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Winter ohne Schnee, trockener Frühling, schöner Sommer

Winter ohne Schnee, trockener  Frühling, schöner Sommer Winter ohne Schnee, trockener  Frühling, schöner Sommer

In der Region Einsiedeln ging 2020 ein weiteres Jahr der Wetterextreme über die Bühne. Es war das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Temperaturmessungen, stellt Stephan Bader, Klimatologe bei Meteo Schweiz, fest: Heftige Stürme, Trockenheit und Schneemangel prägten das letzte Jahr.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Der Blick aus dem Fenster im Klosterdorf erfüllt Liebhaber und Anhänger von Schnee und Eis mit grosser Freude: Über zwanzig Zentimeter Schnee liegen derzeit in Einsiedeln. Das ist nicht selbstverständlich in diesen Zeiten: Der letzte Winter ging als ausserordentlich mild und schneearm in die Annalen ein. Vom Winter war keine Spur zu sehen – und das mitten im Januar. Die Skilifte standen still, die Langlaufloipen präsentierten sich im satten Grün. Ohne Schneekanonen war nichts zu machen: Im Klosterdorf fiel die Wintersaison 2019/2020 komplett aus. Ganze 14 Zentimeter Schnee am 30. Januar 2020 war das Höchste der Gefühle.

Und dann kam der Februar – und mit ihm folgten Winterstürme, die das Land heimsuchten, dass Gott erbarm. Der Orkan «Sabine» hinterliess am 10. Februar beträchtliche Schäden – auch in Einsiedeln: Mit Sturmböen von 115 Kilometern pro Stunde brauste «Sabine» durch das Klosterdorf. Im Bezirk Einsiedeln kam es aufgrund umgestürzter Bäume zu vier Strassensperrungen. Im Ybrig sorgte das Unwetter gar für einen Stromunterbruch.

Orkan tobt im Klosterdorf

Für weitere Turbulenzen sorgte das Sturmtief «Bianca», das mit Pauken und Trompeten am 27. Februar über das Land zog. Im Klosterdorf gab es an diesem Tag Orkanböen von 131 Kilometern pro Stunde (dritthöchster Wert seit Messbeginn).

«Vor allem der Februar 2020 zeigte sich ungewöhnlich stürmisch », bestätigt Stephan Bader, Klimatologe von Meteo Schweiz: «Auf dem Säntis und auf dem Chasseral wurden 25 Sturmtage gezählt.» An beiden Messstandorten sei es der stürmischste Februarmonat seit Messbeginn 1981 gewesen. «In den Tieflagen der Alpennordseite wurde lokal der deutlich stürmischste

° C

Februar seit Messbeginn 1981 aufgezeichnet, so zum Beispiel in Zürich-Kloten mit acht und in Wädenswil mit sieben Sturmtagen », führt Bader aus.

«Schuld» am milden Witterungsverlauf im vergangenen Winter sei ein starkes Hochdruckgebiet über Mitteleuropa gewesen, das sich immer wieder von Neuem aufbaute und Schneetiefs verdrängte», berichtet Stephan Bader. «Just eine solche konstante Wetterlage hat bereits zu einem ersten Schub einer Reihe von sehr milden Jahren Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre geführt.» Klimaerwärmung in Einsiedeln

«Wenn es Niederschlag gab im Winter 2019/2020, dann kam er oft als Regen bis in grössere Höhe», schildert Bader. «Zudem lagen die Niederschlagssummen in Einsiedeln im Dezember 2019 deutlich und im Januar 2020 massiv unter dem Durchschnitt.» Erst der Februar lieferte etwas überdurchschnittliche Mengen.

In Einsiedeln war der vergangene Winter 2019/20 der wärmste seit Einführung des offiziellen Messnetzes im Jahr 1864. Das Klima am Sihlsee hat sich in den letzten vierzig Jahren massiv erwärmt. Das zeigt eine Analyse von regionalen Wetterdaten von Meteo Schweiz.

Gemäss Bader setzte sich der allgemeine Trend zur Erwärmung, der seit den 80er-Jahren beobachtet wird, auch in den vergangenen zwölf Monaten fort.

Dementsprechend fiel auch der Frühling ausgesprochen warm und trocken aus: Im März und April fiel kaum Regen, fast jeden Tag schien die Sonne. Bereits früh im Jahr 2020 bestand Waldbrandgefahr – auch im Bezirk Einsiedeln.

«Der Frühling zeigt in der Schweiz keinen langfristigen Trend zu weniger Niederschlag », betont der Klimatologe: «Die Temperatur steigt nicht nur im Frühling, sondern in allen vier Jahreszeiten signifikant an.»

Alles strömt in die Wälder

Wie wenn er seinen schlechten Ruf aufpolieren wollte, bescherte der letztjährige April besonders kräftige Hochdruck-Verhältnisse: In Einsiedeln wurde mit 926,5 Hektopascal ein Druckrekord registriert. An diesem Standort ist es möglicherweise gar der höchste Aprildruck seit Beginn der Datenreihe im Jahr 1931.

Mitten im Lockdown drängte es Jung und Alt nach draussen in die Natur – dem Coronavirus zum Trotz. Wandern, Joggen und Velofahren erlebten einen Boom und wurden zu Trendsportarten par excellence: Sie profitierten von äusserst günstigen Witterungsbedingungen. Die meiste Zeit über herrschte im Frühling 2020 schönstes Wetter.

Für einmal folgte im vergangenen Jahr kein Hitzesommer. Keinen einzigen Hitzetag erlebte das Klosterdorf. «Hitzetage mit 30 Grad oder mehr sind in der Höhenlage von Einsiedeln selten», beobachtet Bader: «Im heissen Sommer 2019 waren es vier. Die Hitzesommer 2015 und 2003 brachten je fünf Hitzetage in Einsiedeln.» Im langjährigen Durchschnitt sei im Klosterdorf etwa jedes zweite Jahr ein Hitzetag zu erwarten.

«Der Sommer 2020 (Juni bis August) lag in Einsiedeln 0,9 Grad über dem langjährigen Durchschnitt», weiss der Klimatologe: Der Durchschnitt liege bei 14,9 Grad.

Und es gab auch immer wieder einmal ein Gewitter und Regenschauer im Sommer 2020. Nichtsdestotrotz fielen auch der letzte Sommer und gleichsam der Herbst zu warm aus: Sie sorgten dafür, dass in Einsiedeln das zweitwärmste Jahr verzeichnet wurde – seit Beginn der Temperaturmessungen.

Kühler Oktober, milder Februar «Am Messstandort Einsiedeln erreichte das Jahr 2020 einen Jahresdurchschnitt von 8,3 Grad», berichtet Bader: Im Rekordjahr 2018 waren es 8,5 Grad. Auf Rang drei liegen die Jahre 2014 und 1994 mit je 8,1 Grad. «Diese vier Jahre sind in Einsiedeln die einzigen seit Messbeginn 1864 mit 8 Grad oder mehr», konstatiert der Klimatologe.

Der Herbst 2020 war in Einsiedeln insgesamt sehr mild und ausgesprochen sonnig. Die Niederschlagsmengen blieben unterdurchschnittlich. Die Monate September und November brachten milde und sonnige und entsprechend niederschlagsarme Verhältnisse. Der Oktober zeigte sich hingegen kühl und niederschlagsreich und war der einzige Monat im Jahr 2020, der in Einsiedeln temperaturmässig unterdurchschnittlich ausgefallen ist.

«Der Oktober 2020 blieb 0,6 Grad unter dem langjährigen Durchschnitt», stellt Bader fest: «Der Juni brachte in Einsiedeln eine durchschnittliche Temperatur. » Alle übrigen Monate seien im Klosterdorf überdurchschnittlich mild ausgefallen: «Am heftigsten überschoss der Februar mit 4,9 Grad über dem Durchschnitt. » Der Winter 2020/2021 beginnt, wie der letzte geendet hat und insgesamt gewesen ist: Mild. «Der Dezember 2020 war in Einsiedeln ein halbes Grad milder als der langjährige Durchschnitt», hält der Klimatologe fest: «Die trüben Verhältnisse im Dezember wurden vor allem durch die Wolken von Tiefdrucklagen verursacht und nicht durch Nebel.» Eine längere Hochnebelperiode auf der Alpennordseite habe es erst ab Jahresbeginn 2021 gegeben. «Der Saisonausblick der Temperatur für die Monate Februar und März zeigt für die Schweiz momentan eher milde Bedingungen», blickt Bader voraus: «Für die Niederschläge gibt es derweil keine zuverlässigen Saisonausblicke.» Kälter wirds im 22. Jahrhundert

Droht demnächst eine Eiszeit Einsiedeln heimzusuchen, falls der warme Golfstrom zusammenbricht? «Strömungsmessungen und Simulationen mit realitätsnahen Ozeanmodellen zeigen momentan eine relativ stabile Golfstromzirkulation», fasst Bader zusammen: «Aus den heute verfügbaren Daten sowie den Kenntnissen der Physik der Ozeane und des Klimasystems wird aber eine deutliche Abschwächung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts erwartet.» Wie hoch diese Abschwächung tatsächlich sein werde, sei derzeit noch unsicher. «Ein abruptes Zusammenbrechen der Golfstromzirkulation ist für die Wissenschaft jedoch ein äusserst unwahrscheinliches Szenario», sagt der Klimatologe von Meteo Schweiz.

Dass es bereits am Ende des vergangenen Jahres Ausreisser nach unten gab, belegt zumindest die Wetterstation Möösli in Rothenthurm: Dort wurde in der Nacht auf den 27. Dezember eine Tiefsttemperatur von minus 18,9 Grad gemessen: Da musste sich in der Tat warm anziehen, wer in Rothenthurm auf der Langlaufloipe seine Runden drehen wollte. In Einsiedeln wurde derweil am Morgen des 10. Januars 2021 mit knapp 13 Minusgraden die bisherige Tiefsttemperatur im neuen Jahr erreicht.

Endlich fällt wieder einmal Schnee im Winter: Im Dezember 2020 präsentieren sich das Klosterdorf und die Viertel rund um den Sihlsee stimmungsvoll. 37 Zentimeter wurden am 10. Dezember gemessen: Eine Rekordmarke im vergangenen Jahr. Foto: Lukas Schumacher

Der Winter 2019/2020: Weit und breit kein Schnee in Sicht. Der Skilift Roggen in Oberiberg steht mitten im Januar still. Erst ab einer Höhe von 1500 Metern lag vor einem Jahr Schnee. Foto: Wädi Kälin

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