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«Frauen streben weniger zur Macht – das tut der Politik gut»

«Frauen streben weniger zur  Macht – das tut der Politik gut» «Frauen streben weniger zur  Macht – das tut der Politik gut»

Das Frauenstimmrecht feiert heuer sein 50-Jahr-Jubiläum. Die 70-jährige Einsiedlerin Ursula Staub blickt zurück auf eine Zeit, als die Männer das alleinige Sagen hatten. Vieles habe sich seit damals verändert: «Frauen stimmen und wählen anders.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Welche Erinnerungen haben Sie an den 7. Februar 1971?

Ich war damals 21 Jahre alt und besuchte das Lehrerinnenseminar Bernarda in Menzingen. Dort war die Einführung des Frauenstimmrechts im Staatskundeund Geschichtsunterricht der Schule naturgemäss ein grosses Thema. Das Spezielle am Internat war, dass wir da ja alles Frauen waren. Dementsprechend war die Freude gross, als am 7. Februar die Männer Ja sagten zum Frauenstimmrecht. Wir waren festlich gestimmt an diesem Tag, und ich mag mich noch an Blumen und rote Pullover erinnern. War es für Sie zu jener Zeit selbstverständlich, dass Frauen nicht abstimmen dürfen? Ich bin gewissermassen im Matriarchat aufgewachsen: Meine Mutter hatte die Hosen an. Von daher wirkte es eher seltsam auf mich, wegen meines Geschlechts vom Stimmrecht ausgeschlossen zu werden. Andererseits bin ich im Umfeld einer Beiz aufgewachsen: Und in dieser wurde natürlich voll gegen das Frauenstimmrecht politisiert. Bemerkenswert ist, dass Kantone, die tendenziell gegen das Frauenstimmrecht waren – vor allem in der Innerschweiz –, sehr früh das Stimmrechtsalter herabgesetzt haben. So dürfen die 18und 19-jährigen Männer im Kanton Schwyz schon seit dem Jahr 1833 wählen und abstimmen. Haben Sie vor dem 7. Februar 1971 Ihrem Mann jeweils gesagt, wie er abstimmen und wählen soll wie weiland die Appenzellerinnen?

Ich habe tatsächlich meinen Mann damals schon gekannt, ohne dass wir bereits zusammengewohnt hätten. Gestritten haben wir jedenfalls nicht über das Recht der Frauen, stimmen und wählen zu dürfen: Mein Mann war ein Frauenrechtler avant la lettre: Für ihn war sonnenklar, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sein müssen. Haben Sie bereits an der ersten Urnenabstimmung teilgenommen, die für Frauen offen war? Ja, das habe ich in der Tat: Im Juni 1971 ging eine Volksabstimmung über die Bühne, an der ich mich beteiligte: Es ging da um die Umwelt und um Finanzen. Im Oktober 1971 standen dann Nationalratswahlen auf dem Programm, an denen ich gleichsam teilgenommen habe. Hat die damalige Abstimmung die Emanzipation der Frauen beflügelt?

Ja, das kann man so sagen. In meinem Leben selber hat die Einführung des Frauenstimmrechts kaum viel verändert. Jedenfalls bin ich fortan nicht politisch aktiv geworden. Nichtsdestotrotz würde ich mich persönlich als emanzipiert betrachten: Es ist für mich einfach selbstverständlich, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte und den gleichen Lohn haben sollten. Hatten es Frauen, die in die Politik einsteigen wollten, schwer im Klosterdorf? Die Frauen, die wirklich in die Politik einsteigen wollten, haben es auch geschafft. Aber viele waren es natürlich nicht, sodass ich mich noch an jede einzelne Bezirksrätin erinnern kann: Neben Margrith Fuchs (CVP) und Josy Gyr (SP), die dann später auch noch in den Nationalrat gewählt wurde, waren das Erika Weber (SP), Antonia Birchler (SVP) und Berta Gyr (FDP). Und heute ist ja Bernadette Deuber (CVP) im Einsiedler Bezirksrat. Sie selber hatten kein Interesse daran, ein politisches Amt zu bekleiden? Im Jahr 1983 besuchte mich Doris Bisig, die damals für die SVP im Schulrat war: Sie versuchte mich dafür zu gewinnen, für den Schulrat zu kandidieren. Aber erstens war die SVP nicht wirklich die Partei, zu der ich gepasst hätte: Ich positionierte mich vielmehr links von der Mitte. Und zweitens hatte ich gar keine Zeit für ein solches Amt: Ich hatte zwei Kinder und arbeitete mit einem 100-Prozent-Pensum in der Tierarztpraxis. Das war von daher eine ideale Lösung: Weil ich quasi zu Hause arbeitete, konnte ich gleichzeitig auch noch auf die Kinder aufpassen. Als Mutter damals zu arbeiten mit einem grossen Pensum, war nicht einfach. Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist auch heute noch für Frauen ein schwieriges Unterfangen. Ich selber hatte diesbezüglich ideale Arbeitsbedingungen.

Bezirksrätinnen kann man in Einsiedeln an einer Hand abzählen: Wieso gibt es auch heutzutage kaum Frauen im Kantonsund Regierungsrat?

Ich glaube, das liegt in erster Linie daran, dass Frauen gar nicht gewählt werden wollen. Frauen streben keine Ämter an. Ich selber wollte das auch nie. Ich betrachte die Familie als die kleinste Zelle der Demokratie: Von daher betrachtet fand ich in der Familie meinen Raum. In einem Rat hätte ich mich kaum wohl gefühlt. Glauben Sie, dass sich etwas verändert hat im Land dank der Einführung des Frauenstimmrechts?

Dank den Frauen hat sich in der Politik der Schweiz vieles verändert: Frauen stimmen und wählen anders. Die Politik ist dank den Frauen sozialer und ökologischer geworden. Frauen stimmen eher aus dem Bauch, aus dem Gefühl heraus ab. Männer neigen dazu, alles berechnen zu wollen: Kann der Kanton diese Vorlage auch wirklich stemmen? Männer haben ein anderes Verhältnis zur Macht. Frauen haben ein unverkrampfteres Verhältnis zur Macht, streben weniger nach Macht. Das tut der Politik gut. Weshalb nur hat es in der Schweiz so lange gedauert, bis das Frauenstimmrecht eingeführt wurde?

Es ist in der Tat ungeheuerlich, dass man in der Schweiz so lange Zeit den Frauen das Stimmrecht vorenthalten hat. Und dass im Jahr 1990 das Bundesgericht die Appenzeller dazu zwingen musste, Frauen an die Landsgemeinde zuzulassen. Es gibt eine lustige Geschichte dazu, die als Erklärung für diesen Missstand herbeigezogen werden kann: Appenzeller Männer würden zu Hause dermassen von ihren Frauen unterdrückt, dass sie nicht noch den letzten Bereich ihres Lebens verlieren wollten, in dem sie etwas zu sagen hatten (lacht). Wenn Sie einen Blick auf die Jugend von heute werfen: Interessieren sich junge Leute überhaupt noch für Frauenrechte und die Gleichstellung von Frau und Mann? Also meine Töchter sind voll und ganz emanzipiert und haben Führungsfunktionen im Beruf übernommen. Auch wenn der Feminismus vielleicht nicht mehr so ein Thema ist wie noch in den 60er- und 70er-Jahren. Im Orchester Wood and Metal Connection (WMC) haben jedenfalls Frauen das Zepter übernommen: Sowohl die Dirigentin wie die Präsidentin sind dort Frauen. Es chunnt glaub scho …

Haben Sie selber am Frauenstreik im Jahr 2019 teilgenommen?

Ich war nie eine Frauenrechtlerin oder Feministin. Und habe wenig Verständnis, wenn sich Frauen voll und ganz für die -in-Form in der Sprache einsetzen oder sich darüber aufregen, dass der Mann in der Steuererklärung von Ehepartnern als erster aufgerufen und genannt wird. Ich empfand derlei immer als extrem. Ich habe keinen Impuls gespürt, am Frauenstreik teilzunehmen. Ist einfach nicht so mein Ding.

Wo hapert es in diesen Zeiten in Sachen Gleichstellung von Frau und Mann? Es ist kaum zu glauben, dass Frauen und Männer für dieselbe Arbeit nicht den gleichen Lohn erhalten. Und dass noch immer vor allem Männer in den Führungsrollen der Wirtschaftswelt hocken, wird sich in Zukunft hoffentlich ändern. Ich bin aber prinzipiell keine Anhängerin von Quoten. Dass in der katholischen Kirche die Männer das Sagen haben, ist zwar irritierend, für mich aber weniger entscheidend, weil ich mich nicht so stark mit der Kirche von Rom verbunden fühle. Dafür umso mehr mit dem Kloster Einsiedeln, das finde ich ganz toll. Weil dessen Personal so ausgezeichnet ist, rege ich mich auch nicht auf, dass das auch «nur» Männer sind. Gibt es heutzutage auch Bereiche, in denen die Männer unterdrückt werden?

Ja, zum Beispiel im Schulwesen: Buben werden in der Schule in gewisser Weise benachteiligt, da das Schulwesen zunehmend feminisiert wurde und sich eher an den Bedürfnissen der Mädchen orientiert. Gerade auf der Stufe der Sekundarschule wird Buben teilweise zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Mit 14 Jahren sind Mädchen bereits Frauen – und die Schüler eben noch Buben. Die Gesellschaft müsste unbedingt einen Blick auf die Schulen werfen: Hier bahnt sich eine unglückliche Entwicklung an.

«Frauen streben keine Ämter an. Ich selber wollte das auch nie.» «Ich betrachte die Familie als die kleinste Zelle der Demokratie.»

Ursula Staub: «Die Politik ist dank den Frauen sozialer und ökologischer geworden.» Fotos: Magnus Leibundgut

Auf der Diplomkarte des Lehrerinneninternats in Menzingen hat sich Ursula Staub als grossen Fan des Skifahrers Bernhard Russi verewigt: «Das tönt jetzt nicht wirklich sehr emanzipiert, dass ich als junge Frau ein männliches Idol und Vorbild angehimmelt habe (lacht).»

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