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Das Monatsgespräch im Dezember

Das Monatsgespräch im Dezember Das Monatsgespräch im Dezember

Franziska Keller trifft Lisbeth Hensler, baldige Pensionärin mit Wurzeln im Engadin

Jahrgang: 1955 Bürgerort: Einsiedeln Geburtsort: Zürich Wohnort: Einsiedeln Wegen Covid19 mussten wir unseren ersten Termin verschieben. Nun besuche ich Lisbeth Hensler in ihrer weihnächtlich dekorierten Stube am Ziegeleiweg. Zusammen mit ihrer aus der Heimat angereisten Zwillingsschwester Käthi hat sie den ganzen Tag Weihnachtsguetzli gebacken. Schade, dass ich noch immer nichts rieche … Kurz vor ihrer Pensionierung stehend, erzählt sie mir in ihrem geheizten Wintergarten mit schöner Aussicht zum Dorf über die Krankenpflege von früher zu heute, Wünsche und ihre eigene Befindlichkeit so kurz vor der Pensionierung. Selten trifft man einen zufriedeneren Menschen. Was gehört für dich in die Adventszeit?

Zeit nehmen fürs «Guetzlen» und für Besuche – in diesem Jahr halt weniger als sonst. Gewöhnlich fahre ich ins Engadin, um meine Verwandten und den Rorategottesdienst zu besuchen.

Als unsere Kinder klein waren, genoss ich es sehr, ihnen die Weihnachtsgeschichte zu erzählen, mit ihnen Weihnachtslieder zu singen und Geschenke zu basteln, sie im Advent auf Weihnachten vorzubereiten. Was vermisst du im Advent 2020? Viel … die Spaziergänge durch den Weihnachtsmarkt fehlen mir, wie auch die Gottesdienste. Man kann ja schon in die Kirche, aber durch diese Anmelderei kann man sonntags gar nicht mehr spontan sein.

Ich singe gerne und besuche ebenso gerne Weihnachtskonzerte – diesmal ist alles anders. So verbringe ich viel Zeit daheim, nehme öfter ein Buch aus dem Regal oder höre Weihnachtsmusik. Und mir fehlen die Besuche, weil man das ja nicht Foto: Franziksa Keller

soll. Sogar unsere eigenen Kinder haben vorsichtig nachgefragt, ob sie an Weihnachten kommen dürfen, aber das familiäre Feiern lass ich mir nicht nehmen.

Beschenkt ihr euch?

Geschenke haben wir schon vor Jahren abgeschafft. An die Schenkerei musste ich mich erst gewöhnen, weil ich dies aus meiner Kindheit nicht kannte und erstaunt war, wie dann unsere Kinder von den Grosseltern und Verwandten beschenkt wurden. Heute wichteln wir nur noch innerhalb der Familie, was mir eher entspricht. Als ausgebildete Krankenpflegerin FASRK hast du 40 Jahre bei der Spitex Einsiedeln gearbeitet. Erzähl uns doch bitte von damals. Von 1980 bis 1995 arbeitete ich beim damaligen Krankenpflegeverein, bis 1987 mit den beiden Ingenbohlerschwestern Norberta und Wunibalda. Dies waren noch ganz andere Zeiten. Neben der Pflege schrieben wir von Hand die Rechnungen und führten eine «Milchbüechli »-Buchhaltung. Der Besuch kostete damals noch zwei bis fünf Franken. 1986 übernahm ich das Präsidium des Krankenpflegevereins. Zusammen mit Heidy Kälin und Anna Andres bereitete ich den Zusammenschluss des Krankenpflegevereins mit dem Verein Familienhilfe zur heutigen Spitex vor, welcher 1994 vollzogen wurde. Heute hat sich die Spitex zu einem Betrieb mit rund 40 Mitarbeitenden entwickelt, eine unglaubliche Entwicklung. Was hast du eher als mühsam empfunden? Nichts … früher wirklich nichts. Mühsam war im Winter höchstens der Schnee. Später dann der Leistungsdruck und die fehlende Zeit für die Pflege. Deinem Dialekt nach hört man, dass du eine Auswärtige bist. Hat man dir dies zu spüren gegeben?

Nein, die Klientinnen und Klienten freuten sich eher, als sie bemerkten, dass ich aus dem Bündnerland komme.

Du bist offiziell seit dem 30. Mai 2019 pensioniert. Hast du dich auf deinen neuen Lebensabschnitt gefreut? Ich habe mir vor Ende Mai gar keine Gedanken darüber gemacht, weil ich meinen Beruf immer leidenschaftlich gerne ausgeübt habe und deshalb auch nicht die Tage auf meine Pensionierung hin zählte. Je näher der Termin kam, desto stärker kam die Frage aber in mir hoch: «Ich pensioniert? Was mache ich nachher?» Daher kam es mir entgegen, als ich gefragt wurde, ob ich verlängern könnte. Und dann kam Corona – da war meine Chefin sehr dankbar, dass sie mich jederzeit als Springerin einsetzen konnte. Vor allem im Herbst bei der zweiten Welle. Schon im Sommer habe ich aber entschieden, dass ich Ende 2020 definitiv aufhören werde. Irgendwann ist der richtige Zeitpunkt – nun ist es so weit und es ist für mich gut. Wenn künftig morgens der Wecker klingelt, bist du frei. Was wird sich bei dir verändern? Als erstes klingelt mein Wecker nicht mehr! Ich höre den Wecker von Reto und werde mich genüsslich noch einmal auf die andere Seite drehen. Dann werde ich «pacific» (= langsam) zmörgele, was sich, zusammen mit einer Zeitschrift, dem EA oder einem Buch, bis zu einer Stunde hinziehen kann. Dann kommt das Haushalten, Einkaufen, Mittagessenkochen. Ich werde bestimmt öfter spazieren gehen. Wie sieht für dich ein perfekter Tag aus? Für mich ist ein perfekter Tag, wenn ich aufstehen kann, mich gut fühle und ein Ziel habe. Ich freue mich auch darauf, für meinen Mann und mich fein zu kochen und wieder mehr Zeit für unsere Beziehung zu haben – auch wenn Reto ja noch nicht pensioniert ist. Es ist wichtig, sich in diesem neuen Lebensabschnitt Zeit füreinander zu nehmen, füreinander da zu sein und etwas zu erarbeiten – gerade in der veränderten Lebensphase. Du bist in St. Moritz aufgewachsen. Zieht es dich irgendwann wieder in deine Heimat und zu deiner Zwillingsschwester? Nein, inzwischen bin ich hier, wo wir unsere Kinder grossgezogen haben, daheim. Aber ich besuche Käthi liebend gerne in Zernez. Was würdest du verändern, wenn du die Macht hättest? Ich bin ein glücklicher Mensch … würde eigentlich gar nichts verändern … vielleicht wünschte ich mir weniger Egoismus bei den Menschen. Wo wird man dich künftig treffen – also wenn nicht gerade wegen Corona alles abgesagt ist? Als begeisterte Sängerin im Frauenchor oder irgendwo im Dorf. Wo meine Hilfe gebraucht wird, helfe ich gerne mit. Was ist dir wichtig im Leben?

Meine Gesundheit und dass ich zufrieden bin.

Hast du Wünsche oder Ziele, die du noch realisieren möchtest?

Ich bin froh, wenn ich gesund bleiben darf und Energie für all das habe, was ich im Alltag machen möchte.

Von Franziska Keller

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