Das Monatsgespräch im Juni
Franziska Keller trifft Irene Gambaro, Triathletin und ehemalige Flight Attendant bei Swissair
Jahrgang: 1955 Bürgerort: Küssnacht am Rigi Geburtsort: Luzern Wohnort: Einsiedeln Gespannt fahre ich mit dem Lift im Hotel St. Georg ins 4. Stockwerk, wo mir das Ehepaar Beat und Irene Gambaro, inklusive Clooney, ihr Berner Sennenhund, öffnet. Offen und herzlich führt mich Irene durch ihre wunderschöne, mit viel Liebe und alten Antiquitäten eingerichtete Wohnung, ganz sprachlos macht mich die grosse Dachterrasse. Wir setzen uns auf grosse, königliche Sessel und Irene erzählt mir aus ihrem aktiven Leben.
Erst kurz vor dem Lockdown, am 20. Januar, ist das seit 35 Jahren verheiratete Paar hierher gezogen. Seither hat Irene aber schon viele der umgebenden Hügel ersprungen, denn die 65-jährige sportliche, hübsche Frau ist seit 15 Jahren begeisterte Triathletin.
Irene, ich nehme an, dass du trotz Regen heute mit Clooney schon draussen warst? Ja, wir waren wie jeden Morgen schon um acht Uhr unterwegs. Es ist fast immer dieselbe Runde: zu den Stallungen, dem Friherrenberg Richtung Eselweid, wo ich jeden Morgen die Aussicht bewundere. Zurück bei den Pferden geniesse ich den Geruch, der mich glücklich und dankbar an meine eigenen Pferde von früher erinnert. Wieder daheim, geniesse ich dann meinen ersten Kaffee. Wie viel Zeit verbringst du draussen in der Natur? Das sind jeden Tag und bei jedem Wetter viele Stunden! Wenn ich am Computer arbeiten muss, erledige ich das vorzugsweise spätabends! Bist du lieber langsam oder schnell unterwegs? Alleine bin ich eigentlich immer eher «rassig» unterwegs und schaffe es irgendwie nicht, langsam zu gehen – auch Clooney muss dann das Tempo mithalten. Nur wenn ich zusammen mit meinem Mann gehe, nehmen wir es gemütlicher. Vor mir sitzt die Vize-Weltmeisterin des Ironman 70,3-WM 2018 – dem halben Ironman – in Südafrika. Wie bist du zum Triathlon gekommen? Triathlon verdanke ich einer Ärztin, die mich überhaupt auf diese Idee gebracht hat. «Neuseeland – Ironman? Ja, da bin ich dabei.» Obwohl ich da gar nicht genau wusste, was dies bedeutete. Aber da ich mir in den Kopf gesetzt hatte, an meinem 50. Geburtstag etwas Spezielles zu machen, passte es einfach.
Ich offenbarte es meiner Familie 2005 und wünschte mir ihre Zusage zum runden Geburtstag: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Velofahren, 42,195 Kilometer Marathonlaufen. Gesagt, getan! Dabei wollte ich den Slot für Hawaii angeln, was mir gelang. Das Schönste war, dass mich die ganze Familie im selben Jahr nach Kona Hawaii begleitete.
Beim ersten Ironman hatte ich das grosse Ziel vor Augen: Weltmeisterschaft Ironman Hawaii. Um sich für die Teilnahme zu qualifizieren, muss man in meiner Alterskategorie gewinnen. Inzwischen habe ich neun Ironman absolviert, davon war ich schon drei Mal auf der Trauminsel Big Island und holte mir auf Cozumel, Mexiko, im November 2019 mit dem Sieg nochmals den Slot für Hawaii 2021 (wegen Corona verschoben um ein Jahr). Jeder Wettkampf war etwas Besonderes. Nach einem Ironman brauche ich jeweils sechs Wochen zur Regeneration, weil es den Körper schon extrem fordert; leistungs- und temperaturmässig (etwa die 50 Grad auf der Lavawüste auf Big Island Hawaii).
Du hast aber nicht erst mit 50 Jahren mit dem Sport angefangen?
Sportlich war ich ja schon immer, aber als Sprinterin – Kurzstrecken. Als ich dann in die Lehre kam, musste ich den Sport zurückstellen. Erst als Flight Attendant bei der Swissair begann ich während der Auslandstopps mit dem Joggen. Dann lernte ich meinen Mann kennen, wir heirateten, bekamen drei Kinder und ich genoss die Familienzeit – ohne viel Sport.
Du hattest als eine der wenigen einen Startplatz für den Swissman- Triathlon mit Start im Tessin und Schluss auf der Kleinen Scheidegg mit 5750 Höhenmetern ergattert, warst gut trainiert und dann stoppte dich ein Zeckenbiss. Wie konntest du damit umgehen? Eigentlich gar nicht. Ich war vorher extrem fit, hatte viel trainiert und freute mich so darauf. Und plötzlich ging es mir Ende Mai (zwei Wochen vor dem Wettkampf) ganz schlecht, fühlte mich total müde, mein Körper schmerzte und irgendetwas stimmte aus unerklärlichen Gründen nicht mehr. Ich wurde vom Notfall nach Hause geschickt mit falscher Diagnose,so versuchte ich weiterzutrainieren bis ich kaum mehr auf den Beinen stehen konnte. So brachte mich mein Mann in ein anderes Spital und da begann der Kampf ums Überleben. Die FSME (Hirnhautentzündung) wurde spät erkannt. Ich hatte nur noch einen Wunsch: Bitte gesund werden! Nur langsam erholte ich mich und begann vorsichtig unter der strengen Aufsicht meines Trainers wieder zu trainieren. Das war für mich als ungeduldiger Mensch recht schwierig. Dennoch bist du danach nach Port Elisabeth geflogen, um an der Weltmeisterschaft Ironman 70,3 in Südafrika teilzunehmen. Es muss ein unglaubliches Gefühl gewesen sein, nach Spitalaufenthalt und nur wenig Training über die Ziellinie zu rennen …
Das war es. Ich wollte nach meiner Genesung mit meiner Tochter einfach nach Südafrika fliegen und geben, was für mich möglich war. Dass ich einen Podestplatz schaffte, habe ich nicht erwartet und freute mich unglaublich. Wie war Irene als kleines Mädchen und wie sah ihr Lebenstraum aus?
Ich war unbändig, wild, ein Bewegungsmensch von A bis Z. Sport war mir immer wichtig. Mein Traum war schon mit 17 Jahren, dass ich drei Kinder haben möchte. Ich ahnte damals noch nicht, dass ich meinen absoluten Traummann, der mich bei allem unterstützt, finden würde. Meine Familie ist stets an erster Stelle. Was hat die sportliche Frau denn nach Einsiedeln gebracht? Nach Familienjahren mit unseren drei inzwischen erwachsenen Kindern in einem schönen Haus am «Züriberg» zogen wir in eine Loftwohnung in Altstetten. Dort ärgerten wir uns immer häufiger: die Gefahr als Velofahrerin in der Stadt, der Gestank, der Lärm und das Littering überall. Seit Jahren fahre ich so oft wie möglich spontan hierher zum Langlaufen im Winter, ein Sport, den ich auch über alles liebe. Unser Sohn wohnt schon seit drei Jahren hier und so lernten wir Einsiedeln besser kennen. Was schätzt du an unserer Region?
Einsiedeln bietet kulturell sehr viel, dann das Kloster mit den Pferden, dass ich aus dem Haus auf den nächsten Hügel rennen kann, die Natur und die wunderbare Ruhe. Auch mit den Menschen mache ich viele positive Erfahrungen – gewiss auch dank Clooney. Ich bin immer ganz stolz, wenn ich mit Einheimischen reden darf – ich, «der fremde Fötzel». Was möchtest du noch erleben?
Dass ich gesund und glücklich alt werden darf, dass mein Körper lange hält, damit ich noch oft auf den Mythen gehen kann und dass ich noch viele Jahre mit meinem Mann zusammen sein kann.
Von Franziska Keller
Schwimmen, radfahren, laufen: Triathletin Irene Gambaro hat sich bereits mehrmals für den Ironman qualifiziert. Fotos. zvg
Foto: Franziska Keller