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«Ich hatte wirklich Todesangst»

«Ich hatte wirklich Todesangst» «Ich hatte wirklich Todesangst»

Der 55-jährige Galgener Roger Weber erkrankte früh an Covid-19. Jetzt, ein halbes Jahr später, blickt er zurück.

STEFAN GRÜTER

Sie waren einer der ersten an Covid-19 erkrankten Ausserschwyzer. Wann und wo hatten Sie sich angesteckt? Es war am Freitag, dem 13. März, als der Bundesrat den Lockdown verordnet hatte. Wir feierten eine Aufrichte mit rund 65 teilnehmenden Personen. Tags darauf, gegen Abend, fühlte ich mich unwohl. Ich dachte, dass ich mir eine Grippe geholt habe, und versuchte, diese mit frühem Schlafengehen und Neo-Citran zu bekämpfen. In den folgenden Tagen ging es auf und ab, aber es wurde nicht besser.

Fieber?

Ja, Fieber, frieren, schwitzen, Schüttelfrost und extreme Müdigkeit, das kam dann dazu. Und Kopfweh, aber nicht das bisher Gekannte. Vielmehr so eine Oberflächenspannung. Wenn ich mir mit der Hand über die Haare gestrichen habe, so fühlte es sich an wie eine Entzündung, ein eigenartiger Reiz. So etwas war für mich völlig unbekannt. Ich hatte noch nie so eine extreme Grippe.

Nichts mit Arbeit?

Ich war immer zu Hause. Es ging mir wirklich schlecht, ich konnte gar nicht arbeiten, und ich ging noch immer davon aus, dass mich nun einfach eine heftige Grippe ausser Gefecht gesetzt hat. Alle Anzeichen sprachen dafür.

Hüsteln?

Ja, aber nicht wirklich husten. Eine Woche lang habe ich die Anzeichen nicht als typisch Covid- 19 wahrgenommen. In dieser Woche habe ich allerdings drei Kilogramm Körpergewicht verloren; schlussendlich, nach drei Wochen Covid-19, war ich sogar sechs Kilogramm leichter. Da kam für mich der Zeitpunkt, den Hausarzt zu konsultieren, denn ich war auch zunehmend entkräftet. Zudem bekam ich einen trockenen Rachen, was ich bisher auch nicht gekannt hatte.

Ich hatte das Gefühl, als ob ich die Zunge mit den Fingern lösen müsse. Ich war richtig ausgetrocknet, obwohl ich immer viel getrunken habe. Hinzu kam der Geschmacksverlust, aber davon hat damals auch noch niemand gesprochen. Das nahm man dann erst im April/ Mai als mögliches Signal auf. Was sagte dann der Hausarzt?

Er verwies mich ans Test-Zelt beim Spital Lachen. Dort war man mit dem Aufbau der entsprechenden Strukturen auch erst am Anfang. Es fühlte sich in diesem Provisorium wie in einem Provinz-Nest an. Es folgte ein Untersuch, ein bisschen husten, abhören. Fieber hatte ich nicht wirklich, vermutlich wegen den fiebersenkenden Medikamenten, die Lungenfunktion war normal. Es deutete nichts auf Covid-19 hin, sodass ich wieder nach Hause geschickt wurde.

Ich war schwach auf den Beinen, und nach zwei Tagen wandte ich mich erneut an meinen Hausarzt. Ich brauchte Stärkung, denn ich konnte nichts essen. Auf dem Tiefpunkt ass ich einen Drittel einer Orange, mehr ging nicht. Beim Hausarzt erhielt ich dann eine Infusion. Covid- Test gab es noch keinen, weil zu wenig Tests vorhanden waren. Die Infusion hat meine Verfassung verbessert, allerdings nur einen halben Tag lang. Ein paar Tage später erhielt ich eine weitere Infusion. Und dann folgte ein Test, nicht zuletzt, weil meine Frau, die mich zum Arzt fahren musste, darauf bestanden hatte. Dieser Test war dann positiv. Hat Sie das Testergebnis beunruhigt?

Der Bescheid an und für sich hat mich nicht beunruhigt. Aber als ich wieder zu Hause war, war ich noch schlapper und hatte Atemschwierigkeiten. Ansonsten fühlte ich mich wieder besser. Ich las wieder Zeitung, schaute Fernsehen und bediente mein Handy, was ich vorher nicht tat. Einerseits ein besseres Wohlbefinden, andererseits Atemprobleme. Da intervenierte meine Frau. Es wurde ihr unheimlich, sodass in Absprache mit dem Hausarzt die Spitaleinweisung erfolgte.

Mit höchster Alarmstufe?

Das Übliche. Tests, röntgen. Nichts Besonderes. Sauerstoffröhrli in der Nase. Alles sehr gut. Ich fühlte mich bestens aufgehoben. Das war am Donnerstagabend, knapp zwei Wochen nach besagter Aufrichte. Man brachte mich auf die normale Station, in ein Einer-Zimmer. Einer-Zimmer, also Isolation?

Ja, man isolierte mich. Die Spitaleinweisung war ein Einschnitt. Man sprach von Vorerkrankungen, das hatte ich alles nicht. 55 Jahre alt und bisher kerngesund, da kam ich schon ein bisschen ins Grübeln. Tags darauf kam für mich dann der schlimmste Augenblick, nicht vom Krankheitsverlauf her, sondern psychisch: Am Freitagabend kamen Arzt und Oberärztin und teilten mir mit, dass ich auf die Intensivstation verlegt würde. Da brach für mich eine Welt zusammen. Gleichzeitig sah man die TV-Bilder aus Italien, aus Mailand. Es ging mir ja eigentlich nicht schlecht … Auf dem Weg der Genesung?

Eigentlich schon, aber die Werte waren instabil. Man wollte mich besser überwachen können. Ich hatte das allererste Mal in meinem Leben Todesangst. Ich hatte auch Zeit zum Grübeln, es durfte mich ja auch niemand besuchen. Und da lag ich nun auf der Intensivstation, mit Maske und Sauerstoff.

Am Beatmungsgerät?

Nein, ich war nie am Beatmungsgerät angeschlossen. Aber permanent überwacht. Wenn ich etwas benötigte, so mussten sich die Spital-Mitarbeitenden in die Schutzkleidung stürzen, was logischerweise etwa zehn Minuten dauerte. Das tat mir jeweils richtig leid, denn die Mitarbeitenden begaben sich ja meinetwegen in Gefahr. Das kann man gar nicht genug schätzen.

Es folgten drei Tage Intensivstation und danach wieder drei Tage normale Station. Genau drei Wochen nach der denkwürdigen Aufrichte konnte ich das Spital wieder verlassen und war gesund. Wie war die Behandlung in der Intensivstation? Mussten Sie liegen? Konnten Sie aufstehen? Ich konnte aufsitzen, fühlte mich nicht schlechter. Langsam konnte ich wieder richtig essen. Was wirklich geholfen hat, kann ich nicht sagen. Ich erhielt ein Malaria- Mittel, von dem ich vor ein paar Tagen aber gelesen habe, dass es nicht die erhoffte Wirkung haben soll.

Haben Sie sich denn an der Aufrichtefeier vom 13. März angesteckt?

Nein, das ist vom zeitlichen Ablauf her nicht möglich. Ehrlich gesagt: Ich habe bis heute keine Ahnung, wo ich mich angesteckt habe. Ich kenne auch niemanden, den oder die ich angesteckt habe.

Wie hat Ihre Familie reagiert? Haben sich alle testen lassen?

Drei der vier Kinder sind ausgeflogen, und da haben wir den Kontakt natürlich vermieden. Meine Frau und unser Jüngster konnten sich nicht testen lassen. Sie hatten zu wenig Symptome, und es gab zu wenig Tests. Ich bin allerdings zu 99,99 Prozent sicher, dass meine Frau das Virus ebenfalls hatte. Sie hustete zeitweise mehr als ich. Wie waren die Reaktionen aus dem erweiterten Umfeld, Arbeitskollegen und Freunde? Ich höre es heute noch ab und zu: «Du bist der Erste, den ich kenne, der Covid-19 gehabt hat.» Für die meisten bin ich jetzt halt der Beweis, dass nicht nur die Alten und die Kranken an Covid-19 erkranken können. Das gab eine andere Sicht auf die Situation. Einer meiner Söhne hat blitzartig das Rauchen aufgegeben. Ich bin also nicht der Erste, der Sie so ausfragt und dem Sie Ihre Geschichte erzählen müssen?

Die Geschichte habe ich tatsächlich schon x-Mal erzählt. Es interessiert die Leute.

Sind Sie nun immun?

Laut kantonsärztlichem Dienst bin ich nicht immun, ich kann Covid-19 wieder bekommen. Der kantonsärztliche Dienst glaubt jedoch, dass ich niemanden anstecken kann.

Wie beurteilen Sie denn jetzt die Massnahmen, welche vom Bundesamt für Gesundheit und von der Politik verordnet werden?

Da bin ich selbst ziemlich im Clinch. Ich weiss nicht, was richtig und falsch ist. Tendenziell halte ich die derzeitigen Massnahmen in der Schweiz für akzeptabel. Weltweit und länderübergreifend finde ich die Massnahmen zum Teil übertrieben. Wo bleibt jetzt die EU? Ist es Schicksal? Kann man gar nicht ausweichen? Schwierig. Aber ich gebe ein Beispiel. Als Bauleiter hatte ich kürzlich eine Bemusterung im Kanton Zürich. Wir hielten uns selbstverständlich an die Maskenpflicht, sassen aber nachher an einem Tisch, tranken Kaffee, schauten auf den Plan, und vier Tage später wurde mein Mitarbeiter positiv getestet. Nochmals zwei Tage später ein weiterer Anwesender. Ich habe vorher gesagt, dass ich Todesangst gehabt hatte. Das hätte ich heute nicht mehr, weil ich weiss, dass die Krankheit in den meisten Fällen eher glimpflich verläuft. Wie haben Sie denn die beteiligten Institutionen des Gesundheitswesens erlebt? Ich muss allen, mit denen ich Kontakt hatte, ein Kränzchen winden. Wie sagt man so schön: Es sind alle meinetwegen gesprungen. Sie haben sich in Gefahr begeben, denn sie wussten nicht, ob sie sich trotz aller Sicherheitsvorkehrungen anstecken oder nicht. Der Aufwand war enorm; überall, wo ich war, wurde nachher aufwendig desinfiziert. Folgten nach dem Spitalaustritt noch regelmässige Kontrollen? Nein. Gar nichts. Man empfahl mir, noch zwei Tage zu Hause in Quarantäne zu bleiben. In der nachfolgenden Woche habe ich dann nur morgens gearbeitet, am Nachmittag habe ich einen Lauf gemacht, meist dem Spreitenbach entlang, den ich vorher vom Spitalbett aus gesehen hatte. Ich hatte das Angebot für einen Kuraufenthalt in einem Lungensanatorium, aber ich hatte und habe keine Nachwehen, sodass ich es nicht für nötig erachtet habe. Man sagte mir, dass meine Lunge ähnlich wie nach einer Lungenentzündung angegriffen ist, aber ebenso geht es Millionen von Menschen. Was würden Sie anders machen? Bereits am Anfang auf einem Test beharren? Es stand gar nicht zur Diskussion, es waren zu wenige Tests vorhanden. Aber nein, es ändert nichts. Und heute wird man ja sofort getestet. Leben Sie jetzt bewusster?

Der Mensch vergisst schnell. Im Augenblick der Krankheit macht man sich Vorsätze, in meinem Fall: weniger arbeiten. Ich habe mich auch hinterfragt, warum ich angreifbar geworden bin. War das vielleicht ein Signal, indem der Körper sagte: «Weber, stopp!» Die erste Woche hat es geklappt, aber jetzt lebe ich wieder normal weiter, wie vorher, und gebe «Vollgas».

Roger Weber und sein liebstes Hobby: Oldtimer mit zwei und vier Rädern. Im Bild ein englischer Riley 1935, mit Kompressor.

Foto: Stefan Grüter

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