«Ich fühle mich hier sehr wohl»
Einsiedelns Skispringer Killian Peier (25) im Interview zu seiner Verletzung, seinen sportlichen Zielen und seiner Vorfreude auf Weihnachten
Während seine Kollegen durch die Lüfte fliegen, geht Skispringer Killian Peier noch an Krücken – wegen seines Kreuzbandrisses, den er sich im Oktober zugezogen hat. Trotzdem ist der 25-jährige Einsiedler guter Dinge und freut sich auf Weihnachten. Und er hat noch grosse Pläne, wie er im Interview verrät.
WOLFGANG HOLZ
Antti Aalto und Michael Hayboeck sind jüngst bei den Skiflugweltmeisterschaften in Planica weit über 200 Meter geflogen. Möchten Sie da nicht am liebsten auch gleich wieder auf die Schanze, Herr Peier? Ja, absolut. Ich habe mich gefreut für Antti, den ich persönlich kenne. Er hat eine gute Leistung gebracht. Die Schanze in Planica scheint exzellent präpariert. Und auch der Nebel hat den Springern geholfen – das gibt dicke Luft, die für mehr Druck unter dem Ski sorgt. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Springen von der Grossschanze und dem Skifliegen? Wenn einem auf der Skiflugschanze ein guter Sprung gelingt, hat man tatsächlich als Skispringer das Gefühl, nicht nur aufwärts, sondern auch vorwärts fliegen zu können. Beim Skifliegen sind wir ja etwa fünf bis sieben Sekunden in der Luft, beim Springen von der Grossschanze drei bis vier Sekunden. Leider können Sie zurzeit nicht auf die Schanze wegen Ihrer Verletzung. Wie geht’s Ihrem Knie aktuell? Relativ gut. Ich war neulich beim Arzt und er sagte, es sei alles in Ordnung. Ich kann jetzt auch wieder Druck aufs Bein ausüben. Allerdings muss ich jetzt erst einige Muskeln wieder aufbauen, die sich durch die Verletzung zurückgebildet haben. Und bis ich ohne Krücken gehen kann, wird es wohl noch einen Monat dauern.
Wie ist es für so einen Spitzensportler, plötzlich untätig sein zu müssen und sich nicht mehr frei bewegen zu können? Das ist schon schwierig, plötzlich ans Bett gefesselt zu sein und sich nicht mehr sportlich bewegen zu können. Vor allem schwindet dabei die Fitness. Ich versuche, trotzdem aktiv zu bleiben und immer etwas zu tun. Ich halte beispielsweise Kontakt zu meinen Springerkollegen, indem ich sie öfters anrufe. Ich lese viel. Sachbücher über Motivation und mentales Training zum Beispiel. Im Augenblick lese ich auch den Kriminalroman «La verité sur l’Affaire Harry Quebert» von Joel Dicker – das ist ein bekannter Schweizer Autor in der Romandie. Bald ist Weihnachten. Freuen Sie sich schon darauf? Ja, ich freue mich auf Weihnachten. In einem normalen Jahr ist dieses Fest ein Treffpunkt für die ganze Familie. Man nimmt sich Zeit für Verwandte und erfährt das Neueste in der Familie. Wir sind zwar keine riesengrosse Familie, aber Onkel und Tante kommen schon zu uns auf Besuch … … und jetzt mit Corona? Wie werden Sie Weihnachten feiern? Bleiben Sie in Einsiedeln? Nein, ich werde schon meine Eltern zu Hause in La Sarraz besuchen. Das ist eine kleine Gemeinde zwischen Lausanne und Yverdon-les-Bains. Allerdings werden wir dieses Mal ohne Verwandte feiern. Was die Weihnachtsgeschenke betrifft, habe ich schon einige Ideen, aber noch nicht viele eingekauft. Meine Eltern haben mich übrigens schon zweimal in Einsiedeln besucht, seitdem ich verletzt bin. Sie haben mich mental unterstützt und das eine oder andere Mal zur Physio gefahren – denn unmittelbar nach der Verletzung war es doch etwas beschwerlich für mich. Haben Sie eigentlich manchmal Heimweh nach der Romandie? Nein, ich glaube nicht mehr wirklich. Sicher bin ich immer wieder gerne zu Hause bei meinen Eltern und ich habe ja auch noch Kollegen und Freunde dort. La Sarraz ist ein kleines Dorf und sehr ruhig. Aber in Einsiedeln ist es auch sehr ruhig, und ich fühle ich mich sehr wohl hier. Ich wohne gern in Einsiedeln – und das nun schon seit acht Jahren. Zuerst vier Jahre in der Klosterschule, dann zwei Jahre in Trachslau – und seit zwei Jahren in Einsiedeln. Das Schöne am Klosterdorf ist, dass man sich innerhalb von fünf Minuten mitten in der Natur befindet und den Sihlsee in unmittelbarer Nähe hat. Und im Winter brauche ich nur über die Strasse zu gehen – und schon bin ich auf der Schwedentritt- Loipe. Sind Sie denn ein ambitionierter Langläufer? Nein, gar nicht. Ich mag es, ganz gemächlich 45 Minuten auf der Loipe zu skaten. Wenn die Sonne scheint, hat man den blauen Himmel über sich und vor sich das glitzernde Weiss. Und wenn es schneit, muss man in der Loipe gegen die Schneeflocken ankämpfen – das ist cool. Leider muss ich wegen meiner Verletzung nun wohl noch etwas mit dem Langlaufen warten. Schon letztes Jahr war ich nicht auf der Loipe, weil ich an den zwei, drei Tagen, an denen man wegen des Schneemangels nur laufen konnte, unterwegs war. Schön. Wie nehmen Sie denn als gebürtiger Romand den Röschtigraben hier wahr? Ich fühle mich, wie gesagt, inzwischen in Einsiedeln wie zu Hause. Es ist hier sehr angenehm. Vielleicht geht es in der Romandie noch etwas langsamer und gemütlicher zu. Wir haben ja in der Westschweiz immer eine Viertelstunde Spielraum bei einem Termin, wogegen in der Deutschschweiz Pünktlichkeit angesagt ist. Was gefällt Ihnen an Einsiedeln noch ausser den Schanzen zum Trainieren? Neben der Natur gefällt mir, dass es in Einsiedeln eigentlich so alles gibt, was man zum täglichen Leben braucht: verschiedene Geschäfte, Kino, Cafés. Es freut mich natürlich auch, dass ich noch meine Skisprungfreunde hier in Einsiedeln habe.
Sie leben in Einsiedeln mit Ihrer finnischen Freundin zusammen. Wollen Sie irgendwann heiraten? Darüber haben wir auch schon diskutiert. Ich denke, es ist durchaus möglich, dass es so weit kommt – aber persönlich bin ich noch nicht so weit.
Momentan ist ja viel Privatleben angesagt, weil das öffentliche Leben eingeschränkt ist. Die Corona-Lage hat sich wieder verschärft. Sie selbst steckten sich auch mit Corona an. Wie ist es Ihnen ergangen? Ich hatte zum Glück nur eine dreitägige Grippe mit etwas Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen im Rücken sowie Augenschmerzen. Jetzt habe ich keine Beschwerden mehr. Corona kann aber durchaus gefährlich sein – auch für uns Athleten. Zwar müssen wir Skispringer nicht eine Ausdauerlunge haben. Aber bei den Langläufern habe ich schon Verständnis dafür, dass sie momentan sehr vorsichtig sind. Ich habe mich wahrscheinlich im Trainingslager mit Corona angesteckt – obwohl ich immer sehr vorsichtig gewesen bin und die Hygienestandards eingehalten habe. Dadurch, dass ich selbst Corona hatte, hat sich mein Respekt vor der Krankheit noch vergrössert.
Sie haben infolge Ihrer Verletzungspause nun viel Zeit zum Überlegen. Ihr grösster Erfolg war ja Bronze bei der Ski-WM 2019. Sie sind jetzt 25. Was möchten Sie noch sportlich erreichen, wenn Sie wieder fit sind? Einen Weltcup-Sieg? Ein Weltcup-Sieg ist tatsächlich absolut eines meiner Ziele. Die Vierschanzentournee hat für mich nicht alleroberste Priorität, weil man es nicht planen kann, vier Springen in Folge in Top-Form zu sein. Die Olympischen Spiele sind da eher ein Ziel – obwohl das für mich im Augenblick eher noch eine Vision ist. Aber dies hilft mir, meine Energien in Zukunft zu bündeln und weiterzukämpfen.
Ihre Kollegen Dominik Peter und Gregor Deschwanden sind derzeit in hervorragender Form. Wie kommt das so plötzlich? Sie haben viele Sachen im Sommer unternommen, um ihre Leistung zu steigern. Wir haben uns ja nach der letzten Saison per Skype zusammengesetzt, um zu diskutieren, was wir in Zukunft besser machen können. Dabei haben wir uns auch darauf geeinigt, den Teamspirit zu stärken. Die Rolle, die ich als Teamleader dabei übernommen habe, ist eine echte Challenge für mich, die mir viel Spass macht. Ich habe in den letzten Jahren eben auch einiges für mich selbst dazugelernt.
Die Skisprunglegende Simon Ammann steckt dagegen seit längerer Zeit in der Krise. Wie ist das zu erklären? Hat er den Absprung verpasst? Bei ihm ist die Situation einfach ganz anders. Als Familienvater mit drei Kindern hat er vielleicht nicht die nötige Zeit gefunden, sich optimal auf die neue Saison einzustellen. Simon ist ein Tüftler und muss überzeugt sein, dass seine technische Abstimmungen absolut funktionieren. Skispringer sehen sich grundsätzlich als Athleten, die eine seltene Sportart ausüben. Und Simon gehört ja noch zu den 50 besten der Welt. Skispringen ist einfach sein Leben. Sie haben ja bekanntlich einen Rennanzug von Wendy Holdener geschenkt bekommen, in dem Sie immer mal wieder zu sehen sind. Was steckt wirklich dahinter? Wendy hat vor Corona ab und zu mit uns Skispringern im Kraftraum des Klosters trainiert. Dabei kam die Idee auf, mal mit den hautengen Alpin-Skirennanzügen zu springen, weil das ein ganz anderes Gefühl in der Luft gibt: Man spürt dann fast keinen Luftwiderstand und kann das technische Körpergefühl verbessern. Letzte Frage: Wie kann man vom Skispringen eigentlich leben? Sie bekommen ja deutlich weniger Geld als die Alpinen. Seit zwei, drei Jahren habe ich ein bisschen Geld gespart. Ausserdem konnte ich zwei Sponsorenverträge mit zwei Hauptsponsoren abschliessen, die mir finanziell sehr helfen. Daneben werde ich von Swiss Olympic unterstützt sowie von Swiss-Ski. Wir Athleten sind top ausgerüstet und Reise- sowie Trainingskosten sind «all-inclusive!» Nicht zuletzt bin ich in der Schweizer Armee durch meine WM-Bronze- Medaille einen Rang gestiegen – vom Soldaten zum Gefreiten.
«Ein Weltcup-Sieg ist tatsächlich noch absolut eines meiner Ziele.»
Killian Peier, Skispringer
Geht noch an Krücken, macht aber grosse Fortschritte: Killian Peier. Foto: Wolfgang Holz