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Wer hats erfunden?

Wer hats erfunden? Wer hats erfunden?

Geschichten zum Welttheater (1)

WALTER KÄLIN

An der Trauerfeier für den im 74. Altersjahr verstorbenen Linus Birchler sagte Pater Heinrich Suso Braun, der «eigenwillige Herausforderer» und «geistsprühende Anreger» habe «mit urwüchsiger und hie und da auch mit zorniger Liebe » an seinem Dorf gehangen. Der 1893 geborene Kunsthistoriker, der an der ETH eine Professur für Baugeschichte und Allgemeine Kunstgeschichte innehatte, fand seine letzte Ruhestätte 1967 in der Gangulfkapelle, dem ältesten Gebäude des Dorfes, das er lieber Einsidlen statt Einsiedeln nannte. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, als Linus Birchler an seiner Doktorarbeit über den Kloster-Architekten Caspar Moosbrugger schrieb, wurde er «auf gewisse akustische Phänomene des monumentalen Hauptplatzes» aufmerksam gemacht. Er wunderte sich deshalb, dass man den Platz noch nie für Theateraufführungen genutzt hatte, und lancierte in den folgenden Jahren die Idee, vor der barocken Kirche geistliche Spiele aufzuführen. Er präsentierte seine Vision 1924 Abt Ignaz Staub, der ihm «sein prinzipielles Einverständnis zur Erneuerung der Geistlichen Spiele» gab.

Zum Kunsthistoriker und zum Klostervorsteher gesellte sich kurze Zeit später ein Theaterfachmann. Der deutsche Schauspieler Peter Erkelenz war auf Rezitationstour durch katholische Mittelschulen und machte auf Initiative des Abtes mit Linus Birchler Bekanntschaft. Schon bevor Einsiedler Kunstfreunde und die Gesellschaft der «Waldleute » eingebunden wurden, fiel die Wahl des Stücks auf «Das grosse Welttheater» von Pedro Calderón de la Barca. Und noch im selben Jahr wurde beschlossen, dass bei guter «Zusammenarbeit des Einsiedler Volkes » dieses Sakramentsspiel aufgeführt werden soll.

Linus Birchler, Abt Ignaz Staub oder Peter Erkelenz? Wem gebührt die Ehre, unserem Dorf das Welttheater beschert zu haben? Mit der oben zitierten «zornigen Liebe» nahm der Einsiedler für sich in Anspruch, die Idee für die geistlichen Spiele auf dem Klosterplatz gehabt zu haben. Es sei nicht Erkelenz gewesen, wie da und dort behauptet wurde. Tief verletzt, nannte er später den Mann, der während zwei Spielzeiten den Meister verkörpert hatte, einen «abgebauten Komiker ».

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