Oase am Stadtrand
BRIEF AUS DEN USA
Es dauerte einige Zeit, bis ich im Raum Denver eine Kirche fand, in welcher ich fast jederzeit ein Kerzchen anzünden kann, falls das Bedürfnis dazu aufkommt. Obwohl es einige katholische Kirchen gibt, ist es gar nicht so einfach, diese Tradition in meiner neuen Heimat weiterzuverfolgen.
Fündig wurde ich etwa 30 Minuten ausserhalb der Stadt, auf dem ersten Hügelzug der Rocky Mountains, dort wo sich die Rehe und Klapperschlangen gute Nacht sagen. Selbst wenige Einheimische kennen den Mother Carbini Shrine. Obwohl von der Autobahn aus die grosse Jesus Statue für ein paar Sekunden gut sichtbar ist, ist dieses Klösterchen ein verstecktes Juwel.
Seit einigen Jahren besuche ich etwa zweimal im Jahr das Grotto, eine Kopie des Grottos in Lourdes, und lasse meine Kinder je eine Kerze anzünden. An guten Tagen steigen wir danach die 373 Treppen des Kreuzweges hoch und kommen jeweils atemlos bei der Statue an. Die Aussicht auf Denver, auf die endlose Prärie im Osten und auf die Berge im Westen ist einmalig.
Die Anlage ist der heiligen Schwester Frances Cabrini, einer Missionarin aus Italien, zu verdanken. Sie wurde 1850 in Norditalien geboren und kam in den Genuss einer Ausbildung als Lehrerin. Danach wollte sie als Missionarin nach China gehen. Papst Leo der 13. jedoch hatte andere Pläne. Er schickte sie in die USA, um die armen italienischen Immigranten zu betreuen. Im Jahr 1902 war sie das erste Mal in Denver in einem Waisenhaus tätig. Einige Jahre später kaufte sie ein billiges und trockenes Stückchen Land ausserhalb der Stadt. Das Grundstück wurde als Sommerlagerplatz für die Mädchen des Waisenhauses benutzt. Schon bald lebten einige Schwestern das ganze Jahr auf dem Areal und betrieben einen kleinen Bauernhof. Sie beklagten sich jedoch bei Cabrini, dass es keine Quelle auf dem Areal gäbe. Frances Cabrini schritt darauf auf einen grossen Stein zu und gab Anweisungen darunter ein kleines Loch zu graben, um frisches Wasser zu finden. Später wurde an dieser Stelle eine Brunnenanlage installiert. Dem Quellwasser wird heilende Kraft zugesprochen. Heuer ist das erste Jahr, dass der Brunnen sicherheitshalber abgeschaltet wurde. Das Quellwasser kann aber im kleinen Klosterladen auch während der Corona-Krise gekauft werden.
Schwester Frances Cabrini starb im Jahr 1917 in Chicago und wurde fast 30 Jahr später heilig gesprochen. Sie soll ein Baby geheilt und andere Wunder bewirkt haben. Heutzutage ist die Klosteranlage ausserhalb von Denver eine ruhige Oase mit einem Meditationsgarten, einem Rosenkranzweg und einer vor allem bei mexikanischen Immigranten beliebten Kirche mit bunten Fenstern.
Das Wirken von Frances Cabrini lebt in ihrer Glaubensgemeinschaft der «Missionary Sisters of the Sacred Heart» weiter. Die Schwestern sind in 16 Ländern tätig und betreiben Schulen, Spitäler und Waisenhäuser. Noch immer nehmen sie sich vor allem Immigranten an. Regula Grenier * Die Einsiedlerin Regula Grenier-Flückiger (*1973) zügelte 2007 nach Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado, am Fusse der Rocky Mountains. Seit 2011 wohnt sie im Nachbarort Thornton. Dort kamen 2011 Sohn Cody Frederick und 2015 Tochter Stephanie Nova zur Welt.