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Der heilige Meinrad – eine Ballade

Der heilige Meinrad – eine Ballade Der heilige Meinrad – eine Ballade

Meginrat, ein Alemanne edlen Blutes, Stammt nah dem Neckar aus dem schönen Sülichgau. Schon als Knabe war er fleissig und tat Gutes, So kam er in die Klosterschule Reichenau. Der zarte Knabe zeigt sich früh schon als geschickt. Zutiefst gelehrig stets und in der Seele rein, Macht er grosse Ehr dem heil’gen Benedikt Und tritt als Jüngling in den frommen Orden ein. Von der schönen Reichenau zieht er nach Benken, Am obren Zürichsee liegt eine Priorei. Weisheit und Erleuchtung soll der Herr ihm schenken, Nach Jahren ist ihm, dass er hier nicht glücklich sei.

Es führt ihn tiefe Sehnsucht in die Einsamkeit, Am Etzelpass zu einer Quell von kühlem Lauf. Zu kargem Leben ist der fromme Mann bereit, Im Walde schlägt er eine Klausenhütte auf.

Von nah und fern besuchen ihn gar viele Leute, Begehrend nach des frommen Mönches weisem Rat. Eine Kapelle zeugt davon am Pass noch heute, Doch merkt er, dass er seine Ruh verloren hat. Nach sieben Jahren in der Klause geht er fort, Vor der Flut verzagter Menschen muss er fliehen. Bald findet er im Finsterwalde einen Ort, So abgeschieden, dass sich’s lohnt, dort hinzuziehen. Im halben Kreis zieht sich ein Hügel gegen Süden, Reinstes Wasser spendet eine reiche Quelle. Die neue Klause soll sich in die Wildnis fügen, Helfer bauen eine steinerne Kapelle. Fünfundzwanzig lange Jahre wirkt er dort In Abgeschiedenheit und reinster Nächstenliebe. Als Eremit vertieft er sich in Gottes Wort, Doch eines Tags besuchen ihn zwei freche Diebe. Meinrad reicht den beiden Räubern Wein und Brot, Zu stehlen und zu morden ziehn sie durch das Land. Der herzensgute Mönch erahnt den nahen Tod, Doch ohne Furcht begibt er sich in Gottes Hand. Die Diebe glauben wahre Schätze zu erbeuten, Vom Hörensagen loser Zungen wähnen sie, So manche Gabe liege hier von reichen Leuten, Doch nichts ist da als zahm gewordnes Federvieh. Sie fallen über Meinrad her und töten ihn Aus blinder Rache, weil sie nichts erbeutet haben. Aus dem Tal heraus zum See hin woll’n sie fliehn, Des Mordes Zeugen sind zwei kohlenschwarze Raben. Die Raben ziehen Kreise über den Verruchten, Wache Bauersleute werden aufmerksam, Sie finden Meinrads Leiche, als sie nach ihm suchten. Man setzt den feigen Mördern nach, so schnell man kann. In Zürich werden sie entdeckt und gleich verhört. Gnade können sich die Mörder nicht erkaufen, Verurteilt werden sie vom Grafen Adalbert Zum verdienten Tode auf dem Scheiterhaufen. Und pilgerst du zur Waldstatt nah der beiden Mythen, Dorthin, wo ein weltberühmtes Kloster steht, So findest du zwei Raben, die den Frieden hüten Auf einer Fahne, die im frischen Winde weht.

Rudolf Burkhardt (Einsiedeln)

Aus: Rudolf Burkhardt, Zwölf Balladen und ein Epos, Verlag BoD, Norderstedt 2020, ISBN 978-3-7519-5367-2 Illustration: Blockbuch (vermutlich Basel, 1450/1460)

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