Veröffentlicht am

«Die Freiwilligenarbeit soll ideell gestärkt werden»

«Die Freiwilligenarbeit soll ideell  gestärkt werden» «Die Freiwilligenarbeit soll ideell  gestärkt werden»

 

Franziska Keller sowie Janine und Urs Birchler wollen im kommenden Jahr eine KISS-Genossenschaft in Einsiedeln gründen. Janine und Urs Birchler erklären, was es damit auf sich hat.

VICTOR KÄLIN

Was will KISS?

Grundsätzlich geht es um die Nachbarschaftshilfe. KISS fördert und unterstützt dabei auch bereits bestehende Strukturen und Hilfen, damit die Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden wohnen können. Wie kann man sich das konkret vorstellen? KISS will der Freiwilligenarbeit in Form von Zeitgutschriften Wertschätzung geben. KISS arbeitet mit bestehenden Organisationen zusammen. Wo zusätzlicher Bedarf ist, wirkt KISS ergänzend; zusätzliche Angebote entspringen in der KISS-Genossenschaft durch die Bedürfnisse der Leistungsempfänger und der Leistungserbringer. Mit einem einmaligen Beitrag von 100 Franken kann jedermann Mitglied der Genossenschaft werden, sei es als Leistungsempfänger oder als Leistungserbringer.

Wie sind die Erfahrungen anderer KISS-Organisationen? Sind solche Genossenschaften ein Bedürfnis? Oder einfach nur gut gemeint und sie versanden nach kurzer Zeit wieder? Die KISS-Genossenschaften erfahren grosse Resonanz. Die KISS-March, die erste im Kanton Schwyz, hatte bereits 2019, in ihrem zweiten Jahr, 129 Mitglieder; es wurden 3000 Stunden geleistet, die mit Zeitgutschriften entgolten wurden. Die KISS-Cham, 2019 bereits im fünften Geschäftsjahr, hatte 270 Mitglieder; es sind 7000 Stunden zugunsten von einzelnen Menschen und 6500 Stunden allgemein für Veranstaltungen (Mittagstisch und anderes) geleistet worden. Ist das neue Gefäss keine Konkurrenz zu anderen Institutionen?

Überhaupt nicht. Die heutigen Organisationen erbringen ihre Tätigkeiten wie bisher weiter. Jene Personen, die für diese Organisationen Freiwilligenarbeit leisten, können mit einem einmaligen Beitrag von hundert Franken Mitglied von KISS werden und erhalten die Zeitgutschriften. KISS kann in Ergänzung auch eigene Aktivitäten aufbauen. KISS-Zeitgutschriften sind eine neue Form der Abgeltung. Die Idee wird auch ausgedrückt, indem die Zeitgutschriften als 4. Säule unserer Vorsorge bezeichnet werden. Wie ist die Arbeitsweise von KISS? Ein Merkmal der Arbeitsweise sind die Tandems. Eine Person (Leistungsempfängerin) meldet bei der Koordinatorin, welche Unterstützung sie benötigt. Die Koordinatorin sucht unter den Mitgliedern eine leistungserbringende Person, die dazu bereit ist. Die beiden müssen sich darauf einigen, welche Tätigkeit wie oft erfolgen soll. Und wenn man sich einig geworden ist, hat man ein sogenanntes Tandem?

Ja. Das ist so. Dabei geht es allerdings nicht um regelmässige Arbeiten wie zum Beispiel Wohnungsreinigung, aber auch nicht um Pflege; das ist Aufgabe der Spitex. Zudem sollen die Benevol- Grundsätze eingehalten werden. Das heisst, dass der zeitliche Aufwand beschränkt sein soll auf höchstens sechs Stunden pro Woche. Es kann sich jedoch auch nur um eine oder zwei Stunden handeln im Sinne der Nachbarschaftshilfe mit Zeitgutschriften.

Wie real oder wie symbolisch ist die «Rückforderung» des geleisteten Stunden-Guthabens? Gibt es einen rechtlichen Anspruch?

Einen rechtlichen Anspruch kann die KISS-Genossenschaft nicht geben. Basis ist das Vertrauen, dass es die Freiwilligenarbeit auch noch gibt, wenn ich selber darauf angewiesen sein werde. Sie haben die Nachbarschaftshilfe erwähnt. Es gibt aber auch andere Freiwilligenarbeit – zum Beispiel in unzähligen Sportvereinen, in Pfadi und Blauring, beim Mahlzeitendienst, beim Verein Wachen und Begleiten Schwerkranker und Sterbender und so weiter. Kommen diese auch in den Genuss von Zeitgutschriften?

Grundsätzlich müssen bei KISS Leistungserbringer und Leistungsbezieher – das sogenannte Tandem – Genossenschafter sein. Im Fokus steht dabei die Nachbarschaftshilfe. Jede einzelne KISS-Genossenschaft hat Spielraum, spezifische Lösungen für ihre Region zu suchen. Es gibt da kein übergeordnetes Korsett. In Einsiedeln überlegen wir uns zum Beispiel, mit bisherigen Leistungserbringern eine Kollektiv-Mitgliedschaft abzuschliessen.

Woher kommt die Idee?

An allen 39 Orten in der Schweiz, wo KISS existiert oder in Gründung ist, sind es jeweils Einzelpersonen gewesen, welche die konkrete Initiative ergriffen haben. In Einsiedeln sind wir bisher drei Personen, die im Juni die entsprechenden Organisationen zu einem Gedankenaustausch einluden. Es sind dies Franziska Keller sowie wir zwei, Janine und Urs Birchler. Für die nächsten Schritte werden wir von weiteren Personen unterstützt.

Wie kann man sich den Aufbau zum Beispiel in Einsiedeln vorstellen – von heute weg bis zur Gründung? Wir luden im Juni einige Einsiedler Organisationen zu einer Informationsveranstaltung ein. Dort waren auch die Geschäftsführerinnen der KISS-Genossenschaften des Bezirks March und des Kantons Glarus anwesend; sie informierten über die Gründung, den Aufbau und die ersten Jahre. Wichtige Institutionen haben sich explizit geäussert, dass sie am Aufbau von KISS in Einsiedeln interessiert sind.

Was braucht es?

Es muss die KISS-Genossenschaft Einsiedeln gegründet werden. Wir suchen Einzelpersonen, die bereit sind, mit einem einmaligen Beitrag von 100 Franken – oder auch mehr – beizutreten; sei es aus ideellen Gründen, weil sie die Sache gut finden; oder sei es, weil sie effektiv Leistungen beziehen oder Leistungen erbringen wollen.

Wir bemühen uns zusätzlich, dass Organisationen als Kollektivmitglied beitreten. Die Genossenschaft braucht einen Vorstand; für die praktische Umsetzung benötigen wir eine Geschäftsführung, welche für die Vernetzung von KISS mit den anderen Organisationen verantwortlich ist, die Einsätze koordiniert und die KISS-Anlässe (KISS-Café, Mittagstisch und anderes) organisiert. Wie hoch ist der Finanzmittelbedarf?

Die Geschäftsführung muss finanziert werden. Die KISS-Genossenschaften erhalten andernorts Beiträge der Einwohner-, Bürger- oder Kirchgemeinden sowie Beiträge von Sponsoren und Gönnern. Es geht um einen Finanzbedarf von 30’000 bis 50’000 Franken pro Jahr. Der Finanzbedarf ist von der Grösse der KISS-Leistungen abhängig.

Wie geht es jetzt weiter?

Im Herbst haben wir uns mit anderen KISS-Organisationen zu grundsätzlichen und praktischen Themen besprochen. In der Schweiz sind über 39 KISS-Genossenschaften aktiv oder in Gründung. Es ist unser Ziel, die «Genossenschaft KISS Einsiedeln» im zweiten Halbjahr 2021 zu gründen. Dafür, und das ist uns bewusst, braucht es aber noch viele Gespräche.

Woher kommt die Abkürzung KISS? Die Abkürzung ist auch der einprägsame Slogan und heisst: «Keep it small and simple». Die Organisationsstruktur soll einfach und der administrative Aufwand klein gehalten werden. Die Arbeitsweise soll auf Augenhöhe und niederschwellig, also für jedermann zugänglich sein.

Der 5. Dezember ist der Internationale Tag der Freiwilligen. Er dient zur Anerkennung und Förderung ehrenamtlicher und freiwilliger Engagements. Benevol, die Dachorganisation für Freiwilligenarbeit, nutzt diesen Tag mit zahlreichen Aktionen, um die Freiwilligenarbeit sichtbar zu machen. – www.benevol.ch

Share
LATEST NEWS