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Die Bahn ist hier

Die Bahn ist hier Die Bahn ist hier

BRIEF AUS DEN USA

Die Eisenbahn ist endlich in unserem Wohnort Thornton eingetroffen!

Was für meine Schweizer-Leserschaft zum Alltag gehört, ist nun endlich auch für uns in einem Vorort von Denver möglich. Sechs Jahre hat die Bauphase der 20 Kilometer langen Bahnstrecke von Denver in die nördlichen Vororte gedauert. Mit etwa 18 Monaten Verspätung trudelte der erste Zug mit Passagieren Ende September dieses Jahres in Thornton ein. Seither fährt der silberne Zug tagsüber alle 30 Minuten fast leer hin und her.

Die Bürgermeister der anliegenden Ortschaften sind voller Hoffnung. Sie alle zählen darauf, dass die Zugsverbindung ins Stadtzentrum von Denver die Region noch attraktiver machen wird. Neue Quartiere, Geschäftsviertel und Einkaufsstrassen sind geplant. Momentan führt die Fahrt von unserem Bahnhof am Rande der sogenannten Altstadt von Thornton vor allem an den Schattenseiten der Metropole vorbei. Industriegebiete, ein grosser verlotterter Friedhof, Autobahnkreuzungen und gar eine unübersehbare Ansammlung von Obdachlosen-Zelten ziehen auf beiden Seiten am Zugfenster vorbei. Dahinter, am westlichen Horizont, sind die Rocky Mountains zu sehen.Abends taucht der Sonnenuntergang die Gegend in ein besseres Licht.

Die Fahrt von Original Thornton bis zur Union Station, dem Hauptbahnhof von Denver, dauert laut Fahrplan 18 Minuten. Sie kann aber auch länger dauern, denn wir sind hier weit von den genauen Schweizer Uhren und Mentalität entfernt. Bis im Frühling kostet die Retourfahrt für Erwachsene sechs Dollar. Dies ist einiges günstiger als die Parkgebühren in der Innenstadt von Denver. Die Bahnfahrt ist vor allem während den Stosszeiten auch viel schneller. Die Anwohner können das Auto kostenlos den ganzen Tag an einem der sechs Bahnhöfe stehen lassen. Trotz allem haben die Amerikaner die neue Transportvariante bisher kaum für sich entdeckt. Die Bahnwagen sind gähnend leer. Die wenigen Passagiere scheinen vor allem Lokal-Touristen zu sein, also Leute, welche neugierig auf die neue Bahnlinie sind.

Als ich vor 13 Jahren nach Denver auswanderte, war der Hauptbahnhof von Denver mehr oder weniger verlassen. Einmal im Tag traf der Zug aus Chicago ein und das Gebäude war kalt und roch vermodert. Wer heute mit einem der Vorortszüge oder vom Flughafen her im selben Bahnhof eintrudelt, findet sich inmitten einer Bilderbuchszene wieder. Das alte Gebäude ist blitzblank poliert und grosse Kronleuchter beleuchten bequeme Ledersofas in der Wartehalle. Manchmal sitzt dort ein alter, runzliger Cowboy mit einer Zeitung. Ich weiss noch immer nicht, ob dieser offiziell zur üppigen Dekoration gehört. Ich weiss aber, dass das Glace an der Union Station viel zu teuer und zu gross ist und dann jeweils auf dem Heimweg vor sich hin schmilzt.

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