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Der amerikanische Traum lebt neu auf

Der amerikanische Traum lebt neu auf Der amerikanische Traum lebt neu auf

Denise Hill Oechslin, Nachfahrin Einsiedler Auswanderer, über die US-Wahlen in Kentucky

Sechs Uhr morgens ist es in Louisville in Kentucky, als der Einsiedler Anzeiger bei Denise Hill Oechslin anruft. Draussen ist es noch dunkel. Dunkel steht es auch noch um den Ausgang der Präsidentschaftswahl, die noch nicht entschieden ist. Aber die Familie von Nachfahren aus Bennau setzt ganz klar auf Biden.

WOLFGANG HOLZ

Denise Hill Oechslin sitzt am Küchentisch ihres Hauses in den Suburbs von Louisville. Sie hat noch keinen Hunger so früh am Morgen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Draussen wird es heute wohl so um die 20 Grad warm. Klingt angenehm – im Vergleich zu den momentan nassen sechs Grad in Einsiedeln.

Zum Nägelkauen

«Ich trinke nachher wohl erst Mal einen Tee und esse einen Frühstücksriegel – und vielleicht noch ein Joghurt», beschreibt die 62-Jährige ihr «Breakfast.» Doch eigentlich hat sie keinen rechten Appetit. Denn die noch offenen Präsidentschaftswahlen findet auch sie zum «Nägelkauen ». Allerdings, die Hoffnung auf einen neuen demokratischen Präsident in Gestalt von Joe Biden schwingt auf breiten Flügeln.

Donald Trump habe zwar im Bundesstaat Kentucky gewonnen. «Aber in den beiden grossen Cities Louisville und Lexington sowie im Jefferson County, wo wir wohnen, hat Biden gesiegt », ist Denise stolz. «But it is ridiculous», schimpft die Buchhalterin, die seit über 40 Jahren in einem kleinen Familienbetrieb arbeitet, im selben Atemzug: Trump habe schon wieder begonnen zu drohen. «Ich bin überzeugt, dass wir bereits in ein paar Tagen das erstausgezählte Ergebnis der Wahlen haben – aber dann gehts ja mit dem Nachzählen in einigen Bundesstaaten los, wie von Trump gefordert wird», sagt sie.

Demokratische Tradition Zwar ist die Familie Oechslin seit Jahrzehnten gewohnt, dass das ländliche Kentucky eher an die Republikaner geht. Doch dieses Mal ist eben alles ganz anders – weil es um eine historische Wahl geht. Und weil Demokrat Joe Biden momentan eben die Nase deutlich vorne hat. «Unsere ganze Familie wählt demokratisch», versichert Denise. Nur ihr Vater habe auf die Republikaner umgeschwenkt – seitdem er mit seiner zweiten Frau verheiratet sei. «I am very hopeful that Biden is going to win.» Eigentlich macht Denise Hill Oechslin, deren Vorfahren ursprünglich aus Bennau stammen, derzeit noch etwas ganz anderes Sorgen. «Wegen Corona kann ich meine beiden Enkelkinder momentan nicht sehen», ist sie traurig. Auch Kentucky sei von dem Virus schwer gebeutelt worden. «Wir dürfen alle nur mit Maske aus dem Haus – lediglich in einigen Parks kann man die Maske abnehmen, wenn man genügend Abstand hält», erzählt sie. Wegen Corona würde sich auch die Stimmenauszählung verzögern – weil es weniger Personal gebe. Und weil in den Wahllokalen ständig alles desinfiziert werden müsse. Um diesem Chaos zu entgehen, votierte sie vorab per Briefwahl.

McDonalds zur Wahl auf dem Sofa «Am Wahltag am Dienstag bin ich ganz normal zur Arbeit gegangen », berichtet die Louisvillerin. Am Abend habe sie dann mit ihrem Mann, der in der gleichen Firma arbeitet wie sie, auf dem Sofa vor dem Fernseher die Wahlen verfolgt. «Ich brachte uns was von McDonalds mit. Gibt es das auch in Einsiedeln?» Apropos. Im Klosterdorf war sie noch nie. «I would love to see it», versichert sie und erzählt, dass sie schon viele Bilder von der Heimat ihrer Vorfahren gesehen habe. «The Monastery, for example.» Wobei das Dasein für Denise Hill Oechslin im Vorort von Louisville – in dem rund 750’000 Menschen leben und dessen Namen sie wie «Luiiivil» ausspricht – natürlich viel urbaner tickt als im ländlichen Einsiedeln. «Bei uns ist es auch nicht so hügelig, liegt die Stadt doch im Flusstal des Ohio-Rivers», beschreibt sie die Landschaft vor ihrer Haustüre.

Was die generelle Stimmung in den USA angeht, sei diese seit Trump ziemlich ungemütlich geworden. «Viele Leute sind hasserfüllt und aggressiv, vor allem in den sozialen Medien.» Trump habe sich sehr rassistisch gegenüber den Schwarzen verhalten, die Polizei zeige sich oft sehr übergriffig, und vom Wirtschaftsboom hätten eben vor allem die Gutverdienenden profitiert. Denise Hill Oechslin will allerdings nicht klagen. «I get my paycheck regularly.» Sie hofft, dass sich nach den Wahlen mit einem neuen Präsidenten die Parteien wieder versöhnen. Dass ein angenehmeres Klima im Land wieder einkehrt – und dass die Umwelt geschützt wird. «Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir Corona in den Griff kriegen – damit ich endlich wieder meine zwei Enkelkinder sehen kann.»

«Viele Leute sind hasserfüllt und aggressiv, vor allem in den sozialen Medien.»

Denise Hill Oechslin, Louisville, Kentucky

Alle für Biden: Denise Hill Oechslin (Bildmitte) mit ihrer Familie und ihren Enkelkindern. Foto: zvg

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