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Erst fängt es ganz langsam an …

Erst fängt es ganz langsam an … Erst fängt es ganz langsam an …

Der Arzt als Patient: Kinderarzt Stephan Rupp schildert seinen Coronainfekt

«Manchmal ist es gut, wenn man als Arzt Patient ist – so wie bei meinem Coronainfekt.» Das schreibt der Einsiedler Kinderarzt Stephan Rupp in seinem Bericht.

STEPHAN RUPP

Erst fängt es ganz langsam an … Anfang Oktober. Endlich Ferien! Doch dummerweise kam nach drei Tagen ein Kratzen im Hals, nichts Schlimmes, sogar ein Fussballspiel habe ich noch gepfiffen. Nach drei Tagen dann wollte ich es genau wissen – also Stäbchen in Nase und Mund für den Coronatest. Am Folgetag erhalte ich das positive Resultat. Das ist Corona?

Mir geht es recht. Zwei Tage verschlafe ich, ich bin einfach grippig. Nach einer Woche geht es etwas besser, abgesehen von wenig Fieber und Husten. Ist das noch normal? Ich telefoniere mit einem Kollegen, lieber nicht zu viel Selbstbehandlung, ich bin ja Kinderarzt. Der Kollege rät zu Algifor. Da ich gelesen habe, dass man lieber Dafalgan nehmen soll, verzichte ich auf Algifor. Habe ich jemanden angesteckt?

Ich frage mich, ob ich jemanden angesteckt habe. Am Abend des Symptombeginns war ein Ehepaar zum Znacht bei uns, der Mann ist Risikopatient. Was passiert, wenn er krank wird, Komplikationen hat und ich bin schuld? Nach acht Tagen fühlt er sich nicht gut, zum Glück war der Coronatest negativ. Auch meine Frau wurde nicht krank – einfach nur Glück gehabt. Aber dann … Nach acht Tagen, wo eine normale Grippe vorbei ist, geht es mir schlechter, das Atmen wird mühsamer. Ich telefoniere mit der Arztpraxis am Ferienort. Leider hat niemand Zeit, mir den Sauerstoff zu messen. Falls nötig, solle ich direkt nach Interlaken ins Spital. Ich fühle mich etwas alleine gelassen und seuche den Tag durch.

Meine Frau und eine liebe Bekannte (über 80-jährig und eigentlich selbst Risikopatientin) raten zum Spital. Also rufe ich im Spital Interlaken an und melde mich an; ein kleiner Vorteil, wenn man Arzt ist. Die Fahrt erfolgt im Krankenwagen, wer sonst transportiert einen Covid-Patienten? Ich erhalte eine FFP2-Maske, die meine Atemnot noch erschwert. Das war die längste Fahrt von Grindelwald nach Interlaken, obwohl ich eigentlich jede Kurve kenne.

Alle sind dick verkleidet In Interlaken werde ich freundlich aufgenommen. Alle sind dick verkleidet mit Schutzmaske und Mantel und halten gebührliche Distanz. Die Abklärungen folgen. Ich wusste gar nicht mehr, wie unangenehm eine Infusion an den Handvenen mit diesen dicken Nadeln ist.

Zum Glück ist der Sauerstoff im Blut gut, das Röntgenbild zeigt nur geringe Veränderungen, ich fühle mich schon deutlich besser. Die Assistenzärztin fragt, ob ich manchmal etwas asthmatisch atme. Sie hört nichts, doch ich bitte um einen Inhalationsspray. Vor lauter Mühe beim Atmen und Angst habe ich glatt vergessen, dass ich bei Infekten manchmal etwas Asthma habe. Das Ventolin hilft etwas. Gut, dass ich mich durchgesetzt habe.

Im Einzelzimmer folgt zuerst ein Kampf gegen das Spitalbett. Wenn ich das Kopfteil verstelle, bewegen sich die Beine mit. Die ganze Zeit kämpfe ich gegen das Bett. Ich atme mühsam, aber ohne Sauerstoff, und überlege, was ich über Covid gelesen habe. Wie lange wird es schlimmer? Wann ist das Maximum da? Welche Komplikationen können noch kommen?

Der Chefarzt diskutiert über das Embolierisiko, ich muss Liquemin spritzen. Macht Cortison Sinn? Ich sei hierfür viel zu wenig krank, meint er. Ich bin froh, dass ich Verantwortung für meine Behandlung abgeben kann. Die Betreuung im Spital ist gut, wenn ich nur etwas leicher atmen könnte. Nach vier Tagen kehre ich nach Grindelwald zurück.

Meine Frau in Quarantäne

Da meine Frau immer wieder Kontakt mit mir hatte, konnte sie die zehn Tage Quarantäne nie beginnen. Ich bin unseren Freunden dankbar, dass sie uns ihre Ferienwohnung zur Verfügung gestellt haben. So konnten wir nach meiner Spitalentlassung getrennt wohnen. Wie Teenager haben wir via Natel kommuniziert oder über den Balkon. Essensausgabe war mit Mundschutz im Gang.

Zurück zur Normalität Ende Oktober, nach knapp drei Wochen, konnte ich wieder zurück nach Einsiedeln fahren. Als ich auf die Autobahn einbog, kamen die Gedanken, was ich machen würde, wenn ich Probleme hätte. Es gibt dort nur Ausfahrtbuchten, viele Tunnels, aber keinen Pannenstreifen. Natürlich habe ich wieder etwas Atemnot verspürt, dann habe ich mich zusammengerissen und alles ging problemlos.

Was bleibt?

Es bleibt die Erinnerung an eine unangenehme Zeit mit Atemnot, an einen Spitalaufenthalt. Aber auch Dankbarkeit, dass alles gut gegangen ist und ich wohl niemanden angesteckt habe. Ich weiss wieder, wie sich ein Patient fühlt. Die sechs verlorenen Kilos hole ich (leider) rasch wieder auf. Manchmal habe ich noch den Eindruck, dass ich nicht richtig durchatmen kann, wohl eher Kopfsache als Lungenproblem. Was hoffentlich auch bleibt: gute Abwehrstoffe, die lange schützen und eine zukünftige schwere Infektion verhindern.

Grippe kann ich. Aber Covid ist keine Grippe.

«Dankbarkeit, dass alles gut gegangen ist und ich wohl niemanden angesteckt habe»: Kinderarzt Stephan Rupp nach überstandener Covid-Erkrankung.

Foto: zvg

«Ich fragte mich, ob ich jemanden angesteckt habe?» «Ich bin froh, dass ich die Verantwortung für meine Behandlung abgeben kann.»

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