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Das Monatsgespräch im Mai

Das Monatsgespräch im Mai Das Monatsgespräch im Mai

Franziska Keller trifft Gian Widmer, fitnessbegeisterter Lehrling zum Hochbauzeichner

Jahrgang: 2002 Bürgerort: Einsiedeln Geburtsort: Einsiedeln Wohnort: Einsiedeln Es ist Sonntagmittag, noch immer sind wir im Lockdown wegen Covid 19, sehen aber langsam wieder Licht am Horizont. Diesmal treffe ich mich mit einem jungen, sportlichen Mann: Gian Widmer, aufgewachsen in Einsiedeln, mit Wurzeln mütterlicherseits in Sri Lanka. Ich kenne ihn aus Kleinkindertagen, heute überragt er mich mit seinen 1,87 m bei Weitem. Unser Gespräch findet wieder draussen im Garten statt. Was wirst du deinen Kindern einmal aus der jetzigen Zeit erzählen?

Damals mussten wir wochenlang daheimbleiben. Nichts mit Weggehen und Kollegen treffen, nur noch in den eigenen vier Wänden und Familie war angesagt. Ich werde meinen Kindern sagen: «Ihr könnt gut mal einen Abend auf den Ausgang verzichten, ich in eurem Alter musste das wochenlang.» Einsiedeln aus Sicht eines Jugendlichen … Ich schätze es, hier zu leben. Sportmässig haben wir eine breite Palette. Ich würde es aber begrüssen, wenn nebst dem Sport mehr Freizeitmöglichkeiten beständen. Zum Beispiel öffentliche Plätze, wo wir jungen Menschen uns aufhalten können und mit unserer Musik niemanden stören. Wie hast du bis zum Lockdown einen Samstagabend gewöhnlich erlebt?

Kollegen und Kolleginnen in einer Bar treffen, reden, unterwegs sein. Andere Menschen sind mir sehr wichtig. Ausser zum Schlafen und Essen war ich selten zu Hause.

Und wie verbrachtest du die vergangenen Wochenenden? Während der ersten fünf Wochen des Lockdowns war ich immer daheim. Es bestand ja auch keine andere Möglichkeit, da alles geschlossen war – was sollte ich also. Ich habe dann mit meinen Jungs wieder angefangen zu gamen – zum Leidwesen meiner Mutter – denn das geht dann oft relativ laut ab. Aber irgendwas mussten wir ja tun.

Vor zwei Wochen haben wir uns wieder in Gruppen getroffen: aber nie mehr als 5 Personen, da haben wir uns immer dran gehalten. Einmal unterhielt ich mich mit einem Freund auf einer Bank sitzend und ein Polizist näherte sich, um unseren Abstand zu kontrollieren. Das fand ich voll okay – aber ungewohnt.

Hast du vielleicht ein altes Hobby wiederentdeckt? Tatsächlich habe ich wieder angefangen, Beats auf dem Laptop zu produzieren – wie zu meiner Schulzeit. Inwiefern wurdest du runtergebremst und was war für dich das Mühsamste in diesen Wochen? Das waren zwei Dinge: Ich vermisste meine Beziehungen, weil ich ein Mensch bin, der immer unter Leuten ist, und ich vermisste extrem mein Fitnesstraining. Denn gewöhnlich gehe ich drei- bis viermal die Woche ins Fitness. Ich konnte wohl Hanteln ausborgen, aber daheim macht das nicht halb so viel Spass, wie im vielfältigen Fitnesscenter.

Kannst du dem Ganzen auch etwas Gutes abgewinnen? Ich hatte auf einmal sehr viel Zeit mit mir selbst, was auch mal schön war. Da sich auch meine Kollegen an die Weisungen hielten, daheimzubleiben, wusste ich, dass ich nichts verpasse. Und da sich zudem keiner um mein Äusseres scherte, trug ich nur noch Trainer und Wollsocken. Nach den anfänglichen Reibereien (zum Beispiel wegen des Putzplans) schätzte ich die geschenkte Familienzeit, die wir sonst nie so gepflegt hätten. Wir waren alle daheim und dehnten auch unsere Essenszeiten aus.

Ich staune, wie sich Bereiche in der Natur so schnell erholen; dass etwa wieder Fische in Venedig gesichtet werden, weil weniger Schiffe, insbesondere Kreuzfahrtschiffe, unterwegs sind oder dass unser Himmel momentan keine Flugstreifen aufweist.

Werden sich die Menschen durch den Coronavirus verändern?

Anfangs werden wir wohl alles schätzen, worauf wir jetzt verzichten mussten. Aber der Alltag wird sehr bald zurückkehren und somit die Selbstverständlichkeit. Vermutlich wird auch wieder heftig in der Welt herumgeflogen, weil man ja etwas verpasst hat und es dann nachholen muss. Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich ja auch darauf, wieder etwas unternehmen zu können. Welchen Berufsweg schlägst du ein? Ich mache eine vierjährige Lehre zum Hochbauzeichner. Die ersten drei Wochen mussten wir Lehrlinge daheimbleiben oder uns im Betrieb abwechseln. Danach konnte ich einen Computer heimnehmen und im Homeoffice arbeiten, was mir sehr zusagte. Ich schätzte es, meine Arbeit frei einteilen und verrichten zu können.

Ich weiss aber jetzt schon, dass ich nicht auf meinem Lehrberuf bleiben werde. Ich möchte mich zum Personaltrainer ausbilden.

Wie wurde der Berufsschulunterricht durchgeführt? Über Teams wurden wir am Computer unterrichtet und wir erhielten Aufträge, die wir per E-Mail an die Lehrpersonen zurückschicken konnten. Das klappte einwandfrei. Eigentlich schon krass, was alles möglich ist. Könnte auch in der Zukunft funktionieren und man würde dadurch weite Geschäftsreisen unterbinden – was unserer Umwelt weiterhin guttun würde.

Im nächsten Monat wirst du volljährig. Freude, Erwartung, Respekt? Ich freue mich aufs Autofahren, das nun aber leider durch den abgesagten Nothelferkurs um einige Wochen verschoben werden muss. Aber nachdem ich schon 18 Jahre lang darauf gewartet habe, kann ich mich auch noch ein paar Wochen weiter gedulden. Weniger freuen mich die Steuer- oder Krankenkassengeschichten. Respekt vielleicht, weil ich nun noch mehr für mich verantwortlich bin – obwohl ich das für mich selbst ja jetzt schon bin. Und worauf ich mich sehr freue: aufs Militär. Ich bin ein Mensch, der die Struktur und den geregelten Tagesablauf schätzt, da kommt mir der Militäralltag sehr entgegen. Welche Träume hast du für deine persönliche Zukunft? Wenn ich im Alter zurückblicke, möchte ich nichts bedauern müssen. Ich möchte weiterhin jeden Morgen ehrlich in den Spiegel schauen können und ich wünsche mir eine eigene Familie. Am liebsten zwei Töchter.

Foto: Franziska Keller

Von Franziska Keller

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