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Als es in Willerzell zwei Schiessstände gab – eine Ode an vergangene Zeiten

VICTOR KÄLIN

Es war im Jahr 1986. Selbst als einfacher Soldat (Sdt) war ich ein Angehöriger der Armee (AdA) und somit verpflichtet, nicht nur den jährlichen Wiederholungskurs (WK) zu absolvieren, sondern auch das Obligatorische zu schiessen. Doch meistens war bei mir gerade dann der Tag besetzt, wenn der Bund auch meine Schiesskünste testen wollte. Die Folge: Sdt Kälin Victor musste wiederholt zum Nachschiessen antraben.

Da fuhr ich also an einem gottsjämmerlich verregneten Herbsttag im Jahr 1986 mit meinem Döschwo (2CV), dem Sturmgewehr (Stgw57) und meinem Schiessbüchlein über den Viadukt nach Willerzell. Beim Grüene Aff parkierte ich, um Ausschau nach einer kleinen Hütte zu halten. Aufgeboten wurde ich für den Schiessstand im Sulzel, der «irgendwo im Grünen» stehe, wie mir gesagt wurde. Im Grünen! Leicht gesagt, bei diesem Wetter. Über Umwege erreichte ich das Ziel dann doch noch: pflotschnass, entsprechend gelaunt und natürlich als Letzter. Zwei andere Nachzügler warteten auf mich und eine geschätzte 3:1-Übermacht an Betreuern – allesamt Schiesskünstler, die meisten vermutlich vom Militärschützenverein Binzen (MSV Binzen), der dort hinten im Niemandsland seinen Stand hatte. Ob irgend ein hohes Tier vom Militär auch dabei gewesen war, weiss ich nicht mehr.

Was mir aber in Erinnerung geblieben ist, sind die Binzner Schützen. Die kümmerten sich um uns drei, als wären wir verlorene Söhne Tells. Sie litten mit jedem Fehlschuss, ihr Seufzen war physisch und das Justieren am Korn meines Stgw57 eine pure Verzweiflungstat. Einmal nach rechts, nach links, dann nach oben und nach unten. Es half nichts und als der Zeiger einmal einen meiner Schüsse erst auf der Nachbarscheibe fand, drohte der Abbruch der Übung. Dieser kam tatsächlich. Aber auf anderen Wegen.

Urplötzlich klang das Horn des Warners gar eindringlich. Sofortiger Schiessstopp! Sichern. Entladen. Ende Feuer. In rund 250 Metern Entfernung zog friedlich grasend eine Kuhherde vor den Scheiben durch. Die Vierbeiner waren entweder an das Knallen gewöhnt, oder sie dachten, dass diese drei Amateure nicht einmal einen Elefanten preichen würden … Wie auch immer. Die Nervosität im Stand stieg, musste doch erst der Bauer gefunden werden, um seine Tiere zu verscheuchen. Und das alles ohne Handy. Es dauerte. Es regnete. Es gab Kaffee. Die Aufwärmrunde wurde lang und länger, der Schnaps flösste Mut ein und als die Kühe dann endlich das Feld räumten, war die Bahn zwar frei, meine Sicht aber leicht benebelt. Habe ich tatsächlich das Programm fertig geschossen? Oder hat sich einer der Profis erbarmt, dem Schrecken ein Ende gesetzt und mein Restprogramm unter dem Mantel der Verschwiegenheit zu Ende geschossen? Auf jeden Fall holte ich die geforderten 50 Punkte. Und kam somit um ein weiteres Aufgebot herum. Die Unterstützung der Binzner Schützen habe ich jedenfalls nie vergessen. Wie ich mit dem Döschwo nach Hause gekommen bin, hingegen schon.

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