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Wellenbad

Wellenbad Wellenbad

ZWISCHENLUEGETEN 3

ERNST FRIEDLI

Es ist eine sehr alte, aber eindrücklich haftende Erinnerung aus meiner Kindheit: Ich sitze in der emaillierten Familien-Badewanne und schiebe mit verschränkten Armen schwungartig das Wasser gegen vorne von mir weg. Das Wasser weicht, von einer Delle gefolgt, steigt an der Wanne schwappend hoch, macht kehrt und schiebt sich als zweite Welle zu mir zurück. Diese wendet sich wieder von mir weg, schlägt gegen die Wannenwand und kommt wieder auf mich zu. Ein abwechselndes, tanzendes Hin und Her. Ich bleibe dann so ruhig wie möglich sitzen und versuche zu zählen, wie oft die Welle von da nach dort und zurück läuft, bis das Wasser wieder beruhigt. So habe ich schon als Kind herausgefunden: Je heftiger ich meine Arme von mir schiebe, um so häufiger sind die hin und her laufenden Wellen, bis das Badewasser wieder stillsteht. Mein Wannen-Rekord betrug fünfzehn wandernde Wannenwellen.

Bei meinem Versuch, diesen Rekord doch noch zu brechen, schoss dann einiges Wasser neben die Wanne, was meine damalige Mutter nicht gern gesehen hat. Seither habe ich mich mit Ausnahme von Klärlis Dauerwellen nicht mehr mit Wellenzählen befasst.

Die Badewannengeschichte ist nicht ganz mit der jetzigen Lage vergleichbar. Aber ich kann mich nicht erinnern, im Wasser jemals nur eine einzelne Welle beobachtet zu haben. Ich wäre vermutlich sogar erschrocken, wenn sich das Wasser nach dem ersten Impuls schlagartig beruhigt hätte. Insofern bin ich gar nicht überrascht, wenn jetzt eine zweite Welle kommt. Hauptsache, es gibt keine Dauerwellen.

* Ernst Friedli, 64, seit Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und wurde schon als Kind aus Erfahrung klüger.

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