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Grossdädis Dachboden

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ZWISCHENLUEGETEN 3

IDA OCHSNER

Mein Grossdädi warf nie etwas weg. Er war noch von der Generation, die alles selbst flickte und reparierte. Als ich klein war, hat mich Grossdädi oft in seine Werkstatt mitgenommen, die sich auf dem Dachboden unseres stattlichen Bauernhauses befand.

Wenn er dort schaffte und hämmerte, rieselte unten in der Stube der Staub durch die Täferdecke, was mein Grossmutti zur Verzweiflung brachte. Draussen gabs zwei Kammern, in denen geräuchert wurde: die grössere für Speck, die andere für Fisch.

In Grossdädis Werkstatt stand auch eine uralte Hobelbank. An der Wand hingen Dutzende Stechhebel, Hobel und Schraubzwingen. Auf der Hobelbank standen leere Konservendosen mit Nägeln aller Länge. Stundenlang half ich meinem Grossdädi, Nägel zu sortieren. Auch wenn die rostig oder krumm waren, seien sie immer noch etwas wert. Er erklärte mir alles in seinem weiss-gerippten Unterhemd und in blauer Hose. Ich liebte diese vielen Gerüche von getrockneten Blumen, Gewürzen und Ästen, dem Speck und dem Fisch und weiter hinten, bei den grossen Truhen, die frisch gewaschene Wäsche, die zum Trocknen an der Leine hing.

In der Mitte von Grossdädis Dachboden hing ein geschnitzter Gekreuzigter, ohne Arme und ohne Kreuz mit einem völlig misslungenen Antlitz. Um den Mund herum lächelte er ein bisschen, die Augen hingegen waren fast weinend. Dem Pfarrer erklärte er, dass er den Herrgott nicht besser hinbekommen habe. Aber den Segen hätte er schon.

*

Ida Ochsner (62) besuchte kürzlich das alte Bauernhaus. Es interessierte sie nur der alte Dachboden. Und siehe da, das «Meisterstück, der Herrgott»,hing noch dort. Heiri Strohmayer (65), als Winzer mit einem grossen Anwesen, verstand alles.

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