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«Oft liegt im Kleinen so viel mehr Grösse»

«Oft liegt im Kleinen so viel mehr Grösse» «Oft liegt im Kleinen so viel mehr Grösse»

Interview mit Hannah Löw (24), die über den Etzelpass forschte und dafür auch im Archiv des Einsiedler Anzeigers recherchierte

Den Etzelpass haben schon viele überquert. Diese kleine Strasse ist heute eine Abkürzung vom Zürichsee ins Einsiedler Hochtal. Am Anfang war dieser Weg quasi ein Tor in die Wildnis – Sankt Meinrad machte den ersten Schritt. Über den Etzelpass hat Hannah Löw an der Uni Zürich eine interessante Studienarbeit geschrieben.

WOLFGANG HOLZ

Frau Löw, wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, eine Studienarbeit über den Etzelpass zu schreiben? Im Rahmen des Moduls Global Environmental History an der Universität Zürich stellte uns Dozent Marcus Hall die Aufgabe, eine Seminararbeit über einen Ort und seine historische Veränderung zu schreiben. Ich wusste von Anfang an, dass ich einen Ort wählen möchte, zu dem ich einen persönlichen Bezug habe. Auf einem meiner Spaziergänge habe ich dann die Aussicht über die March genossen und auch den Etzel in der Ferne gesehen. Dabei kam mir dann spontan der Gedanke, dass ich doch über diesen Berg schreiben könnte. Durch meine Recherchen rutschte dann der Fokus vom Etzel-Kulm auf den Etzelpass.

Interessant. Geografisch betrachtet ist der Etzelpass mit seinen nicht mal ganz 1000 Metern Höhe eher ein «Pässchen» – für schweizerische Verhältnisse. Andererseits war der Etzelpass ja anfangs so ein Tor von der Zivilisation in die Wildnis. Was fasziniert Sie persönlich am meisten an diesem Weg? Oft liegt im Kleinen so viel mehr Grösse, als wir vermuten, und genau das habe ich auch über den Etzelpass gelernt. Dass in dem «Pässchen» viel mehr historische Bedeutung versteckt ist, als ich gedacht hätte. Im 9. Jahrhundert wanderte der Mönch Meinrad ja auf den Etzelpass hinauf, um sich dort niederzulassen.

Später zog er sich tiefer in den Wald im Bezirk Einsiedeln zurück. Es fasziniert mich, mir vorzustellen, ob der Mönch Meinrad dorthin gelangt wäre, wenn der Etzelpass kein Pass wäre, sondern beispielsweise eine durchgezogene Hügelkette. Wer weiss, ob die Besiedelung im heutigen Bezirk Einsiedeln dann möglich gewesen wäre, und dort überhaupt ein Kloster entstanden wäre. Welchen Fokus haben Sie für Ihre Studienarbeit auf den Etzelpass gerichtet – und welches, würden Sie kurzgefasst sagen, sind Ihre wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse?

Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der Bedeutung des Etzelpasses für die Menschen, die über den Etzelpass gewandert sind und sich im heutigen Bezirk Einsiedeln niedergelassen haben. Dabei hatte der Etzelpass verschiedene Rollen, ein bisschen wie in einem Theaterstück, und ich schreibe darüber, wie sich diese Gesichter gewandelt haben. Das ist ein schöner Vergleich. Was wollen Sie damit genau sagen?

Ein wesentlicher Punkt ist die Bedeutung des Etzelpasses in den beiden Villmergerkriegen, den Glaubenskriegen in den Jahren 1856 und 1712. Auf einer Karte eingezeichnet habe ich die historischen Verbindungswege der Hochwarten der Villmergerkriege studiert. Diese Zeichnung zeigt viele Verbindungen vom Kloster Einsiedeln zu den umliegenden Hochwarten in der Region Zürich und St. Gallen. Daraus lässt sich vermuten, dass der Etzelpass den zentralen Verbindungsweg zwischen der Hochwacht Einsiedeln zu den anderen Hochwachten bildete. Das war für die Menschen in der damaligen Waldstatt Einsiedeln von grosser Bedeutung, da viele Ansässige sich der Kriegsläuferei widmeten. Das heisst, sie zogen gegen Geld in die Glaubenskriege. Vermutlich war der Etzelpass somit ein wichtiger Pfad, der den Kriegsläufern einen Weg zu den anderen Hochwachten ermöglichte. Wie oft haben Sie selbst schon den Etzelpass überquert – auch schon zu Fuss? Eine spannende Frage. Die genaue Anzahl kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall schon oft im Rahmen von Schulausflügen und Familienspaziergängen. Mein schönstes Etzelpasserlebnis war im Sommer 2019. Es war ein Tag, an dem es wie aus Kübeln geregnet hat. Ich hatte einen starken Drang, trotzdem alleine hinaus in die Natur zu gehen. Da bin ich dann eingepackt im Regenschutz zu Fuss von Luegeten gestartet und durch den Waldweg auf den Etzel-Kulm gestiegen. Vom Kulm bin ich dann hinunter zum St. Meinrad auf der Etzelpasshöhe gegangen. Ich war ziemlich durchgefroren, doch ich hab jeden Schritt auf diesem Weg unglaublich genossen. Sie studieren neben Psychologie an der Universität Zürich das Fach Umweltwissenschaften. Seit wann gibt es dieses Fach, und welche Themen umfasst es eigentlich? Wie ich herausgefunden habe, existiert es schon seit 1986. Das Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich beschreibt das Nebenfach Umweltwissenschaften als eine Kombination aus «Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften». Es geht um Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltprobleme, globale Stoffkreisläufe, Biodiversität, wissenschaftliches Arbeiten, Revitalisierungsprojekte und auch beispielsweise um die Idee der Postwachstumsgesellschaft. Also eine Alternative zu unserem jetzigen Wirtschaftssystem, das auf stetiges Wachstum ausgerichtet ist – was in einer Welt mit begrenzten Ressourcen langfristig kollabiert. Bei Umwelt und Klimawandel denkt die Welt heute unwillkürlich an Greta Thunberg. Hatten Sie im Rahmen Ihres Studiums auch schon mit ihr zu tun? Ob Greta Thunberg speziell genannt wurde, bin ich mir jetzt nicht sicher. Ich denke, wenn sie erwähnt wurde, dann eher im Rahmen von Studierenden-Diskussionen. Klimastreiks an sich waren auf jeden Fall schon Thema, und es wird auch regelmässig via Wandtafel dafür geworben vonseiten von Studierenden, worüber ich mich immer freue.

Für Ihre Recherchen konnten Sie auch das Archiv des Einsiedler Anzeigers nutzen. Was haben Sie während Ihrer Lektüre entdeckt – und welche Jahrgänge haben Sie durchforscht? Ja, diese Recherche im Archiv hat richtig Spass gemacht – danke nochmals dafür. Ursprünglich wollte ich in meiner Arbeit zeitlich gar nicht so weit in die Vergangenheit blicken, sondern die Veränderung für die Menschen auf dem Etzelpass seit dem Ausbau der Passstrasse im Jahr 1989 aufzeigen. Deshalb habe ich bei meiner Recherche im Archiv Ihrer Zeitung im Jahre 1989 gestöbert. Dafür durfte ich mit einer Ihrer Arbeitskolleginnen in das Kellerarchiv, wo wir die zwei grossen, dicken Archivbücher des Jahres 1989 hervorgeholt haben. Und mit gross und dick meine ich nicht wie ein Lexikon, sondern gross und dick wie vier aneinander geklebte DINA4-Lexika. Das allein war für mich schon eine Entdeckung. Ich war davor noch nie in einem Zeitungsarchiv gewesen, und ich war neugierig wie ein Kind, darin zu stöbern. Und was haben Sie gefunden?

Ich habe dann Artikel zum Thema Naturschutz, Energiepolitik, Etzelwerk, Schadstoffbelastung des Bezirks Einsiedeln und auch zum Meinradstag gefunden. Die wichtigste Entdeckung für mich war, dass so ein Archiv wie ein unbekanntes Museum ist, in dem es keine Ausstellung gibt, sondern dass ich als Recherchierende selbst einen ausgewählten Einblick in die Vergangenheit kreiere.

Haben Sie auch öfters Einsiedeln und das Kloster besucht im Zusammenhang mit Ihrer Studienarbeit?

In Zusammenhang mit meiner Arbeit habe ich lediglich schriftlichen Kontakt zum Stiftsarchiv des Klosters Einsiedeln gehabt. Von dort habe ich den Tipp bekommen, mich an den Kulturverein Chärnehus Einsiedeln zu wenden. Madeleine Schönbächler des Vereins – ein grosses Dankeschön an sie an dieser Stelle – hat mich dann eingeladen, dass ich Recherchematerial in Form von Büchern, Zeitschriften und Karten abholen kommen dürfe in Einsiedeln. Somit war ich im Rahmen meiner Arbeit in Einsiedeln, jedoch nicht im Kloster. Haben Sie eine Vorstellung, welchen Beruf Sie einmal ergreifen wollen? Die Kombination von Psychologie und Umweltwissenschaften wirkt speziell.

Diese Frage amüsiert mich. Ich höre es nämlich häufig, wenn ich von meiner Studienfachkombination erzähle, dass das doch eine spezielle Mischung sei. Mag sein, dass es auf den ersten Blick speziell wirkt. Doch ich denke, die beiden Fächer überschneiden sich stärker als es auf den ersten Blick scheint.

Wie meinen Sie das?

Unser Alltag ist schliesslich auch durch unsere Umwelt beeinflusst. Durch das Klima, in dem wir leben. Durch lokale Flora, Fauna und durch globale biochemische Kreisläufe. All diese Bedingungen wirken auch auf unsere Psyche. In einer Vorlesung wurde beispielsweise mal erwähnt, dass Probanden einer Untersuchung in heissen Sommern ein höheres Mass an Aggression zeigten. Beruflich sehe ich mich in einer therapeutischen Arbeitstätigkeit. Wie genau diese dann aussieht, weiss ich momentan noch nicht. Schlussendlich ist für mich der entscheidende Aspekt in der Berufswahl, dass es um die Begleitung von individuellen Personen geht, sodass diese mehr Lebensfreude und innere Freiheit erleben können – und dafür gibt es nicht den einen Weg, sondern viele. Könnten Sie es sich auch vorstellen, einmal wie der heilige Meinrad für eine gewisse Zeit lang zurückgezogen in der Wildnis zu leben? Für eine gewisse Zeit kann ich mir vorstellen, ein Einsiedlerleben zu führen. Ich denke aber mehr in der Form von «ich nehme so viel Proviant mit, dass es für vier Wochen oder so langt». Längerfristig möchte ich dann schon die emotionale Verbindung zu meinen engsten Freunden und Bekannten spüren und mich nicht abkapseln. Auch wenn ich die Stille in und mit der Natur genauso brauche und ebenfalls im Alltag geniesse.

Gerne in der Natur unterwegs: Hannah Löw hat eine Studienarbeit über den Etzelpass geschrieben.

«Mein schönstes Etzelpasserlebnis war im Sommer 2019. Es war ein Tag, an dem es wie aus Kübeln geregnet hat.»

Hannah Löw, Studentin

«Ich war davor noch nie in einem Zeitungsarchiv gewesen, und ich war neugierig wie ein Kind, darin zu stöbern.»

Eine alte Karte illustriert den Verlauf des Etzelpasses und den Weg nach Einsiedeln. Fotos; zvg

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