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«Der Tod lehrt uns, dass das Sterben zum Leben gehört»

«Der Tod lehrt uns, dass das Sterben zum Leben gehört» «Der Tod lehrt uns, dass das Sterben zum Leben gehört»

Der Rettungsdienst des Spitals Einsiedeln hatte im letzten Jahr viel zu tun: «Wegen des Coronavirus mussten wir 2020 siebzig Mal ausrücken», sagt Patrick Krauer, Leiter des Rettungsdienstes. Auch die Wespenplage und viele gestürzte Velofahrer und Langläufer haben zu einem Steigen der Zahl an Einsätzen geführt.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie viele Einsätze hat der Rettungsdienst des Spitals Einsiedeln im vergangenen Jahr geleistet?

Wir hatten letztes Jahr 1122 Einsätze, 2019 waren es 988. Es handelt sich also um eine signifikante Zunahme der Einsätze: Gab es im vorletzten Jahr 716 Notfalleinsätze, waren es im Vorjahr 773 Notfalleinsätze. Ins Gewicht fällt sicherlich die Corona-Pandemie, vor allem

Zur Person

ml. Patrick Krauer ist am 29. Dezember 1974 in Emmen geboren und aufgewachsen. Er hat eine Ausbildung zum Pfleger absolviert und ist als Lagerungspfleger im Operationssaal tätig gewesen. Anschliessend hat sich Patrick Krauer zum Rettungssanitäter ausbilden lassen. Seit dem Jahr 1996 arbeitet er im Ameos Spital Einsiedeln, zuerst als Pfleger, ab 1998 im Rettungsdienst, zuerst als Transporthelfer im Milizsystem. Seit dem Jahr 2010 ist Patrick Krauer Leiter des Rettungsdienstes am Ameos Spital Einsiedeln. Zu seinen Hobbys gehört die Fasnacht (Patrick Krauer ist Mitglied beim Verein Türmli- Gugger in Rothenthurm). Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Einsiedeln.

während der zweiten Welle: Wegen des Coronavirus mussten wir im letzten Jahr siebzig Mal ausrücken. Davon waren 43 Prozent Verlegungen in überregionale Spitäler. Insgesamt sind wir bezüglich Hilfsfristen in 93 Prozent der Zahl der Einsätze unter 15 Minuten geblieben. Hat sich die Zahl der Unfälle im vergangenen Jahr erhöht? Ja. Das können wir feststellen. Zum Teil hat das mit der Witterung im Jahr 2020 zu tun. So mussten wir vermehrt wegen Wespenstichen ausrücken, häufiger als üblich in anderen Jahren. Wegen des Corona-bedingten Lockdowns haben die Leute viel Sport draussen getrieben. Eine Folge davon: Die Zahl der Velo- und Langlauf-Unfälle ist gestiegen. Radfahrer sind häufiger gestürzt, Langläufer haben sich beispielsweise oft an der Schulter verletzt oder sich das Bein gebrochen. Hat das Coronavirus Ihre Arbeit belastet? Das kann man in jedem Fall sagen. Das Virus hat nicht nur zu mehr Einsätzen geführt, weil sich Leute mit dem Covid-19-Virus angesteckt haben oder weil wegen der Pandemie mehr Outdoor- Unfälle passiert sind, sondern auch unsere Arbeit an sich komplizierter gemacht. Wir müssen bei Covid-19-Einsätzen Schutzanzüge tragen: Ein kompliziertes und aufwendiges Prozedere. Wenn etwa ein Autounfall passiert, kann es vorkommen, dass wir im Nachhinein erfahren, dass der verunfallte Autofahrer Corona-positiv gewesen ist. Dementsprechend geraten meine Mitarbeiter in Gefahr, sich bei solchen Einsätzen mit dem Virus anzustecken. Kein Wunder, dass denn auch in unserem Team Leute vom Coronavirus heimgesucht worden sind. Wie hat sich der Abbau eines Ambulanzfahrzeugs auf den Rettungsdienst ausgewirkt? Leider hatte diese Massnahme negative Folgen für unseren Betrieb. Eigentlich wollte der Bezirk Einsiedeln mit dem Abbau eines Ambulanzfahrzeuges Kosten einsparen. Das war dann als Folge davon gar nicht möglich – aus rein logistischen Gründen. Es kommt immer wieder einmal vor, dass es zu Simultan-Einsätzen kommt. Zwei Einsätze fallen zusammen und müssen gleichzeitig erledigt werden: Wenn bereits ein Ambulanzfahrzeug von uns im Einsatz ist, muss dann ein zweites aus Schwyz, Lachen oder Horgen aufgeboten werden. Das ist mit Kosten verbunden. Auch die erhofften Kosteneinsparungen bei unserem Personal sind nicht eingetroffen: Es war uns nicht möglich, einfach Arbeitsplätze abzubauen, nur weil ein Auto weniger zur Verfügung steht. Unter dem Strich hat der Abbau eines Ambulanzfahrzeuges nicht zu dem erhofften Benefit geführt. Seit Oktober haben wir wieder zwei Fahrzeuge im Einsatz. Hat der Besitzerwechsel im Spital Einsiedeln einen Einfluss auf Ihre Strukturen gehabt? Der Wechsel zu Ameos hat keine Spuren beim Rettungsdienst hinterlassen. Der Besitzerwechsel hat sich gut eingespielt, ideal eingebettet. Das neue System hat sich bewährt. Wir sind gut auf Kurs. Welcher Einsatz ist Ihnen im letzten Jahr in Erinnerung geblieben?

Berufskollegen würden bei dieser Frage sicherlich Einsätze erwähnen, bei denen Kinder betroffen waren. Ich erinnere mich eher an Einsätze, an denen die Umstände sehr speziell waren: Wenn etwa auf einer sehr engen Treppe die Trage mit dem Patienten transportiert werden musste, weil es keinen Lift gab. Können Sie selber gut «Blut sehen »? Wenn ich das nicht könnte, wäre ich wohl definitiv an der falschen Stelle beim Rettungsdienst des Ameos Spitals Einsiedeln (lacht). Womöglich ist das «Blut-sehen-Können» etwas, dass man nicht lernen kann, sondern im Blut haben muss. Sind Sie in der Lage, schwere Unglücksfälle gut wegstecken zu können? Es kommt immer wieder einmal vor, dass wir an einen Unfall gerufen werden, bei dem auch uns das Blut in den Adern vor Schreck gefriert. Wir sind ja nicht total abgehärtet: Die Kunst besteht darin, dass wir mit Empathie und Professionalität auf eine solche Situation reagieren können, ohne dass wir selber im Leid versinken. Haben Sie selber Angst vor dem Tod? Klar ist, dass wir beizeiten dem Tod bei unserer Arbeit begegnen mögen. Er lehrt uns, dass das Sterben zum Leben gehört. Vielleicht können wir den Tod aufgrund unserer Einsätze weniger verdrängen, weil er wie ein Damoklesschwert über unserer Arbeit schwebt. Ganz weg fällt damit die Angst vor dem Tod nicht. Vielmehr gibt er uns das Gefühl, wie wundersam jede Kreatur hier auf Erden ihr Dasein fristet.

Patrick Krauer ist seit dem Jahr 2010 Leiter des Rettungsdienstes des Spitals Einsiedeln. Foto: Magnus Leibundgut

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