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«Jetzt zählt es, jetzt müssen wir einen perfekten Job machen!»

«Jetzt zählt es, jetzt müssen wir einen perfekten Job machen!» «Jetzt zählt es, jetzt müssen wir einen perfekten Job machen!»

Der Einsiedler Timon Muster leistete im Frühjahr 2020 seinen regulären Wiederholungskurs, als sich Mitte März die Ereignisse um das Coronavirus plötzlich auch in der Schweiz überschlugen.

JAHN KOCH

Wenige Tage vor der geplanten Rückkehr ins Zivilleben hiess es für Timon Muster plötzlich: Ernstfall, Dienstverlängerung und Assistenzdienst zugunsten der zivilen Behörden. Als Grenadiere der Militärpolizei wurden der Unteroffizier Muster und seine Einheit dem Grenzwachtkorps im Raum Basel zur Unterstützung zugewiesen und erlebten dort während drei fordernden Wochen hautnah die Wirren der ersten Coronaphase an der Landesgrenze. Was schoss Ihnen als erstes durch den Kopf, als dieser unerwartete Einsatz bekannt gegeben wurde?

Unsere Einheit war bereits dabei, das Material zurückzugeben – und somit im Geiste praktisch auf dem Weg nach Hause. Als dann unvermittelt bekannt wurde, dass die Lage sich so schnell verschärft hatte und wir als Unterstützung der zivilen Behörden gebraucht würden, waren wir zunächst sehr angespannt. Im ersten Moment waren sicherlich auch einige Kameraden enttäuscht oder unter Druck, weil sie sich privat organisieren musste. Dieser Schrecken der ersten Stunde machte jedoch rasch der Einsicht Platz, dass man nun auf unseren Einsatz zählt und wir gefordert sein würden. Haben Sie sich persönlich Sorgen gemacht, mit Corona in Kontakt zu kommen oder gar die Gesundheit aufs Spiel zu setzen?

Im Militärdienst hatten wir in den vorangegangenen Wochen nicht sehr viel Notiz von Corona genommen. Daher war es mir schon ein wenig mulmig zumute – wie wohl den meisten Mitmenschen. Die neue Krankheit war noch weitgehend unbekannt und schien bedrohlich, darüber sprach man auch mit den Kameraden im WK. In Panik verfiel ich aber nicht. Ich befolgte die allgemeinen Hygieneregeln und begegnete der Sache mit einer gesunden Portion Respekt, jedoch nicht mit akuter Sorge um meine eigene Gesundheit. Als Unteroffizier gehören Sie zum Armeekader und führen Truppenangehörige. Wie reagierten Ihre unterstellten Soldaten?

Anfänglich herrschte bei uns allen tatsächlich etwas Unsicherheit, da die Lage sich so rasant entwickelt hatte. Als unsere Vorgesetzten ihre Einsatzplanung aber dann gemacht hatten und klare Anweisungen folgten, waren alle voll dabei und engagiert. Der Einsatzbefehl regelte auch klar, wie lange unser Assistenzdienst dauern würde und wann wir nach Hause zurückkehren würden. Das trug spürbar zur Entspannung bei.

Ich selbst hätte in jenen Tagen nach Abschluss meines regulären WKs eigentlich direkt eine neue Stelle antreten sollen, was sich nun natürlich verzögerte. Mein neuer Arbeitgeber reagierte aber verständnisvoll und es klappte problemlos mit dem späteren Stellenantritt. In ähnlicher Weise hatten sich etliche meiner Kameraden zu organisieren, es klappte aber meines Wissens überall. Was waren die mühsamsten organisatorischen Probleme, vor die ihr gestellt wurdet? Ich denke, das waren bei mir und vielen anderen die knappen Vorräte an sauberer Unterwäsche (lacht). Wir hatten natürlich alle nur noch für wenige Tage Wäsche dabei und nun sollten wir plötzlich drei Wochen am Stück Dienst leisten ohne die Möglichkeit, nach Hause zu gehen und zu waschen. Meine Eltern halfen mir schliesslich unter erschwerten Bedingungen – geschlossene Läden und Verzögerungen im Paketverkehr der Post – aus der Patsche und wir organisierten auch unseren eigenen Wäschedienst in der Truppe. In diesen Tagen war Gelassenheit und Flexibilität gefragt, doch es wurde wenig gejammert, da wir ja wussten, dass es dem Rest der Gesellschaft in dem Moment genau gleich erging.

Was sind für Sie im Rückblick die eindrücklichsten Erfahrungen, die Sie aus Ihrem Ernsteinsatz «Corona» ins Zivilleben mitgenommen haben?

Es hat mir Eindruck gemacht, dass das, was wir in vielen WKs immer wieder eingeübt und trainiert hatten, plötzlich ganz real angewendet und professionell beherrscht werden musste. Ein Beispiel dafür sind die Personenkontrollen an der Grenze, wo man nicht mehr mit WK-Kameraden übt, sondern auf einmal mit realen Bürgern und Szenarien in Berührung kommt. Dieses Gefühl von: «Jetzt zählt es, jetzt müssen wir einen perfekten Job machen» geht nicht mehr so schnell vergessen und es erfüllt uns alle mit Stolz, dass wir das gut gemeistert haben.

Eindrücklich war auch die gelebte Kameradschaft während dieser Zeit – über drei Wochen waren wir pausenlos zusammen und lebten als Einheit. Selbst in der RS kommt man ja am Wochenende für kurze Zeit nach Hause und kann den Kopf auslüften, nicht so hier. Das hat uns alle sehr eng zusammengeschweisst. Es erstaunt daher nicht, dass wir unter anderem ein eigenes Uniformabzeichen (Badge) für unseren Zug kreiert haben oder dass jeder Zug in unserer Einheit ein eigenes Coronalied gedichtet hat. Nach drei Wochen war es dann recht komisch, dass nun wieder andere Anziehsachen existierten als das Tenü C und das Tenü Sport. Insgesamt war die Stimmung toll und es entstanden enge Freundschaften, die nun auch nach Dienstende gerade von vielen Unteroffizieren weitergepflegt werden. Fühlten Sie sich nach Ihrem erfolgreich bestandenen Einsatz als Held? Nein, das nicht. Aber es tut sehr gut, seinen Job gemacht zu haben für unser Land und für unsere Menschen, als es darauf ankam. Auch fühlten wir uns von der Armeeführung in diesem Einsatz gut abgeholt und ehrlich wertgeschätzt. Das tat meinen Kameraden und mir ebenfalls sehr gut. Wir sind dankbar, dass unser Beitrag auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen und honoriert worden ist. Würden Sie sich als Militärfan bezeichnen? Ich bin Grenadier und habe im Dienst immer mein Bestes gegeben. Wenn ich generell im Leben eine Sache mache, dann will ich sie richtig und gut machen. Ich bin aber nicht «vergiftet» dabei im Militär. Ich nehme auch die unangenehmen Seiten gelassen und versuche, meine Aufgaben ernsthaft zu erfüllen. Man hat mir schon früher eine Offizierslaufbahn vorgeschlagen, ich bin aber glücklich als Gruppenführer, direkt bei den Soldaten, und ich kann mir für mich keine passendere Funktion im Militär vorstellen.

Neben Ihrer Milizfunktion sind Sie auch noch Mitglied im Unteroffiziersverein Einsiedeln. Was gibt Ihnen diese Freizeitaktivität?

Ich schätze den Austausch und die gemeinsamen Erlebnisse mit Leuten, mit denen ich meine Erfahrungen als Unteroffizier teilen kann und die einst die gleiche Entscheidung getroffen haben wie ich. Mir gefällt auch der regionale Charakter unseres Vereins. Der bringt es mit sich, dass man sich auch sonst immer wieder trifft und im erweiterten Sinn «im gleichen Netzwerk» bleibt.

Dazugestossen bin ich durch den gleichen Unteroffizierskameraden, der mich ursprünglich schon zum Weitermachen ermuntert hat.

Was ist nun Ihr Fazit: Hat Sie diese Erfahrung verändert?

Der Timon vor und nach Corona ist immer noch derselbe. Aber mein Leben ist um ein spannendes Kapitel reicher geworden. Und als es darauf ankam, ist mir erneut klargeworden, dass ich die für mich absolut richtige Funktion im Militär habe. Ich habe meine Leute mit Freude in diesem Einsatz geführt und werde dies nicht so schnell vergessen – das war definitiv kein gewöhnlicher WK!

«Das war definitiv kein gewöhnlicher WK»: Timon Muster nach seiner Rückkehr vom militärischen Corona-Einsatz.

Foto: zvg

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