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«Zum Wandern fehlt mir die Geduld»

«Zum Wandern fehlt mir die Geduld» «Zum Wandern fehlt mir die Geduld»

Interview mit der Einsiedler Langstreckenläuferin Samira Schnüriger

Jüngst rannte sie bei den Schweizer Meisterschaften den Halbmarathon in neuer Bestzeit und kam unter die Top Ten: die 25-jährige Samira Schnüriger aus Einsiedeln. Warum läuft Sie eigentlich so gerne kilometerweit über Stock und Stein?

WOLFGANG HOLZ

Wie lange könnten Sie eigentlich am Stück rennen, bis Ihnen die Puste ausgeht? Das ist vor allem eine Frage des Tempos. Bei langsamem Tempo könnte ich schon vier bis fünf Stunden am Stück laufen. In den Bergen ist man oft so lange unterwegs, das habe ich auch schon einige Male gemacht. Das ist nicht so schlimm, man ist danach nicht total erschöpft. Wow! Warum laufen Sie eigentlich so gerne und so viel – oder sagt Ihnen inzwischen eine innere Uhr: Ich will jetzt laufen? Es ist schon komisch, wenn ich einige Tage nicht laufe. Dann werde ich unruhig und fühle mich nervös. Ich laufe gerne mit Kollegen, aber auch alleine. Beim Laufen kann man gut nachdenken, und manches Problem ist nach dem Training gelöst.

Laufen Sie täglich?

Ich habe keinen bestimmten Ruhetag. Nach dem Rennen am vergangenen Sonntag in Belp habe ich einen Ruhetag eingelegt. Ich muss nicht täglich rennen. In der Woche laufe ich im Schnitt zwischen 80 und 100 Kilometer.

Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Kilometer Sie in Ihrem Leben schon gerannt sind? Das ist schwierig zu sagen. Ich habe eigentlich erst mit 16 so richtig angefangen, richtig zu laufen. Jetzt bin ich 25. Über den Daumen gepeilt bin ich wohl, auf den Äquator bezogen, so knapp einmal um die Erde gelaufen. Was ist für Sie die Faszination am Laufen? Oder rennen Sie vor etwas weg? Nein, man kann beim Laufen einfach hervorragend abschalten. Wie gesagt, hat man oft Tausende Probleme vor dem Lauftraining im Kopf – hinterher sieht vieles ganz anders aus. Ich mag auch hartes Intervalltraining: Beispielsweise zehnmal jeweils einen Kilometer rennen mit jeweils zwei Minuten Pause dazwischen. Yoga zum Entspannen wäre für mich zu langweilig. Das Schöne beim Laufen ist auch, dass man viele Dinge sieht und an verschiedene Orte kommt.

Eigentlich sind Sie ja über den SC Einsiedeln, also übers Skifahren, zum Laufen gekommen – über das Ausdauertraining. Bedauern Sie es heute nicht, möglicherweise eine erfolgreiche Skirennläuferin geworden zu sein? Nein, Skifahren ist schon schön, aber ich habe eigentlich keine Lust mehr auf Kälte, angelaufene Skibrillen und Schnee.

Am vergangenen Wochenende sind Sie in Belp Neunte im Halbmarathon der Schweizer Meisterschaften geworden. Sie sind zufrieden mit diesem Ergebnis? Ja, absolut. Es ist mir ja vor allem um die Zeit gegangen und weniger um den Rang. Am Sonntag bin ich den Halbmarathon mit einer Länge von gut 21 Kilometern erstmals unter einer Stunde und 20 Minuten gelaufen. Ausserdem ist es ja nicht schlecht, unter die Top Ten gekommen zu sein.

Apropos Halbmarathon. Sie sind ja eine unheimlich vielseitige Läuferin. Sie rennen von der 1500-Meter-Mittelstrecke bis zum Marathon alles. Welche ist Ihre Lieblingsdistanz? Schon eher Halbmarathon und Marathon. Diese Strecken liegen mir am besten. Dafür ist meine «Pumpe» wohl am besten ausgelegt. Mein Trainer hat mich aber auch schon mal die 1500-Meter-Mittelstrecke laufen lassen – die bin ich vom Tempo her gar nicht so schlecht gerannt. Grundsätzlich laufe ich aber nicht so gerne auf der Bahn – das ist Stress und Hektik pur. Man muss ständig konzentriert sein, um mitzubekommen, was um einen herum alles passiert. Da ist ein Halbmarathon schon wesentlich entspannter. Welche sind bislang die drei grössten Erfolge aus Ihrer Sicht? Da ist sicherlich die Zeit von 2 Stunden 51 Minuten beim Marathon letztes Jahr in Berlin. Das ist schon ziemlich gut. Dann bin mehrmals Schweizer Meisterin bei den Junioren in den U20und U23-Alterskategorien geworden. Und ich bin natürlich stolz auf meine neue Halbmarathon- Rekordzeit vom vergangenen Sonntag.

Was ist noch Ihr grosses Ziel? Olympia?

Olympia – das ist vielleicht mehr ein Traum als ein Ziel. Dafür müsste ich deutlich schneller sein. Denn dann müsste ich eine Zeit von 2 Stunden und 29 Minuten schaffen – das ist die augenblickliche Zeitmarke für eine Olympia-Marathonteilnahmeberechtigung. Das ist grundsätzlich nicht unrealistisch, aber da müsste noch einiges passieren, damit ich das schaffen kann. Realistischer ist für mich die Qualifikationszeit für den Marathonlauf bei Europameisterschaften. Die liegt derzeit bei 2 Stunden 39 Minuten.

Achten Sie eigentlich auf die Ernährung? Trinken Sie Alkohol? Nein, nicht besonders. Ich ernähre mich so ausgewogen wie möglich, um genügend Energie fürs Training zu haben. Alkohol trinke ich eher selten. Halt mal hier und da ein Gläschen, um bei einem Geburtstag mit anzustossen.

Wie haben sich Ihr Training und Ihre Wettkämpfe unter Corona- Bedingungen verändert? Kurioserweise nicht gross. Ich versuche, während des Tags zu trainieren und nicht nach dem Arbeiten. Ich habe wegen Corona auch keine Motivationsprobleme gehabt. Demotivierend war allerdings, dass plötzlich keine Rennen mehr stattfanden. Ich habe aber trotzdem einfach weiter trainiert. Nicht zuletzt bin ich ja auch nicht auf irgendwelche Sporthallen angewiesen. Wie gehen Sie selbst mit Corona um? Corona gehört inzwischen zu unserem Leben dazu. Ich habe keine Angst davor und versuche, mich so weit wie möglich zu schützen. Da ich eher ein distanzierter Mensch bin, macht es mir auch nichts aus, Abstand zu halten. Und an das Maskentragen habe ich mich inzwischen gewöhnt. Apropos Corona. Sie haben gerade an der ETH in Zürich Ihr Studium mit dem «Major Molecular Health Sciences» abgeschlossen. Was genau ist das – werden Sie jetzt womöglich Coronavirus- Forscherin? Nein, ich habe eine Pharma-Biotechnologie- Ausbildung in Kombination mit Medizintechnik abgeschlossen. Ab Januar werde ich als Labortechnikerin für ein Labor arbeiten, das Muskelstammzellen für eine Start-up-Firma kultiviert. Diese Firma in Schlieren im Kanton Zürich versucht damit, neue Wege zu entwickeln gegen die Inkontinenz bei Frauen. Es gibt Bilder von Ihnen, da rennen Sie zwischen Schnee und Stein in kurzen Hosen und Joggingschuhen mitten über alle Berge hinweg. Ist das die ultimative Quälerei oder die ultimative Freiheit?

Ganz klar das Zweitere. Ich laufe gerne in den Bergen. Da hat man viel Ruhe, es ist nicht so heiss zum Laufen, und es gibt nicht so viele Leute. Zum normalen Wandern fehlt mir einfach die Geduld. Was die Höhe angeht, macht mir die dünnere Luft nicht so viel aus – vielleicht liegt es daran, dass ich schon als Kind mit meinen Eltern immer viel Zeit im Engadin verbracht habe.

Und wo trainieren Sie in Einsiedeln?

Ich laufe gerne am Sihlsee entlang, Richtung Roblosen und Staumauer. Auch Richtung Trachslau ist es schön – das sind dann jeweils so Strecken mit einer Länge von 10 bis 15 Kilometern. Letzte Frage: Was machen Sie eigentlich, wenn Sie mal zu Hause einfach chillen beziehungsweise nichts tun? Ich male sehr gerne Aquarell – Blumen, beispielsweise. Oder ich verziere mein Trainingstagebuch. Dazu höre ich gerne Musik oder schaue mir eine Serie im Fernsehen an.

«Halbmarathon und Marathon liegen mir am besten. Dafür ist meine ‹Pumpe› wohl am besten ausgelegt.»

Samira Schnüriger

«Ich male sehr gerne Aquarell – Blumen, etwa.»

Flink über Stock und Stein: Samira Schnüriger bei einem Berglauf im Engadin. Fotos: zvg

Der Kreis schliesst sich: So viele Laufschuhe braucht die 25-jährige Einsiedlerin für ihren Sport.

1 Stunde und 19.06 Minuten: Samira Schnüriger bei ihrem persönlichen Rekord im Halbmarathon am vergangenen Sonntag in Belp.

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