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«Die Blumen sollen nicht erst geschenkt werden, wenn jemand tot ist»

«Die Blumen sollen nicht erst geschenkt  werden, wenn jemand tot ist» «Die Blumen sollen nicht erst geschenkt  werden, wenn jemand tot ist»

Innerhalb dreier Monate haben die Einsiedler Mönche von sieben Mitbrüdern Abschied nehmen müssen. Im Interview äussert sich Pater Philipp Steiner zu Leben und Tod.

VICTOR KÄLIN

Was löst diese Intensität des Sterbens und Abschiednehmens bei Ihnen persönlich aus? Es wäre nicht gut, wenn mich der Tod eines Mitbruders unberührt lassen würde. Schliesslich geht es ja um eine zwischenmenschliche Beziehung, die eine Zäsur erfährt. Aber nach einer ersten Betroffenheit – der Tod kommt ja nicht immer angemeldet – geht man auch bald wieder in den Alltag zurück. Im Gebet findet dann die bleibende Verbundenheit mit den Verstorbenen einen konkreten Ausdruck.

Grundsätzlich gilt für mich persönlich wie auch für uns Mönche allgemein: Der Tod gehört zum Leben. Wenn wir in die Natur schauen oder auch unsere menschliche Existenz betrachten, dann ist es ein Kommen und ein Gehen. Vom christlichen Glauben her ist der Mensch jedoch für die Ewigkeit bestimmt. Das ist eine Hoffnungsperspektive, die über dieses Leben und einen bloss innerweltlichen Kreislauf von Werden und Vergehen hinausweist. Diese Hoffnung prägt auch unseren Umgang mit dem Tod in der eigenen Gemeinschaft.

Wie geht die Gemeinschaft mit diesen Todesfällen um? Spüren Sie Veränderungen im alltäglichen Umgang?

Wer jetzt eine bedrückte Atmosphäre im Kloster vermuten würde, der kennt uns Mönche wirklich schlecht. Wir lachen weiterhin miteinander und pflegen bewusst unser Gemeinschaftsleben. Da alle kürzlich verstorbenen Mitbrüder ihren Lebensabend auf der Pflegestation verbracht haben und sich so schon vor ihrem Tod aus dem aktiven Gemeinschaftsleben grösstenteils zurückgezogen haben, war es ein Abschied in Raten.

Dennoch bleibt es für uns Mönche eine dauernde Aufgabe, aufmerksam miteinander umzugehen. Im übertragenen Sinn könnte man sagen: Die Blumen sollen nicht dann erst geschenkt werden, wenn jemand tot ist. Wertschätzung und Zuwendung sind auch im Alltag eines Klosters sehr wichtig – nicht erst dann, wenn Mitbrüder sterben. In diesen Zeiten kommt man um diese Frage nicht herum: Grassiert das Coronavirus im Kloster? Nein, das Coronavirus grassiert nicht im Kloster. Es hat seinen Weg auf unsere Pflegestation gefunden und dort die ohnehin schon gesundheitlich angeschlagenen Mitbrüder getroffen. Wie wir heute wissen, ist das Coronavirus selten die alleinige Todesursache. So verhielt es sich auch bei unseren Mitbrüdern, welche mit dem Coronavirus infiziert wurden. Deren Durchschnittsalter betrug übrigens stolze 86 Jahre!

Das Coronavirus hat zwar auch einzelne Mitbrüder ausserhalb der Pflegestation erwischt, die sich sofort in Isolation begeben haben. Wir haben ein sehr ausgefeiltes Schutzkonzept, da wir ja auch Verantwortung füreinander und für die Menschen, die uns Mönchen in Seelsorge, Schule und Arbeit begegnen, tragen. Unsere Oberen, allen voran Abt Urban und Pater Dekan Daniel, haben hier grossartige Arbeit geleistet. Alle Mönche müssen die Schutzmassnahmen mittragen und tun dies auch auf sehr gute Weise.

Auf der Homepage des Klosters findet man aktuell einen ermutigenden Satz: «Wir können alle, die sich um unsere Gemeinschaft Sorgen machen, beruhigen: Es geht uns gut!» Gut geht es uns bezüglich der allgemeinen Stimmungslage und hinsichtlich der generellen Gesundheit der Mitbrüder. Wir haben aktuell nur noch einen Mitbruder auf der Pflegestation, der das Coronavirus erstaunlich gut weggesteckt hat. Wie bereits gesagt, ist die Stimmung in der Gemeinschaft sehr positiv. Ebenso bemerkenswert ist die Aussage auf der Klosterhomepage, dass mit «einem Altersdurchschnitt von aktuell 59,5 Jahren wir nun auch so «jung» sind wie schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr». Schimmert da so etwas wie eine benediktinische Gelassenheit durch? Natürlich ist das eine sehr relative Aussage. Für manche scheint 59,5 Jahre schon ziemlich alt zu sein. Doch wir sind damit wesentlich jünger als viele andere Klostergemeinschaften in der Schweiz. Zudem wird man ja nicht schon mit der Geburt Mönch. Wenn man diesen Faktor mitberücksichtigt, liegt unser Altersdurchschnitt im Kloster sogar unter jenem der Schweizer Gesamtbevölkerung. «Jung» zu sein bedeutet vital zu sein, das Leben gestalten und Verantwortung übernehmen zu wollen. In diesem Sinne blicken wir im Kloster Einsiedeln tatsächlich in einer gewissen «benediktinischen Gelassenheit » in die Zukunft. An jeder Trauerfeier eindrücklich ist das Gebet für den nächsten, der aus der Klostergemeinschaft stirbt. Setzt man sich als Ordensmann intensiver mit dem Tod auseinander als ausserhalb der Klostermauern? Ist der Tod eher ein Teil des Lebens – auch des eigenen? Der Tod ist tatsächlich eine Einladung zu einem intensiveren Leben. Deshalb rät der heilige Benedikt in seiner Mönchsregel, den Tod täglich vor Augen zu halten. Ein Todesfall in der Gemeinschaft kann zu einer tiefen spirituellen Erfahrung werden. Er zeigt, dass unser Tun und Lassen Konsequenzen hat, nicht nur für hier und heute, sondern für die Ewigkeit.

Wenn wir unter diesem Vorzeichen unser Leben gestalten, bekommt es keinen modrigen Beigeschmack, sondern wird wirklich fruchtbar. Zudem sind unsere Verstorbenen täglich präsent, zum Beispiel bei jedem Gottesdienst in den Fürbitten und am Abend, wenn der verstorbenen Mönche des folgenden Tages gedacht wird. Unsere Gemeinschaft besteht aus 42 lebenden und rund 1200 verstorbenen Mönchen aus einer 1086-jährigen Klostergeschichte. Trauert man als Benediktiner leichter, verständnisvoller, irgendwie erfüllter, da man ja seinen Lebtag betet und auf das himmlische Ziel hin arbeitet, ja darauf hin lebt? Ja, das sollte eigentlich so sein. Selbstverständlich geht einem der Tod von ganz unterschiedlichen Mitbrüdern auch unterschiedlich nahe. Aber er ist niemals Grund zur Trauer ohne Hoffnung.

Aber es gibt ja nicht einfach «den» Benediktiner. Wir Mönche sind Individuen mit sehr unterschiedlichen Gefühlswelten. Folglich ist auch der emotionale Umgang mit dem Tod recht unterschiedlich. Doch der Glaube an ein ewiges Leben bei Gott ist bestimmt ein Trost, für den wir alle dankbar sind und aus welchem wir unser eigenes Leben gestalten können. Denn auch wir werden einmal die Schwelle des Todes überschreiten und eintreten in die alles umfangende Gegenwart Gottes. Wie diese neue Realität aussieht, wissen wir aber auch nicht. Auch für uns wird es einmal spannend … Ist man als Benediktiner schon im Leben sozusagen «etwas näher bei Gott»?

Nein, das kann man so definitiv nicht sagen. Wir Mönche sind ganz normale Menschen, die ihren Glauben in der Verbindlichkeit eines Klosters zu leben versuchen. Wir bemühen uns um ein Leben der ständigen Gottsuche. Das bedeutet nicht, dass wir Gott «gefunden» hätten. Bestenfalls hat er uns gefunden! Auffallend ist, dass nicht alle Verstorbenen in der klostereigenen Gruft, sondern wegen der Coronapandemie auf dem Gemeindefriedhof bestattet wurden. Warum dieser Wechsel? Die ersten drei Todesfälle im September und Oktober hatten nichts mit dem Coronavirus zu tun. Somit stand einer Bestattung gemäss unserer Klostertradition im offenen Sarg in der Klostergruft nichts im Weg. Auch die beiden zuletzt Verstorbenen starben symptomfrei.

Bei Pater Nathanael und Bruder Franz-Xaver musste man jedoch davon ausgehen, dass deren Leichname Träger von Viren sind und da verbot sich die Aufbahrung und Bestattung in einem offenen Sarg. Da war eine Erdbestattung im geschlossenen Sarg auf dem Gemeindefriedhof eine gute Alternative. Zudem hat Einsiedeln ja einen sehr schönen, gepflegten Friedhof in Klosternähe. Im Fall von Pater Nathanael ist dies sogar ein regelrechter Glücksfall, weil so in Zukunft Bekannte aus Vorarlberg sein Grab besuchen können, was bei einer Bestattung in der Klostergruft nicht möglich wäre.

Können Sie sich erinnern, dass auch in früheren Zeiten Klostermönche auf dem Einsiedler Friedhof begraben wurden? Der heutige Friedhof östlich des Klosters mit seiner schmucken Kapelle St. Benedikt entstand im 17. Jahrhundert. Davor wurden Dorfbewohner und Mönche auf dem alten Friedhof nördlich der Klosterkirche bestattet. Heute befindet sich dort der als «Pfarrgarten» bezeichnete Innenhof.

Nicht alle verstorbenen Einsiedler Benediktiner wurden in der Gruft unter dem Boden der Klosterkirche bestattet. Wer früher auswärts verstarb, wurde in der Regel dort begraben. So fanden viele Mönche auf der Insel Ufnau, in Freienbach SZ, Eschenz TG oder Wängi TG ihre letzte Ruhestätte. Ich gehe aber davon aus, dass mit Pater Nathanael und Bruder Franz-Xaver erstmals Mönche auf dem aktuellen Einsiedler Friedhof bestattet worden sind. Sie gehören mit Jahrgang 1985 zu den jüngeren Mönchen. Unter den Verstorbenen sind Mitbrüder, welche durch ihre Persönlichkeit die Gemeinschaft über Jahrzehnte geprägt haben – man denke nur an Pater Matthäus bei der Renovation der Stiftskirche, an Pater Odo Lang als Bibliothekar oder Pater Nathanael als Propst von St. Gerold. Die Macher sind gegangen, die Aufgaben bleiben. Wie stellt sich das Kloster generell den täglichen Herausforderungen? Tatsächlich sind einige «Macher» von uns gegangen. Andere «Macher » erfreuen sich jedoch bester Gesundheit und tragen das Gemeinschaftsleben und die Aufgaben unseres Klosters weiterhin aktiv mit. Ich glaube deshalb nicht, dass die prägenden Persönlichkeiten aussterben werden. Vielmehr kommen immer wieder neue nach und gestalten auf ihre Weise das Kloster Einsiedeln mit.

Dass wir heutzutage weniger um sinnvolle Aufgaben, Anerkennung und Verantwortung kämpfen müssen als dies früher der Fall war, ist kein Unglück. Vielmehr trägt die Verkleinerung der Gemeinschaft dazu bei, dass wir uns mehr als Klosterfamilie verstehen und jeder merkt: Ich werde gebraucht. «Müssiggang ist der Feind der Seele» schreibt der heilige Benedikt in seiner Regel. Von daher ist genügend sinnvolle Arbeit ein wirklicher Segen. Und an der fehlt es uns im Kloster Einsiedeln wirklich nicht. Die Balance zwischen Arbeit, Gebet und Erholung liegt in der Eigenverantwortung eines jeden einzelnen und wird vom Abt mit wachem Blick begleitet. Ob wir Aufgaben reduzieren oder in andere Hände übergeben, muss als wichtige Zukunftsfrage angegangen werden. Den Status quo zu verwalten ist keine Option für die Zukunft. Weihnachten naht und wahrscheinlich legen Sie fürs Christkind keine Wunschliste vors Fenster. Ich nehme aber an, dass Sie Ihre Wünsche in Ihre Gebete einfliessen lassen … Der liebe Gott ist kein Wunschautomat – auch für uns Mönche nicht. Ich darf sagen, dass ich ganz zufrieden bin und wenige Wünsche habe. Vieles liegt nicht in meiner Hand und das ist gut so. Wenn ich einen Wunsch habe, dann würde ich ihn gerne als Gebet in jenen Worten formulieren, welche wir beim ersten Gottesdienst für einen Verstorbenen als Fürbitte sprechen: «Herr Jesus Christus, zeige dich als guter Hirt unserer Gemeinschaft und rufe junge Menschen an die Stelle unserer Verstorbenen. » Es wäre schön, wenn auch junge Männer aus der Region diesen Ruf hören und ihm folgen würden.

Pater Philipp Steiner in der Gruft des Klosters. Rechts die Gräber seiner zwei Mitbrüder Franz-Xaver Wangler und Nathanael Wirth. Wegen der Corona-Pandemie wurden sie auf dem Friedhof von Einsiedeln beigesetzt.

Fotos: Bruder Alexander Schlachter/Victor Kälin

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