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«Die christlichen Werte sind die Basis unserer Gemeinschaft»

«Die christlichen Werte sind die  Basis unserer Gemeinschaft» «Die christlichen Werte sind die  Basis unserer Gemeinschaft»

Yvonne Birchler kandidiert für das Präsidium in der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln. Die 56-jährige Betriebswirtschafterin möchte mit ihrem Engagement gerne der Gemeinschaft etwas zurückgeben und freut sich auf die Zusammenarbeit in einem kollegialen, gut aufgestellten Team.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Was bewegt Sie dazu, für das Kirchgemeindepräsidium zu kandidieren? Nach zwanzig Jahren Tätigkeit in der Geschäftsleitung der Tulipan AG konnte für das Geschäft eine Nachfolgelösung gefunden werden. Dadurch habe ich jetzt Zeit und Energie für eine neue Herausforderung. Auf diese Weise ergibt sich mir die Chance, im Engagement für dieses Amt der Gemeinschaft etwas zurückzugeben.

Welche Erfahrungen nehmen Sie mit aus Ihrer Amtszeit als Aktuarin im Kirchgemeinderat? Sicherlich hat das Coronavirus in diesem Jahr auch auf die reformierte Kirchgemeinde Einsiedeln Schatten geworfen: Viele direkte Kontakte im Kirchgemeinderat sind coronabedingt ausgefallen. Darunter hat naturgemäss das Zwischenmenschliche gelitten. Ich habe nichtsdestotrotz die Erfahrung machen dürfen, mit einem kollegialen, gut aufgestellten Team zusammenzuarbeiten. Umso mehr freue ich mich auf die zukünftige Aufgabe im Präsidium. Sie sind Betriebswirtschafterin und haben die Firma Tulipan geführt: Haben Sie ein ausgesprochenes Flair für Zahlen? Ich würde mal behaupten, dass mich eine falsche Zahl «aagumpe » würde: Dass ich also merken sollte, wenn etwas in der Rechnung nicht stimmen würde. Das kann nicht schaden: Gerade in einem Präsidium hat man ja viel mit Bilanzen, Budgets und Finanzplänen zu tun. Als Präsidentin einer Kirchgemeinde sind Sie mit Führungsaufgaben betraut: Wie würden Sie Ihre Führungsprinzipien umschreiben?

Ich kann mich gut in das Gegenüber hineinversetzen und finde das Reden miteinander ganz wesentlich. Allein durch eine gute Gesprächsführung kann man schnell herausfinden, was stimmt und was nicht. Mir ist ein Dialog zu führen wichtig, ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe. Einen autoritären Chef zu spielen liegt mir weniger. Ich bevorzuge flache Hierarchien. In Alpthal ist die katholische Kirchenratspräsidentin derweil heftig in den Brennpunkt öffentlicher Kritik und Debatten geraten.

Zum Glück bin ich reformiert (lacht). Selbstverständlich kann man nicht ausschliessen, dass auch in der reformierten Kirche Krisensituationen zu bewältigen sind. Ich glaube, ich kann Kontroversen und Disharmonien durchaus gut aushalten. Überdies kann ich mir kaum vorstellen, dass in unserem in der Tat überzeugenden Team ein Konflikt zu unüberbrückbaren Gräben führen könnte.

Ein Kirchenratspräsidium ist auch ein politisches Amt. Neutral zu sein ist keine Bedingung für dieses Amt. Auf welcher Seite stehen Sie bezüglich der Konzernverantwortungsinitiative?

Ich stehe voll und ganz hinter dieser Initiative. Hierbei geht es nicht zuletzt um Menschlichkeit und um die Unterstützung von Schwachen, die sich selber nicht wehren können. Die Kirche übernimmt hier eine soziale Verantwortung. Es gibt auch bei uns sozial benachteiligte Menschen. Diese landen beim Sozialamt oder eben bei den Kirchen. Da kann die Kirche ihre soziale Rolle wahrnehmen: Sie ist ein Hafen, in dem auch Randständige ankommen. Wie interpretieren Sie die Wirren und Turbulenzen rund um den Rücktritt von Gottfried Locher?

Sein Abgang kam der Kirche höchst ungelegen und war sicher kein positiver publizistischer Kraftakt (lacht). Allerdings hat die Presse hierbei auch nicht gerade eine rühmliche Rolle gespielt, viel Wind gemacht und Polemik geschürt. Just mit dieser Polemik habe ich grosse Mühe. Als Aussenstehende ist es nahezu unmöglich zu erfahren, was wirklich hinter der Geschichte steckt. Der Rücktritt von Gottfried Locher bietet sicher die Chance eines unbelasteten Neuanfangs.

Was bedeutet für Sie das Kirchenwesen und die Religion? Ich bin nicht ein sehr religiöser Mensch, aber der Meinung, dass die Kirche kraft ihres christlichen Glaubens den Menschen einen Halt gibt. Das gilt sowohl für die reformierte wie für die katholische Kirche. Fakt ist, dass die christlichen Werte die Basis unserer Gemeinschaft, unserer Rechtsordnung und unseres Staatswesens sind. Diese Werte zu pflegen und zu vermitteln ist die erste Aufgabe der reformierten wie der katholischen Kirche. Wie ist Ihr kirchlicher Werdegang verlaufen?

Ganz kunterbunt (lacht). Ich bin von einem schwedischen lutheranischen Pfarrer in Mexiko getauft und dann in Brasilien lutheranisch konfirmiert worden. Die lutheranische Kirche ist aufgrund ihrer Riten und Rituale unter den evangelischen Kirchen die am meisten katholisch geprägte. Von daher war mir der Katholizismus nicht fremd, als ich nach Einsiedeln gekommen bin. Im Klosterdorf bin ich dann Mitglied der reformierten Kirchgemeinde geworden, habe aber katholisch geheiratet: Pater Theo hat uns getraut. Selbstredend liegt mir die Ökumene sehr am Herzen: Ich bin froh, dass die Ökumene in Einsiedeln eine dermassen selbstverständliche Sache ist und die Konfessionen im Klosterdorf im ständigen Dialog miteinander sind. Welche Ziele möchten Sie als Präsidentin in Angriff nehmen? Stefan Meyer hat als Kirchgemeindepräsident in Einsiedeln einen super Job gemacht und die umfassende Kirchensanierung vorangetrieben und erfolgreich beendet. Jetzt gilt es fürs Erste, die neuen Leute im Kirchenrat gut ins Team zu integrieren: Sie werden sicherlich frischen Wind in die Kirchgemeinde tragen. Welche Ziele konkret dann in Angriff genommen werden sollen, darüber kann ich derzeit noch nicht viel sagen: Ich orte jedenfalls aktuell kaum dringende Defizite in der reformierten Kirchgemeinde, die es zu beheben gilt. Sie kandidieren in einer ausgesprochen turbulenten Zeit. Wie haben Sie die Corona-Pandemie in diesem Jahr erlebt? Als sehr entschleunigend. Ich habe es schön gefunden, viel Zeit in der Natur und zu Hause beim Basteln, Werken und Renovieren verbringen zu dürfen. Sehr schade war, dass Kontakte zwischen den Menschen, reale Begegnungen nicht mehr möglich waren. Hinzu kommt, dass sich auch Mitglieder der Kirchgemeinde mit dem Virus angesteckt haben und dass Menschen in diesem Coronajahr in Sorgen und Nöte geraten sind. Wie hat sich der Ausfall der Gottesdienste auf das Kirchgemeindeleben in Einsiedeln ausgewirkt?

Für mich persönlich war das nicht sehr einschneidend, weil ich nicht jeden Sonntag einen Gottesdienst besuche und eher bei speziellen Anlässen in die Kirche gehe. Für das Gemeindeleben in Einsiedeln hat sich der Ausfall der Gottesdienste durchaus bemerkbar gemacht. Gestaunt habe ich darüber, wie wunderbar die Pfarrersleute den Ausfall durch einen Chat und die Tageslosung überbrückt haben. Die Verantwortlichen haben das wirklich toll gemacht: Der Chat war ein voller Erfolg und wurde von vielen Mitgliedern der Kirchgemeinde besucht. Welchen Stellenwert messen Sie der Digitalisierung innerhalb der Kirchgemeinde zu? Einen grossen: Just dank des virtuellen Chats, der den konkreten Gottesdienst ersetzt hatte, wurde ein Zusammenhalt unter den Gemeindemitgliedern spürbar und eine Solidarität unter den Gläubigen gelebt. Gerade dadurch, dass der Chat im Gegensatz zu einem normalen Gottesdienst unverbindlicher, informeller und täglich ist, haben sich mehr Leute als üblich eingeschaltet. Womöglich, weil sie sich eher getrauen, sich auf diese Weise vorzustellen und sich zu Wort zu melden. Sehr berührend war es, wie Leute, die coronabedingt in Sorgen und Nöte geraten sind, dies mitgeteilt haben. Und wie dann dieses Leid von den anderen Chat-Besuchern aufgenommen und geteilt wurde. Ich bin überzeugt, dass diese neue digitale Form der kirchlichen Kommunikation auch nach Coronazeiten weiter genutzt wird. Am Sonntag, um 11 Uhr, werden Sie zur neuen Kirchenpräsidentin gewählt. Dem Coronavirus zum Trotz?

Ich freue mich auf diesen Anlass und hoffe, das Vertrauen der Kirchgemeinde zur Ausübung dieses Amtes zu erhalten. Falls wider Erwarten mehr Leute als üblich kommen sollten, können wir problemlos den Raum ausweiten, indem wir den Besuchern neben der Kirche auch noch den unten liegenden Zwinglisaal zur Verfügung stellen würden. Auf diese Art und Weise können wir verhindern, dass es zu eng werden könnte. Die Kirchen leiden unter einem zunehmenden Mangel an Freiwilligen. Wie kann die Freiwilligenarbeit wieder in den Fokus gerückt werden? Das ist in Einsiedeln gar nicht nötig: Im Klosterdorf herrscht ein ausgesprochen reges Vereinsleben. Viele engagieren sich hierzulande in der Freiwilligenarbeit. Zeichen dafür ist, dass es der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln nicht viel Mühe bereitete, genügend Leute für den Kirchgemeinderat zu finden. Wohin bewegt sich die Welt?

Sie dreht sich weiter und weiter, unermüdlich (lacht). Ich bin nicht der Meinung, dass wir gleich vor einem Weltuntergang stehen. Trotzdem sollten die Menschen auf die Umwelt, die Natur, die Ressourcen dieser Erde achtgeben. Auf dass wir die Welt unseren Nachkommen möglichst gut erhalten übergeben können.

Yvonne Birchler stellt sich am Sonntag zur Wahl ins Präsidium der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln. Foto: Magnus Leibundgut

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