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Mensch – wo bist du? Versteck dich nicht

Mensch – wo bist du? Versteck dich nicht Mensch – wo bist du? Versteck dich nicht

In der Neujahrsnacht trugen die Mönche des Klosters Gedichte von ihrer Mitschwester Silja Walter (1919–2011) vor, auf die Abt Urban Federer in seinen Gedanken reagierte. In der folgenden Zusammenfassung werden aus diesen Gedichten nur einzelne Verse

wiedergegeben.

ABT URBAN FEDERER

2020

«Siehe, das Jahr / Wird seine letzte Runde / zu Ende drehen, / ankommen, / stehen / bleiben und ruhen / vor dir / heute Nacht.» Wir kommen am Ende des Jahres zur Ruhe und bleiben kurz stehen. Was beschäftigte uns im vergangenen Jahr? Da sind unsere Ängste um Arbeit und Familie, das Alleinsein, das Getrenntsein, unsere Perspektivenlosigkeit. Andere beklagen ihre Verstorbenen. Dieses Jahr hat uns besonders an unsere Endlichkeit erinnert, an den Tod. Viele sind gestorben, verglichen mit anderen Jahren zu viele. Ich möchte für unsere Toten eine Kerze entzünden.

«Was kommt auf uns zu heute Nacht?»

Das ist nicht nur eine Silvester- Frage. Viele stellen sie tagtäglich – in Einsamkeit. Für die Einsamen möchte ich eine zweite Kerze entzünden. Die Einsamen begehren ein Licht in ihrer Dunkelheit. Wenn ich dann noch eine dritte Kerze entzünde, dann für alle, die aus Angst nicht aufstehen können. Für die es keine Auferstehung gibt, weil die Angst um Arbeit und Familie sie zuschnürt, weil sie Angst vor der Angst haben.

«Grunderfahrung – eine solche ist der erste Ruf in der Bibel an den ersten Menschen: ‹ Wo bist du?› Ein Ruf setzt Beziehung voraus. » Kreisten in diesem Corona-Jahr nicht all unsere Gedanken um Beziehungen? Wie kann ich wen noch treffen? Wie jemandem begegnen, ohne die Hand zu geben? Plexiglas- und Online-Beziehungen. Aber was ist mit den Umarmungen und Küssen, mit der Wärme in der Stimme und der festen Hand? Da fragt Weihnachten: Mensch, wo bist Du? Und Gott gibt Antwort: Gott kommt uns entgegen, er teilt unser Leben. Weihnacht ist überraschende Antwort. So darf ich auch im neuen Jahr glauben und vertrauen, dass Gott uns sucht, uns entgegenkommt. Und dass er dort, wo ich mich verkrieche und alle Beziehungen abbreche, mir die Frage stellt: Wo bist du? «Ist Gottes Geburt in dir, / Mensch. / Ist ewige Weihnacht in dir, / Mensch. / Zuunterst im Grund. / Schau in den Wasserspiegel hinein, Mensch. Du hast alles in dir: Den Hirten, den König, den Stern und das Tier.» Tatsächlich habe ich alles in mir, auch das Tier, das ungebändigte, das wilde. Gerade deswegen soll Weihnachten in mir werden. Der Glaube fürchtet die Zukunft nicht, die Hoffnung vergräbt sich nicht im Corona-Jahr. Weihnachten lässt mich ganz im Augenblick leben, in mir. Denn zuunterst in meinem Grund wird Gott Mensch und macht mich zum Menschen, indem er mir Anteil gibt an seiner Göttlichkeit. Ja, Weihnachten macht uns zu Kindern Gottes. In dieser Würde dürfen die letzten Minuten dieses Jahres verharren, dürfen diese Würde auskosten.

2021

«Liebe Mitfeiernde, im Namen unserer Klostergemeinschaft wünsche ich Ihnen Gottes Segen und alles Gute im neuen Jahr 2021!

Ich verspreche Ihnen für das neue Jahr nicht weniger Verzicht. Ich sage nicht, alle Einschränkungen seien jetzt dann weg. Ich verspreche Ihnen nicht etwas, was an unserer Realität vorbeigeht. Und ich will auch nicht vergessen, wofür die drei Kerzen hier stehen: für die Toten, für die Einsamen und für die von Ängsten Geplagten.

Der Gedanke an unsere Endlichkeit, an den Tod kann uns aber Mut machen, im Hier und Jetzt zu leben. Ich möchte Mut machen, den Augenblick nicht zu fliehen, sondern zu leben, aufzustehen, weil wir in uns Frieden haben, göttlichen Frieden.

Und ich darf Ihnen auch im neuen Jahr von Weihnachten erzählen, wo Gott nach meiner Beziehungsfähigkeit fragt, wo er mir auch in den schlimmsten Situationen die Frage stellt: «Wo bist du? Verstecke dich nicht. Ich bin da, ich komme dir entgegen. » Ja, der Glaube fürchtet die Zukunft nicht und die Hoffnung lässt mich nicht verlieren in der Vergangenheit. Ich wünsche Ihnen allen die Erfahrung der Liebe Gottes. Denn wer sich geliebt fühlt, ist selbst fähig für die Liebe. Dafür, und für Ihre persönlichen Wünsche und für Ihre Liebsten möchte ich Ihnen den Segen Gottes spenden. Wir wünschen Ihnen ein friedvolles Hineingehen ins neue Jahr.

«Der Gedanke an unsere Endlichkeit, an den Tod kann uns aber Mut machen, im Hier und Jetzt zu leben.» – Abt Urban Federer. Foto: zvg

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