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Eine Art heiliger Schauer

Eine Art heiliger Schauer Eine Art heiliger Schauer

Reliquien übten früher eine magische Anziehungskraft auf Gläubige aus. Heute sollen diese Überreste von Märtyrern vor allem eine geistige Beziehung zu Gott aufbauen. Ein Rundgang mit Pater Philipp Steiner durch die Reliquiensammlung des Klosters Einsiedeln.

VON WOLFGANG HOLZ

Wie ein Quader mit einer Pyramide auf der Spitze steht die Stele hinter dem Gitter in der Klosterkirche. In einem warmen Orangeton leuchtet der rund 30 Zentimeter hohe Glaskörper, der mit zahlreichen Kleeblattkreuzen verziert ist. Durch das mehrheitlich undurchsichtige Glas ist schemenhaft ein Knochen zu erkennen. «Dabei handelt es sich wahrscheinlich um das Stück eines Armknochens des heiligen Mauritius», erklärt Pater Philipp Steiner. Der heilige Mauritius ist zusammen mit der Gottesmutter Maria Patron der Einsiedler Klosterkirche.

Zeitgemässe Heiligenverehrung Mit dem neuen Mauritiusreliquiar, das seit Herbst letzten Jahres in der Klosterkirche aufgestellt wurde und das vom Luzerner Christoph Stooss kreiert wurde, soll eine zeitgemässe Form der Heiligenverehrung und des Umgangs mit Reliquien initiiert werden.

Denn Reliquien sind durchaus zwiespältig. Zum einen können solche körperlichen Überreste (lateinisch: «reliquiae») zwar einen scheinbar physischen Beweis für die tatsächliche Existenz eines verstorbenen, verehrten Heiligen liefern. Zum anderen können solche religiösen Relikte aber auch ablenken vom Wesentlichen – von Gott selbst. Wenn sie zum Objekt werden.

«Wenn wir aber Reliquien nicht absolut setzen und sie als Hilfe zum Aufbau einer Beziehung nutzen», so Pater Philipp, «dann ist eine gesunde Reliquienverehrung ein Weg, um im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen. Heilige wollen uns ermutigen, unseren eigenen Glaubensweg konsequent zu gehen.» Knochen, Schädel, Gebeine

Im Gegensatz zum neuen Mauritiusreliquiar sind die meisten anderen Reliquien in der Klosterkirche Einsiedeln Knochen, Schädel und Gebeine, die in kunstvoll gefertigten, barocken Vitrinen an Altären platziert und ausgestellt sind.

Wobei auch in jedem Altar der Klosterkirche Reliquien eingemauert sind. «Das geht auf die Tradition der frühen Kirche zurück», erklärt Pater Philipp. Damals haben die Christen oft über Gräbern von Märtyrern Altäre errichtet und Eucharistie gefeiert. Später seien zur Gründung von neuen Kirchen Knochen von Heiligen versandt worden, damit diese in neue Altäre integriert werden konnten – quasi als heiliger «Grundstein».

Sankt-Meinrads-Reliquie

Die wichtigste Reliquie in der Klosterkirche Einsiedeln befindet sich seit 1984, als Papst Johannes Paul II. der Wallfahrtsmetropole Einsiedeln einen offiziellen Besuch abstattete, im Hauptaltar der Kirche. Es handelt sich dabei um den mit Silber ummantelten Schädel des heiligen Meinrad – jenes Eremiten im Finstern Wald aus dem 9. Jahrhundert, auf den die Klostergründung zurückgeht.

«Bei der Sankt-Meinrads-Reliquie wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass sie mit grösster Wahrscheinlichkeit auch vom heiligen Meinrad stammt – dessen Leichnam ja in dessen Heimatkloster auf der Insel Reichenau bestattet wurde», sagt Pater Philipp. Sprich: Es sei verbürgt, dass es sich um den Schädel eines 60- bis 70-jährigen Mannes handle, der im 9. Jahrhundert gelebt habe, der sich vegetarisch ernährte und der Verletzungen aufweise – bekanntlich wurde der heilige Meinrad ja am 21. Januar 861 von zwei Landstreichern erschlagen. Meinrads Herz soll gemäss Legende auf dem Etzel begraben sein.

Stück Holz vom Kreuz Jesu Eine weitere wichtige Reliquie des Klosters Einsiedeln ist ein Stück Holz vom Kreuz Jesu. In der Jugendkirche der Pfarrei Einsiedeln soll sich übrigens ein Knochen des heiligen Wolfgang im Altar befinden. «Viele Reliquien sind mit der Geschichte eines Ortes verbunden und darum identitätsstiftend», so Pater Philipp.

Bei anderen Reliquien des Klosters Einsiedeln, von denen viele in einem unterirdischen Magazin hinter verschlossenen Türen aufbewahrt werden, ist es nicht in allen Fällen sicher, ob es sich tatsächlich um das Überbleibsel eines mit Namen bezeichneten Heiligen handelt – vielfach handelt es sich um sogenannte Katakombenheilige der christlichen Urkirche.

«Letzten Endes beeinträchtigt diese Unsicherheit aber nicht die religiöse Beziehung eines Gläubigen, der ja über die Reliquie eine Brücke zu einem Heiligen und damit zu Gott aufbauen will», sagt Pater Philipp. Die Reliquie verweise auf etwas, was sie selbst übersteige. Es gehe um eine konkrete Person, welche durch sie repräsentiert und ein Stück weit gegenwärtig setze. Autogramme von berühmten Personen einzufordern, sei heutzutage ein ähnliches Phänomen. Auch Missbrauch betrieben

Gleichzeitig verschweigt Pater Philipp aber auch nicht, dass mit Reliquien, die besonders im Mittalter und im Barock eine grosse Faszination auf Gläubige ausgestrahlt haben, viel Missbrauch betrieben wurde. «Man hat mit Reliquien gehandelt, Geld verdient. Reliquien erhielten den Status von religiösen Fetischen », sagt er. Es sei durchaus ein Verdienst der Reformation, dass solche negativen Entwicklungen gestoppt oder wenigstens eingedämmt worden seien.

«Grundsätzlich passen Reliquien aber zum katholischen Glauben in ihrer Funktion, Zeugnis dafür abzulegen, dass konkrete Menschen den Glauben mit Leben erfüllen», erklärt Pater Philipp. «Während die Knochen und Totenschädel früher unter Gläubigen Ehrfurcht, Frömmigkeit und Respekt ausgelöst haben, bilden sie noch heute eine Brücke in die Vergangenheit und in die transzendente Welt.» Eine Art heiliger Schauer.

«Eine gesunde Reliquienverehrung ist ein Weg, um im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen.»

Pater Philipp Steiner

Für die Öffentlichkeit nicht zu sehen – diese Reliquie ist im Reliquienschrank des Klosters aufbewahrt.

Pater Philipp Steiner.

Fotos: Wolfgang Holz

Meinrad-Reliquie im Hauptaltar.

Die moderne Mauritius-Reliquie in der Klosterkirche.

Die wichtigste Tür in Einsiedeln.

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