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Denk mal

ERNST FRIEDLI

Hätte Alfred Escher damals Kälin geheissen, stünde das Denkmal für ihn bei uns. Er stände vermutlich in Bronze gegossen lebensoder noch grösser beim Klosterplatz und würde mit freiem Sinn und unternehmerischem Weitblick in die Runde blicken. Aber dann hätte unser Bezirk heute ein Problem.

Denn in Zürich, wo der richtige Alfred steht, wird zurzeit behördlich überlegt, welche Denkmalstatuen unbedenklich stehen bleiben dürfen, und welche von den Sockeln geholt werden müssen. So richtig unbedenklich sind heute nämlich nur noch Statuen von total unbedenklichen Prominenten, also von Mitmenschen, deren Lebenswandel nicht bloss untadelig, sondern ganz und gar makellos war.

Alfred Escher war Politiker und Unternehmer und hatte einen riesigen Einfluss auf die Entwicklung unserer Schweiz. Aber er war auch im Besitz einer Kaffeeplantage auf Kuba, wo nachweislich Sklaven für ihn schufteten. Das ist der Makel, der ihn jetzt vom Sockel holen könnte.

Klärli und ich meinen, es wäre lehrreicher, wenn man den Alfred stehen liesse, aber am Sockel ein Täfeli montieren würde. Darauf sollte stehen, was er alles gemacht hat: das Gute und das Ungute. Dann würde aus dem (heute peinlichen) Ehrenmal ein zeitlos lehrreiches Denkmal, was ja eigentlich «denk mal» bedeutet. Schliesslich gibt es keinen Menschen, der sein ganzes Leben als lupenreines Vorbild verbracht hat. Escher Alfred war damals auch Sklavenhalter. Solange er auf dem Sockel steht, kann man lernen, dass das heute ein schweres Verbrechen ist. Kommt er weg, darf man auch das vergessen. Ernst Friedli, 64, seit Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und zum Sinn von politisch korrekten Denkmälern.

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