«Harmony kann nicht mit nach Genf – sie ist trächtig»

Wegen der Coronavirus-Pandemie fällt die Swiss Expo in Genf aus: Nun muss der 39-jährige Landwirt Ruedi Kälin aus Einsiedeln auf die weite Reise an den Genfersee mit seinen Rindern verzichten.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Die Swiss Expo ist abgesagt worden: Wie kommt dieser Entscheid bei Ihnen an? Das finde ich sehr schade. Wir haben einen riesigen Aufwand betrieben, ein Fundraising organisiert, die Rinder geputzt und gestriegelt: Und jetzt ist alles für die Katz. Sind die Rinder froh, dass sie nicht mit dem Lastwagen die lange Reise nach Genf antreten müssen?

Harmony und Maila wären vollends parat gewesen für diese Reise. Natürlich hätten sie in Genf Heimweh bekommen: Am liebsten sind die Tiere in ihrem geliebten Stall zu Hause, der gut gefüllt ist mit Heu und Emd vom letzten Jahr. Am Wochenende wären Sie mit Ihren Kühen nach Genf abgereist. Verschieben Sie nun die Reise um ein Jahr? Ich werde im Jahr 2022 eher auf die Reise verzichten: Harmony kann nicht mit nach Genf – sie ist trächtig. Sie ist das schönste Tier in meinem Stall und bekommt im September ein Kalb. Harmony ist einzigartig und sticht hervor durch ihr Fundament, ihren Rahmen, ihr Becken und ihre Beine. Ein Rind bleibt nur zwei oder drei Jahre lang ein Rind. Der Zeitpunkt jetzt wäre ideal gewesen für die Reise. Wie viele Stunden haben Sie mit Harmony und Maila geübt und trainiert? Geputzt und gestriegelt wurden die beiden Rinder seit dem Oktober jeden Tag. Hinzu kam jeden zweiten Tag ein Lauftraining, insgesamt dauerte dies mit Putzen und Striegeln eine Stunde.

Ist es möglich, dass Sie die Unterstützung, die Sie via Fundraising erhalten haben, für eine Teilnahme an der Swiss Expo 2022 gebrauchen können? Das habe ich mir auch überlegt. Jetzt ist es aber so, dass ich den Sponsoren ihre Beitragsgelder zurückerstatten werde. Ich bin überwältigt von ihrer Hilfeleistung und möchte mich bei ihnen bedanken. Sie betreiben auch noch Winterdienst. Nun liegt der Schnee fast meterhoch. Haben Sie im Winter überhaupt Zeit, sich um Ihre Tiere zu kümmern? Ohne die Unterstützung meiner Familie, die im Stall mithilft, wäre das in diesem Winter in der Tat schwierig geworden. In der letzten Woche sind bei der Schneeräumung siebzig Arbeitsstunden angefallen. Die Diskussionen mit den Leuten, die sich darüber nerven, dass der Schnee auf ihrem Grundstück abgeladen wird, sind ärgerlich. In der Regel erleben Landwirte im Winter eine ruhige Zeit: Gehen Sie in dieser Jahreszeit einem Nebenerwerb nach?

Ich arbeite noch als Zimmermann, dies aber eher im Sommer. Im Winter arbeite ich zusätzlich als Logistiker für die Lagerhaus- Genossenschaft Bern, bei der ich für ein Pflichtlager des Bundes verantwortlich bin. Sind Sie als Landwirt darauf angewiesen, einer Nebenbeschäftigung nachzugehen? Ohne Nebenerwerb kann die grosse Mehrheit der Bauern schon längst nicht mehr wirtschaften: Etwa vier Fünftel der Landwirte gehen einer Nebenbeschäftigung nach, um über die Runden zu kommen. Was nichts daran ändert, dass man gleichzeitig 365 Tage im Jahr im Stall steht. Wohin bewegt sich die Welt?

Ich hoffe, dass es ein ruhiges Jahr wird und dass die Corona- Pandemie ihr Ende findet. Für die Landwirtschaft wird dann das nächste Jahr massgebend, wenn die Agrarpolitik AP 22+ auf dem Spiel steht.

Foto: Magnus Leibundgut

Ruedi Kälin

Jahrgang: 1981 Wohnort: Einsiedeln Beruf: Landwirt Hobbys: Jassen Familie, Kinder