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«Man kann nur hoffen und beten»

«Man kann nur hoffen und beten» «Man kann nur hoffen und beten»

Weissrussin Katerina Kälin hat in Zürich eine Demonstration gegen Diktator Lukaschenko mitorganisiert

Nach den fragwürdigen Präsidentschaftswahlen formiert sich nicht nur in Weissrussland immer mehr Opposition gegen Diktator Lukaschenko. Auch Katerina Kälin, seit sieben Jahren Mitglied im Einsiedler Kulturverein Dialog, hat jüngst in Zürich mit Landsleuten gegen das Regime demonstriert.

WOLFGANG HOLZ

Eigentlich erinnert hier nichts an Revolution. Gar nichts. Von der einen Seite der sonnigen Wohnungsterrasse in Wollerau geniesst man eine herrliche Aussicht auf den Zürichsee. Von der anderen Seite erblickt man den Etzel. «Life is better at the beach» steht auf den Kissen der behaglichen Sitzgruppe, auf der Katerina Kälin gerade Platz genommen hat. Und dennoch – trotz dieser sehr gediegenen und entspannten Atmosphäre – schlägt das Herz der 38-jährigen Weissrussin gerade vor allem für ihre vielen Landsleute in Belarus – wie ihre Heimat auf weissrussisch heisst. Denn dort, rund 2000 Kilometer beziehungsweise gute 20 Autostunden von Wollerau entfernt, protestieren im Augenblick viele Weissrussen in der Öffentlichkeit gegen Diktator Alexander Lukaschenko.

Juristin und Ökonomin aus Chagall-Stadt Dieser wurde bekanntlich im Rahmen fragwürdiger Wahlen wieder zum Präsidenten seines Lands gewählt – eines Landes, das er seit 26 Jahren mit eiserner Hand führt. «Auch meine Mutter hat Lukaschenko gewählt und wahrscheinlich auch mein Bruder», berichtet die studierte Juristin und Ökonomin, die ursprünglich aus der grossen Industriestadt Witebsk stammt. Witebsk zählt rund 370’000 Einwohner und ist vor allem dadurch weltbekannt, weil hier der berühmte Maler Marc Chagall geboren wurde. «Das Geburtshaus Chagalls steht übrigens genau gegenüber vom Gebäude des Geheimdiensts », sagt die Weissrussin mit einem kritischen Unterton in ihrer Stimme. Seit sieben Jahren lebt sie nun schon in der Schweiz und genau so lange ist sie auch schon Mitglied des Einsiedler Kulturvereins Dialog.

Diesem Verein, der laut Einsiedelns Präsidentin Irina Bilyavska die kulturelle Vielfalt von Menschen mit Migrationshintergrund präsentieren und eine Plattform für den Austausch zwischen Einheimischen und Zugewanderten fördern will, gehören insbesondere Personen aus Ländern wie der Ukraine, der Slowakei, Russland, Österreich, Georgien, Kasachstan und eben auch aus Weissrussland an. Der Verein nimmt aktuell an einer Plakatausstellung im Paracelsuspark im Klosterdorf teil (EA 65/2020).

Doch zurück zum politischen Widerstand in Belarus – und in Wollerau. Denn auch Katerina Kälin, die ihren Schweizer Ehemann Bruno übers Internet kennen lernte, und nun mit ihrem zehnjährigen Sohn Arseni als dreiköpfige Familie in einem modernen Quartier in Wollerau wohnt, hat bei den Wahlen für die weissrussische Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja gestimmt. Wie die meisten ihrer Landsleute und anderer Weissrussen aus dem Ausland, die in der Schweiz leben und vor gut einer Woche auf der Berner Botschaft von Belarus ihre Stimme abgegeben haben.

Die Sache mit dem Wahl-«Pratakol» Erzählts und zeigt auf ihrem Handy das «Pratakol» von der Wahl in der Botschaft – auf dem offiziell 240 weissrussische Personen für Tichanowskaja votierten und nur 32 für Lukaschenko. Wenn es also nach den Weissrussen im Ausland gehen würde, wäre «Väterchen Batka», wie der letzte Diktator Europas früher noch von seinem Volk liebevoll genannt wurde, längst abgewählt. «Allerdings hat es zwei Tage gedauert, bis man uns von der Botschaft das Wahlergebnis endlich mitgeteilt hat», berichtet Kälin.

200 Personen bei Demo Aus Verärgerung über diese Verzögerungs- und Hinhaltetaktik der belarussischen Botschaft habe sie dann zusammen mit anderen Landsleuten spontan beschlossen, eine Demo in der Schweiz gegen Lukaschenko mitzuorganisieren.

«Ich bin sehr talentiert im Organisieren », erklärt sie. Und da die junge Frau, die mittlerweile auch über den schweizerischen Pass verfügt, im Internet und Facebook unter Weissrussen in der Schweiz bestens vernetzt ist, erschienen zur Demonstration in Zürich auf dem Hechtplatz an Mariä Himmelfahrt mehr als 70 Personen – für welche die Stadtpolizei eine Bewilligung erteilt hatte. «Es sind aber mehr als 200 Teilnehmer gekommen», ist Katerina Kälin stolz.

Und nicht nur Weissrussen solidarisieren sich laut Kälin inzwischen mit den politischen Protesten ihrer Landsleute in Belarus. Auch Schweizer. «Ich bin aus Zürich und habe grosse Sympathien für die Menschen in Belarus », schreibt eine Stephanie aus der Limmat-Metropole in einem Internet-Post. «Ich habe gesehen, dass Du die Kundgeben mitorganisiert hast. Leider habe ich das verpasst. Wenn es weitere Demos in der Schweiz gibt, würde ich Euch gerne unterstützen.» Tränen in den Augen

Dabei lautet die zentrale Frage, die viele mittlerweile international umtreibt: Wie lange wird sich Lukaschenko nach den immer breiter werdenden politischen Protesten in seinem Land noch als Präsident halten können?

«Man weiss es nicht», sagt Katerina Kälin. Man kann nur hoffen und beten, dass Lukaschenko bald geht», ist die Wollerauerin überzeugt. «Ich empfinde jeden Tag grossen Respekt für den Mut und die Energie der Menschen in Belarus, die für ihren politischen Widerstand Schläge einstecken müssen und teilweise eingesperrt werden.» Und dann stehen ihr plötzlich Tränen in den Augen. Nicht nur, weil sie sich ständig irgendwie «nervös» und «gestresst» fühle – aufgrund der bewegenden politischen Ereignisse in Minsk und anderen weissrussischen Städten. «Ich habe inzwischen auch Angst.» Angst etwa, bei einer Reise in ihre Heimat nun selbst bereits am Flughafen in die Hände von Lukaschenkos Häschern zu geraten. «Ich habe meiner Mutter schon gesagt: Solange Lukaschenko an der Macht ist, kann ich Dich nicht mehr besuchen kommen.» Sie wünscht sich deshalb, dass es bald eine neue demokratische Regierung in Belarus geben möge. Ihre Mutter, der sie regelmässig Geld aus der Schweiz schickt, könne die politische Aufregung gar nicht verstehen. «Im weissrussischen Fernsehen werden die Demonstrationen nämlich gar nicht gezeigt », sagt Katerina Kälin.

Ihren Sohn Arseni, der seine ersten drei Lebensjahre in Weissrussland verbracht hat, will sie derzeit noch mit der Politik in der Heimat verschonen. «Ich weiss zwar, dass er auch schon mitbekommen hat, was in Belarus gerade los ist – aber Kinder haben ein Recht auf Kinderzeit. »

«Kartoschki» auf der Terrasse

Katerina Kälin selbst kultiviert derweil auch noch ganz andere, bodenständige Reminiszenzen an ihre Heimat. Nicht nur, dass sie an diesem Morgen ein rotes Folklorekleid mit aufgestickten Ornamenten trägt. In einem kleinen Blumenkasten auf der Terrasse baut die weltoffene Slawin, die 2015 übrigens den ersten russischen Lebensmittelladen der Region in Horgen auf die Beine stellte, «Kartoschki» an. Kartoffeln – das Grundnahrungsmittel aller Osteuropäer. In der Küche hat sie bereits einige appetitliche Exemplare zusammen mit einer Knoblauchknolle und einer Paprika hübsch in einem selbstgebastelten Körbchen drapiert: Heimat als Harmonie.

«Ich bin sehr talentiert im Organisieren.»

Katerina Kälin

«Ich habe meiner Mutter schon gesagt: Solange Lukaschenko an der Macht ist, kann ich Dich nicht mehr besuchen kommen.»

Sympathisiert mit ihren Landsleuten in Belarus: Katerina Kälin. Sie lebt seit sieben Jahren in der Schweiz.

Die selbstangebauten Kartoffeln erinnern sie an ihre Heimat.

Auch Schweizer solidarisieren sich. Fotos: Wolfgang Holz/zvg

Diese Demonstration für Demokratie in Weissrussland fand an Maria Himmelfahrt in Zürich statt: Katerina Kälin organisierte sie mit.

«Life is better at the beach»: Das Leben in Wollerau und in Weissrussland sind offensichtlich ziemlich verschieden.

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