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ZWISCHENLUEGETEN 3

MARTHA EMMENEGGER

Wer mit Kindern zusammenlebt, wird recht gefordert. Kinder sind neugierig, haben tausend Fragen und die älteren, man nennt sie Pubertierende, stellen 1. grundsätzlich alles in Frage und haben 2. immer recht. Nun, bei Samira, bald 16-jährig, stehe ich als Mutter im Fokus. Es gibt Tage, da nervt sie bereits ein kräftiges Niesen von mir, ich lache zu laut, bin doof oder mein Benehmen ist zu peinlich. Dann brauche ich eine recht dicke Haut und die tiefe Gewissheit, dass sie im Hormonstrudel ist und mich trotzdem liebt. Und dass jede Pubertät, spätestens mit Zwanzig, auch vorüber geht.

Nebst Pubertierende ist Samira aber auch kritisch Denkende. Manche Frage von ihr bringt uns zum Nachdenken. Letzthin forderte sie mich auf, nebst Corona und Sterblichkeitsrate den Blick auf seit Jahrzehnten täglich global stattfindendes Leid zu richten. «Ist dir klar, dass weltweit alle 6 Sekunden ein Kind unter 5 Jahren stirbt? Weltweit 15’000 Kinder pro Tag.» Nein, das war es mir nicht. Unsere Aufmerksamkeit gilt der nahen Gefahr, nicht dem fernen Leid. Man ist sich halt am nächsten. Was ja grundsätzlich nicht falsch sei, wagte ich zu behaupten. Worauf mir Samira entgegnete, dass Selbstliebe nicht Nächstenliebe ausschliesse. Und noch philosophischer, dass solche Vergleiche unserer überversorgten, überbesorgten und sicherheitsfanatischen ersten Welt gut tun würden. Und dass sie dem Sprichwort «Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit» von S. Kierkegaard widersprechen müsse. Solche Vergleiche förderten nämlich durchaus das Bewusstsein um das eigene Glück und die Zufriedenheit. Wo sie recht hat, hat sie recht.

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Martha Emmenegger, 45, freut sich über so viel eigenständiges Denken ihrer Tochter. Das lohnt alle pubertären Mühen …

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