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ZWISCHENLUEGETEN 3

ERNST FRIEDLI

Ich selber musste das noch nie, und soviel ich weiss, Klärli auch nicht.Aber unser Noch-Bundesanwalt muss es demnächst: «L. muss antraben» lautet die Titelzeile eines Zeitungsbeitrags über die Vorladung, mit welcher der Besagte vor die Gerichtskommission des Parlaments zitiert wurde.

Mir fällt auf, dass Vorgeladene nicht selten «antraben» müssen. Dies völlig unabhängig von den Gründen und ihrer sonst üblichen Gangart.Wobei es in meiner Erinnerung immer nur männliche Vorgeladene sind, welche «antraben » müssen. Frauen traben praktisch nie an, sie haben meistens eher zu «erscheinen». Ich vermute, dass hier ein sprachliches Relikt aus der Zeit vergangener Jahrzehnten vorliegt. Als unsere Armee noch über Trainund Kavalleriepferde verfügte, mussten auch diese zuerst als dienstun- oder tauglich klassiert werden. Dazu wurden sie den Fachleuten vorgeführt, welche ihre Gesundheit, ihr Gesamtbild und ihr Gangwerk im Stand und in Bewegung zu beurteilen hatten. Eine wichtige Gangart war da nebst Schritt und Galopp eben der Trab, der beim Pferd eine erste Geschwindigkeitsstufe darstellt. Ein ebenmässiger Trab lässt auf gesunde Gelenke, lockere Muskeln und auf ein williges Gemüt schliessen. Verkrampfungen im Körper wirken sich sichtbar auf sein Gangbild, also auch auf seinen Trab aus. Das geübte Auge kann schon beim Antraben sehen, wenn etwas nicht stimmt. Sollte Herr L. deshalb aus taktischen Gründen aufs Traben verzichten und nur beschwingten Schrittes vor der Kommission erscheinen, wäre das kein gutes Zeichen. Aber vielleicht galoppiert er ja.

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Ernst Friedli, 64, seit 31 Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und mag alle ehrlichen Gangarten.

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