Waren Sie früher ein Reisefüdli? Während der Swissair-Zeit waren wir durch die Freiflüge privilegiert und mussten nur gerade drei Prozent eines Fluges bezahlen. Da habe ich viele Städte innerhalb Europas besucht: Stockholm, Kopenhagen, Wien, Madrid, Paris, London, Amsterdam und andere mehr.

Wo zieht es Sie hin, wenn man dereinst wieder einmal reisen darf? Obwohl ich früher englisch und französisch sprechen konnte, halte ich mich heute lieber im deutschsprachigen Raum auf. Gerne würde ich wieder mal an die Ostsee, das Wattenmeer besuchen, nach Wien oder auch an den St. Wolfgangsee.

Und einen Traum habe ich noch: als Passagier einen Turn mit einem grossen Segelschiff machen, um ein Kindheitskapitel abzuschliessen. Ein Kindheitskapitel abschliessen?

Nach der Bezirksschule wollte ich eigentlich Kapitän werden. Aber weil man damals vor der Seemannsschule auf Übersee erst als Schiffsjunge anheuern musste, fanden meine Eltern, das sei nichts für mich. Was möchten Sie in Ihrem Leben gerne noch erleben? Wenn ich Frieden auf der Welt sage, tönt das zu abgedroschen, denn das hat es noch nie gegeben. Deshalb nehme ich etwas hoffentlich Realistischeres: Dass alle, die mir lieb sind, gesund bleiben dürfen. Das ist zwar nichts Weltbewegendes – aber es ist das, was mir wichtig ist.

Foto: Franziska Keller

Von Franziska Keller

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