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«Reine Machtpolitik des Bundesrates»

«Reine Machtpolitik des Bundesrates» «Reine Machtpolitik des Bundesrates»

VICTOR KÄLIN

Spüren Sie als Nationalrat, gerade jetzt in den Corona-Debatten, die Unmittelbarkeit der Politik? Dass Politik nicht – wie meistens – verzögert, sondern umgehend Wirkung zeigt? Dass viele Menschen und ganze Branchen davon betroffen sind? Ja das spüre ich sehr stark. Es melden sich viele Menschen, denen das Ganze psychisch massiv zusetzt. Viele sind den Tränen nahe. Die einen, weil sie Existenzangst haben, und andere, weil sie sich sehr einsam fühlen. Fühlen Sie sich als Politiker unter Druck gesetzt – von welcher Ecke auch immer? Als Politiker ist man immer unter Druck. Irgendwo im Land gibt es immer ein Problem. Bei Corona ist der Unterschied zu anderen Themen, dass es alle Leute im Land betrifft. Und zwar unmittelbar. Und es ist kein typisches Parteithema. Es gibt Unterstützer sowie auch Kritiker der Massnahmen in allen Parteien und auch in allen Schichten der Bevölkerung.

Ist die Gastronomie ein Hotspot der Pandemie – oder nicht? Die Branche findet nein und möchte keine weiteren Einschränkungen wie zum Beispiel eine generelle Schliessung um 19 Uhr. Wie beurteilen Sie die Situation um das Gastgewerbe? Die generelle Schliessung der Gastrobetriebe um 19 Uhr ist reine Willkür. Das kann nicht begründet werden. Zudem gibt es keine klaren Hinweise, dass es in den Gastrobetrieben zu höheren Ansteckungen kommt. Im Gegenteil. Die Gastrobetriebe haben schon lange funkt ionierende Schutzkonzepte und halten die Vierer-Regel sowie die Abstände hervorragend ein. Ganz persönlich: Wären Sie selbst betroffen, wenn die Beizen um 19 Uhr schliessen müssten? Darum geht es mir nicht. Jeder ist in irgend einer Weise von den Massnahmen betroffen. Jeder hat Einschränkungen zu tragen. Aber ich kann den Bundesrat absolut nicht verstehen, wie er auf diese willkürlich festgelegte Zeit 19 Uhr kommt. Wenn es dann so kommt, gehe ich halt am Ende der Sitzung im Bundeshaus um 19 Uhr direkt ins Hotelzimmer. Mit einem Sandwich. Nationalratsmitglieder, die wegen der Coronakrise verhindert sind, sollen in Zukunft in Abwesenheit abstimmen können. Die Grosse Kammer hat mit 123 zu 62 Stimmen bei 5 Enthaltungen dem Anliegen sehr deutlich zugestimmt. Die SVP war dagegen …

Ich habe dagegen gestimmt. Bis jetzt war die Abwesenheit überhaupt kein Problem. Es hat praktisch niemand gefehlt. Abwesenheiten gibt es immer wieder. Durch Krankheit oder auch Mutterschaft. Das gehört dazu. Diejenigen Kreise, die nun das Abstimmen von zu Hause aus lancierten, möchten schon lange vom Sofa aus abstimmen können. Ein Parlament aber lebt von den Diskussionen untereinander.

Das ist wichtig und führt oftmals zu guten Lösungen. Das gibt es bei einem Abstimmen vom Sofa aus nicht mehr.

Wie erlebt, ist der Pandemie-Föderalismus durchaus schwierig. Nun will der Bundesrat mit den Kantonen im Voraus abmachen, wann sie welche Massnahmen ergreifen müssen. Untätige Regierungen könnten freundeidgenössisch entmachtet werden. Was halten Sie von der «Corona- Bremse»? Das, was zurzeit abgeht, ist reine Machtpolitik des Bundesrates. Man schlägt Massnahmen vor und gibt den Kantonen nur 24 Stunden Zeit, um sich dazu zu äussern. Und am Schluss macht dann der Bundesrat trotzdem, was er will. Die Schweiz ist föderalistisch aufgebaut. Das heisst: Die Kantone haben das Sagen. Zumindest auf dem Papier. Aktuell spürt man davon nichts.

Ihr Parteikollege Guy Parmelin ist zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden. Wegen Corona tritt er ein spezielles Jahr an. Wie wichtig sind die Auftritte, die Kommunikation, die Handlungen gerade des Bundespräsidenten in einer angespannten Situation wie der jetzigen? Hat sein Tun und Lassen einen Einfluss auf die Bevölkerung?

Der Bundespräsident leitet die Bundesratssitzungen und vertritt das Gremium in der Öffentlichkeit. In der Krise hat der Bundespräsident selbstverständlich eine spezielle Funktion. Alle Augen sind neben dem Gesundheitsminister auf ihn gerichtet. Es kann Bundesrat Parmelin durchaus gelingen, dass er zum Landesvater wird. Dank seiner ruhigen Art.

Und zum Schluss noch eine weitere persönliche Frage: Wie geht es Ihnen, angesichts der kaum zu bändigenden Corona- Lage? Sie sind ja gefordert als Politiker, Unternehmer, Familienvater … Ich spüre einen wahnsinnigen Druck der Bevölkerung. Die eine Seite möchte viel strengere Massnahmen. Den anderen geht alles viel zu weit. Am meisten schlagen mir die Hauruckübungen des Bundesrates auf den Magen. Aktuell ist alles sehr unberechenbar. Und das ist schlecht. Ausgerechnet in der Adventszeit sind alle sehr nervös wegen den Absichten des Bundesrates. Da kommt leider keine besinnliche Stimmung auf. Ich hoffe, das ändert sich noch.

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