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«Der Impfstoff steht vor der Tür»

«Der Impfstoff steht vor der Tür» «Der Impfstoff steht vor der Tür»

Interview mit dem Willerzeller Epidemiologen Ueli Kihm (75) zu Corona bei Menschen und Tieren

Das Coronavirus stammt angeblich von einer Fledermaus auf einem chinesischen Markt, das auf den Menschen übertragen wurde. Was sagt der pensionierte Professor und Seuchenspezialist Ulrich Kihm zur Pest unserer Tage? Er ist zuversichtlich, dass es keine zweite Welle gibt, – wenn sich alle weiter vor Corona schützen.

WOLFGANG HOLZ

Wie oft waschen Sie sich denn zurzeit die Hände?

Mehr als sonst. Wenn ich ins Lädeli gehe und zurückkomme oder wenn ich von draussen wieder ins Haus zurückkehre, wasche ich oder desinfiziere ich meine Hände. Sie hatten als Seuchenspezialist schon mit vielen Krankheitserregern zu tun. Was für eine Art von Geselle ist dieses Coronavirus denn aus Ihrer Sicht? Das Coronavirus ist ein ganz spezieller Geselle. Ein völlig neues, bislang unbekanntes Virus ist Sars-Cov-2. Man kannte ja Coronaviren schon von Hühnern und Schweinen. Aber dass beispielsweise Menschen, die keine Symptome des Virus haben, dieses trotzdem übertragen können, ist schon sehr aussergewöhnlich. Wir haben noch viel Neuland zu betreten, bis wir das Virus vollkommen verstehen.

Am Anfang wurde das Virus verharmlost, inzwischen beherrscht es seit Monaten sämtliche Schlagzeilen. War die Welt auf diese Seuche nicht vorbereitet?

Eigentlich hätte man ja davon ausgehen können, dass nach dem ersten Ausbruch von Sars 2003 die Welt genügend vor solchen Pandemien alarmiert sein sollte. Doch wie es sich zeigte, war die Welt sehr überrascht, dass sich das Coronavirus so schnell und massiv verbreiten kann. Das hat man so nicht erwartet. Es hat einfach Wumm gemacht!

Hat diese verspätete Reaktion der westlichen Welt auch etwas mit dem vermeintlichen Überlegenheitsglaube unserer Zivilisation zu tun, in der scheinbar alles machbar und lösbar scheint? Vielleicht schon etwas. Denn der Fortschrittsglaube in der westlichen Zivilisation suggeriert schon, dass man alles im Griff hat. Dass man ja alle Viren schon kennt und weiss, wie damit umzugehen ist. Wie haben Sie den Lockdown bis jetzt überstanden? Ich habe eigentlich vom Lockdown nichts gemerkt, denn ich war im Grunde permanent beschäftigt – etwa bei der Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit bei der Beschaffung von Corona-Tests. Dank meiner guten Verbindungen zur amerikanischen Firma Thermofisher erhielt die Schweiz rund eine Million Corona-Tests. Zwar wird im Augenblick nicht so viel getestet, aber wenn es im Herbst zu einer zweiten Welle kommen würde, wäre man dafür gewappnet.

Haben wir es denn verlernt, in kollektivem Stil mit Seuchen umzugehen und zu verstehen, dass der Mensch seit seiner frühesten Existenz immer auch gegen Krankheiten ankämpfen musste? Früher gab es ja in Europa Seuchen und Pandemien am laufenden Band. Angefangen von der Pest über die Cholera, Tuberkulose, Typhus, vor hundert Jahren dann die Spanische Grippe und die Pocken. Die letzte grosse Seuche in unseren Breitengraden war dann Aids. Ebola war ja eher eine afrikanische Angelegenheit. Dieser Gedanke ist interessant. Es stimmt natürlich, dass vor allem in der Humanmedizin die Bedeutung von Infektionskrankheiten in den vergangenen Jahren deutlich zurückgestuft wurde. Grund: Diese Krankheiten waren nicht mehr im grossen Stil präsent. Ganz anders in der Veterinärmedizin, wo ja der Rinderwahnsinn BSE uns in den letzten Jahren in Atem gehalten hat. Jetzt grassiert die afrikanische Schweinepest weltweit. In der Humanmedizin wurde in den letzten Jahren viel mehr Gewicht auf Krankheiten wie Tumore, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit und andere Gesellschaftsleiden gelegt, und nun ist plötzlich das Coronavirus da und beherrscht alle medizinischen Anstrengungen.

Apropos medizinische Anstrengungen. Wann werden wir eine Impfung gegen Corona haben? Der Impfstoff steht bereits vor der Tür. Die Frage wird allerdings sein, in welchen Quantitäten der Impfstoff zur Verfügung gestellt werden kann. Ende des Jahres können vielleicht erste Personenkreise geimpft werden. Massenimpfungen sind sicherlich frühestens in einem Jahr denkbar.

Und wie siehts mit der Immunität jener aus, die an Corona erkrankt waren?

Normalerweise würde ich sagen, dass jemand, der diese Krankheit durchgemacht hat, auch dagegen immun ist, weil er Antikörper aufgebaut hat. Die Frage ist allerdings, wie lange diese Immunität anhält – bis zu einem Jahr ziemlich sicher. Man weiss noch zu wenig darüber. Ist die Globalisierung eine Gefahr für einheitliche Hygienestandards?

Das ist schwer zu sagen. Die Globalisierung ist auf jeden Fall eine Gefahr für die Verbreitung einer solchen Pandemie. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Denn es wird mit Sicherheit nicht die letzte Epidemie sein, die wir durchmachen müssen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ist es tatsächlich möglich, dass es von einer Fledermaus auf einem chinesischen Markt auf den Menschen übertragen wurde? Was sagen Sie dazu? Wenn man die Gen-Sequenzen des Coronavirus Covid-19 mit denen der Fledermaus vergleicht, muss man fast davon ausgehen, dass es von diesem Wildtier stammt. In China und auf anderen asiatischen und afrikanischen Märkten ist es eben aufgrund mangelnder Kühlsysteme wie bei uns in Europa üblich, dass Tiere vor Ort geschlachtet und ausgenommen werden – weil die Menschen ja gerade aus hygienischen Gründen frisches Fleisch essen wollen. Dabei kommen aber die Schlachter in Berührung mit solchen Viren von Wildtieren – gerade auch, wenn sie den Darm entfernen. Man hat Covid-19-Viren auch im Darm gefunden, nicht nur im Atemwegssystem. Grundsätzlich muss man sagen, dass die wilde Natur natürlich ein Riesenreservoir von Viren, Bakterien, Pilzen, und Parasiten bereithält, die für den Menschen gefährlich sein können. Wie gefährlich ist es andererseits für Mensch und Tier, wenn sie, wie in Asien etwa zu dicht gedrängt miteinander leben? Stichwort Schweinegrippe, Vogelgrippe.

Das kann in der Tat sehr gefährlich sein. Aber das kann man gar nicht verhindern. In China lässt es sich zum Beispiel sehr gut zeigen, dass gerade dort, wo viele Menschen leben, auch viele Hühner und Schweine gehalten werden.

Wann werden Viren von Tieren auf Menschen und von Menschen auf Tiere übertragen?

Dass Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden, kommt immer wieder vor. Dass Viren retour von Menschen auf Tiere übertragen werden, kommt indes eher selten vor. Inzwischen hat man ja auch Fälle von Tieren nachgewiesen, die sich mit dem neuen Coronavirus infiziert haben. Wobei es eine neue spannende Infektions- Theorie gibt.

Die da wäre?

Man hat sich immer gefragt, warum das Coronavirus sich so schnell in China verbreiten konnte, und ob es vielleicht einen Zwischenwirt gibt. Nun hat man in Holland herausgefunden, dass sich auf Nerzfarmen viele Tiere über einen mit Corona infizierten Mitarbeiter angesteckt haben. Diese Nerze haben dann offenbar auch Katzen angesteckt. Und in China gibt es ja Millionen von Nerzen. Aber, wie gesagt, bei dieser Theorie handelt es sich auch um Spekulationen. Inzwischen haben ja schon, wie

gesagt, Hunde und Katzen Corona. Wie schlimm ist das?

Das ist bis jetzt weitgehend unproblematisch.

Was kann man dagegen tun?

Schweine und Hühner kann man gegen Corona impfen – aber dies ist ein anderes Coronavirus, das es, wie gesagt, schon seit Jahren gibt. Wird es noch zu einer zweiten Corona-Welle kommen? Ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass es keine zweite Welle geben wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Corona- Schutzmassnahmen wie regelmässige und gründliche Hygiene, Social Distancing und Maskentragen weiterhin diszipliniert praktiziert werden. Von Grossveranstaltungen wie Fussballspiele ist aber abzusehen. Wenn man allein sieht, wie viele Corona-Opfer es in Bergamo nach dem Championsleague- Sieg gegen Valencia gegeben hat. Da haben die Leute gejubelt und geschrien und besonders viele Tröpfchen mit Coronaviren ausgeschieden …

«Dank meiner guten Verbindungen zur amerikanischen Firma Thermofisher erhielt die Schweiz rund eine Million Corona-Tests.»

Ulrich Kihm, Epidemiologe und Veterinär-Professor «Es wird mit Sicherheit nicht die letzte Epidemie sein, die wir durchmachen müssen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.»

Der Willerzeller Virologe und pensionierte Veterinär Ueli Kihm: Die weltweite BSE-Erkrankung bei Rindern hat er erfolgreich mitbekämpft. Foto: Wolfgang Holz

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