«Fusionen von Kirchgemeinden werden an Bedeutung gewinnen»
Lorenz Bösch ist vor zehn Tagen in Einsiedeln zum Schwyzer Kirchenpräsidenten gewählt worden. Der 60-jährige Ingenbohler steht Red und Antwort zum Umgang mit dem Bistum Chur: «Ich hoffe, dass der zukünftige Bischof mutige Antworten auf die Bedürfnisse der Zeit und der Gläubigen hat und gibt.»
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie sind Sie in das Amt des Kirchenpräsidenten geraten?
Ich bin angefragt worden, ob ich in die Fussstapfen von Werner Inderbitzin, des früheren Präsidenten und meines Vorgängers, treten möchte. Wie Kirche funktioniert und wie mit den weltlichen und spirituellen Aspekten umgegangen werden kann, hat mich schon immer interessiert. So habe ich mich entschieden, mich zur Verfügung zu stellen. Welche Motivation hat Sie dazu geführt, für das Präsidium zu kandidieren? Ich bin aktiver Katholik. Und ich finde, dass Religion viel zum gesellschaftlichen Leben auch indirekt beiträgt. Und es ist das Politische, das mich schon immer angesprochen hat. Mit welchen Erfahrungen im Rücken können Sie Ihr neues Amt antreten? Das Kirchenpräsidium ist eine politische Funktion. Von daher kann ich naturgemäss von meinen Erfahrungen als ehemaliger Kantons- und Regierungsrat profitieren.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Werner Inderbitzin hat während 14 Jahren die noch junge Schwyzer Kantonalkirche entscheidend geprägt und viele Strukturen geschaffen. Ich sehe meine Rolle darin, das Erreichte kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Zeit wird dies verlangen.
Welche konkreten nächsten Schritte stehen in der Kantonalkirche an? In der kommenden Session am 23. Oktober wird das Stimmund Wahlrecht für Ausländer beraten, das dann am 1. Januar 2021 eingeführt werden könnte: Ein weiter Meilenstein in der Geschichte der Schwyzer Kantonalkirche.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Vorlage angenommen wird?
Das ist noch schwer einzuschätzen. Bereits zwei Mal haben ähnliche Vorlagen Schiffbruch erlitten. Die Gesetzesänderung unterliegt dem fakultativen Referendum. Ich bin überzeugt, es ist an der Zeit, niedergelassenen Mitchristen aus andern Ländern das Stimm- und Wahlrecht in den Kirchgemeinden einzuräumen. Der katholische Glauben kennt keine Landesgrenzen, und niedergelassene Mitchristen aus andern Ländern sind mit unserer Gesellschaft genügend vertraut, so dass sie aktive Verantwortung übernehmen können. Werden Sie den Weg, den Werner Inderbitzin eingeschlagen hat, weiter fortsetzen? Das ist meine Absicht. Ich werde mich ebenfalls engagiert einbringen.
Hat die Kantonalkirche die Möglichkeit, auf die Bischofswahl im Bistum Chur einzuwirken?
Nicht auf direkte Art und Weise. Wir können aber unseren Wünschen und Erwartungen Ausdruck verleihen. Die päpstliche Bulle («Imposito humilitati ») aus dem Jahr 1824, als sich der Kanton Schwyz dem Bistum Chur angeschlossen hat, sichert dem Kanton Schwyz zwei nichtresidierende Standesdomherren zu. Nach der Entflechtung von Kirche und Staat in unserem Kanton erwarte ich, dass der Regierungsrat die Kantonalkirche in diesen Fragen miteinbezieht.
Welchen Umgang suchen Sie mit dem Bistum Chur? Einen auf Augenhöhe. Ich hoffe, dass der zukünftige Bischof mutige Lorenz Bösch ist am 19. Juni im Klosterdorf zum Schwyzer Kirchenpräsidenten gewählt worden. Antworten auf die Bedürfnisse der Zeit und der Gläubigen hat und gibt. Wir brauchen diese, wenn die Kirche ein Orientierungspunkt für viele sein soll.
Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit Peter Camenzind, Generalvikar für die Urschweiz? Peter Camenzind vertritt den Bischof in der Region und ist damit unsere Ansprechperson. Er ist somit auch ein Bindeglied im dualen System von Kirche und Staat. Dementsprechend werden wir den Dialog mit Pfarrer Peter Camenzind pflegen. Diese Verständigung ist wichtig für das duale System.
Wird die Kantonalkirche im Fall Alpthal eingreifen? Grundsätzlich gilt das Subsidiaritätsprinzip: Die Kirchgemeinde Alpthal ist so verfasst, dass sie in der Lage sein sollte, das Problem selber zu lösen. Sollte sich wider Erwarten zeigen, dass die Kirchgemeinde handlungsunfähig würde, kann die Kantonalkirche mithelfen, die Handlungsfähigkeit wiederzugewinnen.
Ist Spiritualität ein Thema, das Sie als Kirchenpräsident aufnehmen werden? Ich bin überzeugt davon, dass unsere Gesellschaft eine spirituelle Basis braucht und dass der Glauben, die Religion der Ort dafür ist. Sie ermöglicht die Selbstreflexion. Sie helfen damit dem Menschen, über sich selbst und sein Verhalten nachzudenken. Die Kirchgemeinden und die Kantonskirche schaffen Strukturen, damit ein aktives, vielfältiges religiöses Leben vor Ort möglich ist. Wie steht die Schwyzer Kantonalkirche aktuell zum jetzigen Zeitpunkt da? Sie ist gut aufgestellt und leistet ihren Beitrag. Ihre Funktion ist es, Aufgaben wahrzunehmen, die besser auf der kantonalen Ebene erfüllt werden können. Sie gibt der Kirche im Kanton Schwyz, im Bistum und in der ganzen Schweiz aber auch ein Gesicht. Wo sehen Sie die Gründe, dass sich viele von der Kirche abwenden und austreten? Die ausschlaggebenden Gründe sind vielschichtig: Man hat den Zugang zur Religion und zur Kirche verloren, protestiert damit gegen kirchliche Lehrmeinungen, die man nicht mehr teilt oder erträgt unzulängliches Verhalten und Missbräuche kirchlicher Würdenträger nicht mehr.
Wie können diese Leute wieder für die Kirche gewonnen werden?
Die katholische Kirche muss glaubwürdige Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen finden. Das erfordert ziemlich viel Mut von den Verantwortlichen in der kirchlichen Hirarchie. Durch das Beharren auf Regeln und Lehrmeinungen, von denen sich die Menschen abwenden, weil sie ihnen keine Hilfe mehr bieten, wird die Kirche für immer weniger Menschen spirituelle Heimat sein, obwohl sie eine solche suchen. Um Missbrauchsfällen vorzubeugen, arbeiten die Kantonalkirchen der Urschweiz mit dem Bistum eng zusammen. Die
Zur Person
ml. Lorenz Bösch ist am 23. Mai 1960 in Ingenbohl geboren und aufgewachsen. Er hat eine Ausbildung zum Agraringenieur absolviert. Lorenz Bösch war Schwyzer Kantons- und Regierungsrat und hatte leitende Funktionen in landwirtschaftlichen Organisationen inne. Lorenz Bösch ist Mitinhaber der Firma Hanser Consulting AG und berät Verwaltung,
Kantonalkirche wird zusammen mit den Dekanaten die Kirchgemeinden durch Informationen und Hilfeleistungen bei der Prävention unterstützen. Inwiefern kann sich die Kantonalkirche für die Einführung des Priesteramts für die Frauen und die Abschaffung des Zölibats einsetzen? Die Kantonalkirchen haben keine theologische Deutungshoheit. Wir können aber die Bedürfnisse für Entwicklungen und Änderungen zum Ausdruck bringen, Räume schaffen wo Veränderungen diskutiert werden können.
Wohin wollen Sie die Kirche führen?
Wir führen die Kirche nicht. Die Kirchgemeinden und die Kantonalkirche schaffen Rahmenbedingungen, dass in den Gemeinden ein aktives kirchliches Leben möglich ist. In dieser Eigenschaft können wir aber auch die Sorgen und die Erwartungen der Gläubigen aufnehmen und gegenüber dem Bistum und dem Bischof zum Ausdruck bringen. Wie meinen Sie das konkret?
Wenn die Zahl der Pfarrer laufend weiter abnimmt, müssen vermehrt gläubige Frauen und Männer Funktionen übernehmen können. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn die Kirche es ermöglicht, dass bestimmte Sakramente auch durch Laien gespendet werden können. Aber auch die Kirchgemeinden und die Kantonalkirche müssen sich den Entwicklungen stellen: Vermehrte Zusammenarbeit oder gar Fusionen von Kirchgmeinden werden an Bedeutung gewinnen. Allerdings müssen solche Schritte vor Ort reifen und auch da entschieden werden. Wohin bewegt sich die Welt?
Es gibt viele Möglichkeiten, wie sich unsere Welt weiterentwickeln wird. Im Augenblick sieht es gerade ziemlich düster aus, weil eher wenig friedliche und konfliktreiche Geschehnisse die Welt auf Trab halten. Die Welt wird sich weiterdrehen – wie je und eh. Wir alle sind aufgerufen, positive Beiträge zu leisten, so dass vernünftige Lösungen im Grossen und im Kleinen gefunden werden können.
Politik und Unternehmen in strategischen, organisatorischen und finanzwirtschaftlichen Fragen. Er ist Präsident des Kirchenmusikverbandes des Kantons Schwyz, des Schweizerischen Roten Kreuzes des Kanton Schwyz, und des Vereins Othmar Schoeck Festival Brunnen. Lorenz Bösch ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Ingenbohl.
«Ich finde, dass Religion viel zum gesellschaftlichen Leben auch indirekt beiträgt.» «Die Kirchgemeinde Alpthal ist so verfasst, dass sie in der Lage sein sollte, das Problem selber zu lösen.» «Die katholische Kirche muss glaubwürdige Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen finden.» «Wenn die Zahl der Pfarrer laufend weiter abnimmt, müssen vermehrt gläubige Frauen und Männer Funktionen übernehmen können.»
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