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Aufruf ans «Mittelalter»

Aufruf ans «Mittelalter» Aufruf ans «Mittelalter»

Das grosse Welttheater in kleinen Geschichten: Die ersten 50 Jahre.

WALTER KÄLIN Während sich für die Spielzeit 2020 zu wenig junge Männer gemeldet haben, die bereit gewesen wären, sich auf der Bühne zu produzieren oder hinter den Kulissen anzupacken, fehlten 1937 Frauen und Männer, die mitten im Leben standen. «Das ‹Mittelalter› beider Geschlechter hält zurück», stellten die Verantwortlichen damals fest. Aber nicht nur eine bestimmte Altersgruppe machte sich rar, sondern erstaunlicherweise auch jene, die man heute als «kulturaffin» bezeichnen würde: «Die gebildeten Kreise überlassen Ehre und Arbeit im Allgemeinen dem einfachen Volke. Es könnte anders sein, und es muss anders werden. » Es mangelte nicht an zarten Geschöpfen, die als musizierende, singende, lichttragende oder tanzende Engel im Programmheft aufgeführt waren, nein, die gestandenen Männer wurden gesucht: «Reife Männer gehören in die Chöre des Königs, des Reichen, des Landmanns, Figuren, denen Panzer und Jacke wohl anstehen, Gesichter, denen die Jahre und nicht der Farbstift das Alter aufgedrückt, Stimmen, denen man die bedeutsamen Worte Calderóns glaubt.» Vielleicht fehlte das «Mittelalter » 1937, weil die Mitwirkenden in diesem Jahr zum ersten Mal gleich an drei Tagen pro Woche auf dem Klosterplatz standen, nämlich jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag.

Ansporn, sich 1937 für das Welttheater zu engagieren, hätten die guten Kritiken sein können, welche während der Spielzeit zwei Jahre vorher erschienen waren. In der NZZ zum Beispiel: «Wenn man statt irgendwelcher Namen von Darstellern im Programmheft ‹Das Volk von Einsiedeln› liest, so erlebt man im Verlaufe des eindrucksstarken Abends den Begriff dieser Spielgemeinschaft mit einem Gefühle hoher Achtung; denn dieses feierlichste und monumentalste unter den schweizerischen Laienspielen ist auch am lebendigsten in dem Volkstum der Aufführenden verwurzelt.» In der «Neuen Schweizer Rundschau » war zu lesen, was der Zürcher Schriftsteller und Literaturprofessor Robert Faesi vom Einsiedler Spielvolk hielt. Der Autor des erfolgreich verfilmten Romans «Füsilier Wipf» erteilte ihm gleichsam die höheren Weihen: «Wenn das Spiel der Einsiedler Laien selbst dasjenige der berufsmässigen Prominenten von Max Reinhardts Salzburger Welttheater an unmittelbarer Überzeugungskraft übertrifft, so eben darum, weil der Ernst und die menschliche Echtheit eines solchen Gemeinschaftswirkens dem Zuschauer unwillkürlich wesensandere Massstäbe aufdrängen, als er auf den professionellen Theaterbetrieb anzuwenden gewohnt ist.»

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