Er ist in vielen Belangen ein Vorbild
Der aufgestellte und begeisterte Sportfan Bruno Zehnder wird morgen 65 und in Kürze pensioniert
Auch wenn es ihn etwas ärgert, dass er wegen Corona kein Geburtstagsfest feiern kann, auf seine geliebten Bahnfahrten verzichten muss und zurzeit keine Sportanlässe besuchen kann, so lässt er sich seine gute Laune trotzdem nicht verderben, der leutselige Jubilar Bruno Zehnder.
MARLIES MATHIS
Der grösste Wunsch zu seinem Geburtstag, endlich wieder einmal in der Zeitung zu erscheinen, wird dem 65-jährigen Bruno Zehnder mit diesem Artikel erfüllt. Allerdings musste das Interview dazu wirklich verdient werden.
Jede Kälte geht vergessen
Da Bruno in einer Drei-Männer- Wohngemeinschaft der Stiftung Behindertenbetriebe im Kanton Schwyz (BSZ) an der Grotzenmühlestrasse in Einsiedeln wohnt, gelten verständlicherweise strenge Corona-Vorschriften. Deshalb darf ich ihn nicht in seiner Wohnung besuchen und die Restaurants oder Cafés sind geschlossen. So bleibt uns nur die Variante freie Natur und das bei Minus-Temperaturen, mit Maske und genügend Abstand und Bruno wie immer überpünktlich schon draussen am Warten!
Mit klammen Fingern und mit Bleistift, da der Kugelschreiber einfror, notiere ich Brunos Antworten, die so erfrischend, sprich offen und teilweise überraschend sind, dass bald jegliche Kälte vergessen ist und sie mir eine eigentliche innere Wärme geben. Das ist wohl gerade das Geheimnis von Bruno, dass er mit seiner direkten, frohen, interessierten und vorwärtsschauenden Art sofort Kontakt zu seinen Mitmenschen findet, sodass man gar nicht anders kann, als ihn grad ins Herz zu schliessen und diese positiven Eigenschaften einen auch seine geistige Behinderung einfach vergessen lassen.
Ein Fest bleibt verwehrt …
Logisch, dass zu Beginn des Gesprächs Corona ein Thema ist, verhindert doch das Virus, dass Bruno seinen Geburtstag morgen Samstag gebührend feiern kann, so wie er sich das eigentlich gewünscht hätte. Sofort beginnt er nämlich von seinem 60. Wiegenfest zu erzählen, wie er dieses im Schiessstand Riet feiern durfte, dank seines Bruders Fredi und dessen Frau Carla, welche das Fest organisiert hatten. 34 Personen seien sie gewesen, erzählt er voller Begeisterung. Nebst seinen Geschwistern und deren Familien viele Freunde und Freundinnen, die er bei all seinen Hobbys gefunden hat. In seinem Erinnerungsalbum an diesen gefreuten Anlass, das wir gemeinsam anschauen, sind zahlreiche Gesichter aus seinem Bekanntenkreis vom Fussball, Volleyball und vom Jassen zu sehen.
Plötzlich entdecken wir bei diesen Fotos auch seinen Fussballförderer Meiri, der ihm von Beginn weg ermöglicht hatte, seit gut 30 Jahren an der Einsiedler Fussballschule teilzunehmen, was für den FC-Einsiedeln- Fan Bruno zu den sportlichen Höhepunkten im Jahr zählt und worauf er sich jeweils schon wochenlang im Voraus freut. Seit einigen Jahren ist er gar vom Spieler zum Trainer aufgestiegen und darf seine Leidenschaft und sein Können den jüngsten Fussballern mitgeben.
Darauf angesprochen, ob er auch so traurig war und weinen musste wie ich, als unser Vorbild Meiri unverhofft gestorben ist, schaut mich Bruno an und sagt: «Ich war schon sehr traurig. Ich kann aber nicht so gut weinen, wenn jemand stirbt. Nur wenn ich Zwiebeln schneiden muss, weine ich ganz stark!» Genau solche unerwarteten und direkten Antworten sind typisch für ihn und relativieren Situationen oder halten mir einen Spiegel vor. Manchmal sollte ich mir wohl ein Beispiel an ihm nehmen, denke ich für mich. … aber die Freude kann man nicht einsperren Was er denn jetzt so tue, wenn er frei habe, aber nichts machen und keine seiner geliebten Bahnfahrten unternehmen könne, will ich vom immer gleich jung scheinenden, ehemaligen Bennauer wissen. Es schütteln nämlich alle ganz ungläubig den Kopf, als sie erfahren, dass er morgen das Pensionsalter erreicht. Auch seine Nachbarn Denise und Philipp, auf deren Hilfe er immer wieder einmal zählen kann, wenn sein Fernseher spuckt oder er sonst Unterstützung braucht, aber nicht gerade Corona herrscht, fragen nochmals nach, ob sein Alter wirklich stimme. Der schlanke und «faltenfreie » Bruno bejaht strahlend und fügt mit spontaner Herzlichkeit an: «Denise ist so eine Liebe, ja, und ihr Mann auch!» Gerade der Fernseher ist für ihn zurzeit der wichtigste Unterhalter, kann er doch wenigstens Skirennen, Skispringen, Langlauf, Biathlon oder Eishockey schauen und sich an den Schweizer Leistungen freuen, wenn er schon nicht live dabei sein kann. Voller Stolz erzählt er dann, dass er im Wendy-Holdener- Fanclub sei und mit diesem sogar schon in Sölden war und seine Lieblingsskirennfahrerin direkt an der Skipiste anfeuern konnte. Aber auch den Speng-ler Cup hat er sehr vermisst, und auch in diesem Zusammenhang teilt er freudig mit, dass er schon von Kollegen einfach so eingeladen worden sei, an einem Match in Davos vor Ort dabei zu sein und mitzufiebern, für ihn eine unvergessliche Erinnerung. Zum Glück gibt es Freunde
Im Sommer sei er auch im «Donnschtigjass» auf dem Ballenberg gewesen, als die Familie Nussbaumer-Kälin mitgespielt habe, erzählt er mit derselben Begeisterung weiter. Auch da habe ihn eine Kollegin ganz unverhofft gefragt, ob er sie begleiten wolle und er habe natürlich sofort zugesagt. Und sie hätten Glück gehabt, dass sie einen Platz ergattern konnten, hätten sie doch nicht zum Voraus Billette gekauft, aber sie seien trotzdem hineingelassen worden, erzählt er lachend weiter. Auch hier drückt er wieder durch, der unerschütterliche Optimismus, aber ebenso die positive Einstellung, dass es schon gut kommt, wenn man etwas wagt.
Jassen ist ja ebenfalls eines seiner geliebten Hobbys, und das könne er jetzt nebst Eile mit Weile sogar mit seinem WG-Partner und besten Freund Christian tun, er habe ihm das Spiel beigebracht. Dabei vergisst er nicht zu erwähnen, dass er Jassen bei seiner Frauenrunde, zu der auch ich gehören darf, und seinem Freund Herbert, der jetzt in Costa Rica lebt, vor vielen Jahren gelernt habe. «Der hat übrigens heute, an Silvester, grad Geburtstag, da denke ich immer daran.» Auf mein Staunen ergänzt Bruno: «Geburtstage kann ich mir eigentlich alle merken, nur Namen nicht. Und lesen kann ich auch nicht, aber die Zahlen kenne ich und ich schaue immer alle Bilder im Einsiedler Anzeiger an. Ebenso finde ich immer jemanden, der mir die Sport-Artikel in der Zeitung vorliest, da bin ich oft froh um unsere Betreuerinnen. » Auf die Frage, wie er sich denn beim Eisenbahnfahren zurechtfinde, meint er ganz lakonisch: «In Biberbrugg musst du einfach aufs Gleis 4 und in Luzern aufs Gleis 2, wenn du wieder heimkehren willst, und weil ich ja den Fahrplan nicht lesen kann, muss ich halt manchmal warten, posten oder zum See hinübergehen, bis der nächste Zug fährt. Und sonst kann ich immer noch jemanden fragen, das macht mir gar nichts aus. Ausser ich habe Pech, dass die Leute nicht (schweizer-) deutsch reden, wie die Schweden, die ich einmal in der Rigibahn angesprochen habe, aber es war sehr lustig.» Diese Gelassenheit und diese Einstellung wären uns allen manchmal zu wünschen, sinniere ich vor mich hin. Er jedoch unterbricht meine Gedanken mit den Worten: «Und vergiss bitte nicht zu schreiben, dass ich euch, meine Jassfrauen, sehr gerne habe!» Aber auch diese gemütlichen Runden müssen zurzeit leider ausfallen.
Nicht langweilig Am Montag, 25. Januar, wird Bruno Zehnder nach über vier Jahrzehnten bei der BSZ, in den letzten Jahren in der Holzverarbeitung, auch seinen letzten Arbeitstag und dann noch vier Tage Ferien haben, wie er betont, und er freut sich sehr auf seine Pensionierung. Auf die Frage, was er dann wohl vermissen werde, meint er: «Nichts und niemanden. Ich kann ja alle, die mir wichtig sind, wieder sehen.» Aber er werde am letzten Freitag im Januar sicher noch für seine Gruppe Kaffee und zwei mit Hilfe selber gebackene Kuchen – Schoggi und Zitrone – vorbeibringen, rundet er, der Dessert selber so liebt, dieses Thema ab.
Er würde ja gerne mehr kochen und backen, aber diese Arbeiten seien nicht seine Stärke; er möchte es jedoch gerne lernen und jetzt habe er doch dann Zeit dafür. Das hat er auch in sein Zukunftsbuch geschrieben, das er während des vergangenen Jahres zusammen mit der Betreuerin Vanessa Kälin erarbeitet hat und das ihm im Hinblick auf seine vielen freien Tage eine sinnvolle Planung seiner Zeit und Aktivitäten erleichtern und ihm dabei Unterstützung bieten soll. Natürlich habe er noch seine Ämtchen im Haushalt, und er wasche seine Wäsche selber, weil er das jahrelang in der BSZ gemacht und darin Erfahrung habe und ihm diese Arbeit auch gefalle. Er würde im Sommer sogar gern beim FC Einsiedeln helfen, die Tricots zu waschen.
Ob die Träume wahr werden?
Träume habe er schon auch noch, antwortet Bruno auf die entsprechende Frage. So möchte der Fussballfreund gerne einmal einen Match von Bayern München im riesigen Stadion erleben, was aber wohl unmöglich sein werde, aber er tröste sich halt einfach mit Fan-Artikeln, auch vom FC Basel oder eben vom HC Davos. Und dann möchte er endlich einmal eine Freundin haben, hätten doch sonst auch fast alle eine. Ob es wohl daran liege, dass er schon zu alt oder beim Essen so heikel sei, fragt er mich. Leider kann ich ihm darauf auch keine Antwort geben und helfen schon gar nicht. Aber zum Glück ist Bruno ein Stehaufmännchen, und schon verdrängen wieder positive Sätze seine für einen Moment trüben Gedanken.
Nun schleicht nach eineinhalb Stunden intensiven Gesprächs definitiv die Kälte in unsere Glieder, und wir stellen fest, dass wir beide den Winter nicht mögen und uns jetzt schon wieder auf die warmen Jahreszeiten freuen. So sind wir froh und dankbar, dass wir an die Wärme zurückkehren dürfen, und es überrascht angesichts des kalten Silvestertages nicht, dass Bruno mit seiner bescheidenen und einnehmenden Art am Schluss einen gewiss erfüllbaren Wunsch äussert: ein Paar warme schöne Handschuhe!
Zum Glück kann man in der Corona-Zeit den Abstand wegzoomen! So gibt man dem morgen Samstag seinen 65. Geburtstag feiernden Bruno Zehnder sein Alter überhaupt nicht. Foto: Marlies Mathis
Fan Bruno kann niemand ein Föteli verwehren, deshalb präsentiert er sich hier voller Stolz und Freude mit seinem Skiidol Wendy Holdener. Fotos: zvg
Zusammen mit dem jungen Damenteam des Volleyballclubs feiert Bruno wie so oft mitten drin, sogar im selben Tricot, strahlend den Sieg.
Da ist Präzision, Sorgfalt und Fleiss gefragt: Bruno Zehnder ist ein eigentlicher Profi in der Holzverarbeitung der BSZ, aber nur noch bis Ende Januar, dann wird er pensioniert.