«Diese Klugheit dürften jetzt auch die Kirchen für sich beanspruchen»
Auch Abt Urban wünscht sich die Menschen in die Kirchen zurück. Die Öffnung müsse allerdings in jedem Einzelfall verantwortbar sein.
VICTOR KÄLIN
Die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) ist beim Bundesrat mit dem Wunsch vorstellig geworden, ab dem 21. Mai die Gottesdienste wieder zuzulassen. Eine Antwort aus Bern steht noch aus. Der EA unterhielt sich mit Abt Urban Federer, der ebenfalls Mitglied der SBK ist.
Sind Sie als Abt von Einsiedeln auch für eine raschestmögliche Zulassung der Gottesdienste? Ich bin für eine baldmögliche Zulassung der Gottesdienste dort, wo es verantwortbar ist. Dazu gehört vor allem ein Schutzkonzept, das die Eigenheiten der einzelnen Gottesdiensträume mit einbezieht. Eine kleine Kirche etwa steht, was die geforderten Abstände betrifft, vor anderen Herausforderungen als ein grosser Kirchenraum. Haben Sie keine Angst, dass Gottesdienste zu einer erhöhten Ausbreitung des Corona-Virus beitragen? Die Angst ist für mich hier eine schlechte Ratgeberin. Wenn wir alles uns Mögliche tun, um eine Ausbreitung zu verhindern, müssen Menschen in einem Gottesdienst nicht mehr Angst haben als in einem Fitnesszentrum oder in einem Restaurant.
Finden Sie es als Priester ungerecht, dass man sich seit einer Woche zum Beispiel in Restaurants wieder treffen kann, in Kirchen aber nicht?
Auch die Restaurants sind nicht alle offen. Weil bei einigen entweder die Massnahmen nicht umgesetzt werden können oder sich die Kosten nicht lohnen, die zu investieren wären, ist es für einige Betreiberinnen und Betreiber klüger, ihre Restaurants später zu öffnen. Diese Klugheit dürften jetzt auch die Kirchen für sich beanspruchen. Ich glaube, viele von uns sind bereit für öffentlich gefeierte Gottesdienste. Seit Mitte März und somit seit zwei Monaten sind die Kirchen zwar offen, aber es finden keine öffentlichen liturgischen Feiern mehr statt. Wie wirkt sich dieser Umstand auf die Einsiedler Benediktinergemeinschaft aus? Als wir am Sonntag eine Probe hatten, hielten sich in der Kirche noch Menschen auf, bevor sie geschlossen wurde. Da merkte ich, wie wohltuend es ist, die Kirche nicht leer zu sehen. Wir freuen uns schon, wenn wir wieder reell mit Menschen zusammen feiern können. Die Kirche ist ja für die Menschen da, diese möchten wir wieder empfangen können.
Und wie schätzen Sie die Auswirkungen dieses Entzugs auf die Gläubigen ein? Die Stimmung, die wir aus Rückmeldungen wahrnehmen, reicht von Dankbarkeit bis hin zu Ungeduld. Auch viele Gläubige sehnen sich nach einem gemeinsam gefeierten Gottesdienst. Sie wurden aber von vielen Verantwortlichen in den Pfarreien begleitet und konnten so ihren Glauben zu Hause feiern. Ich bin den vielen Mitarbeitenden in der Kirche dankbar dafür.
Das Kloster überträgt seine Gottesdienste im Internet. Gibt es eine Resonanz? Wir bekommen regelmässig und fast ausschliesslich positive Rückmeldungen. Wenn nicht gerade etwas technisch falsch lief, melden sich Menschen zu Predigten, freien Gedanken, zum Gesang und zur guten Qualität der Übertragungen. Einige finden sogar, dass sie jetzt näher bei uns seien, als wenn sie in den Bänken sitzen.
Unser Livestream hat zudem den Vorteil, dass er nicht einen einzelnen Priester zeigt, der die Eucharistie feiert, sondern eine Gemeinschaft. So fühlen sich Zuschauende als Teil einer feiernden Gemeinschaft. Für einzelne Sonntags- oder Feiertagsgottesdienste wählen sich mindestens punktuell ein paar Tausend Personen ein. Erfreulich sind für mich die Zahlen vor allem für Feiern, die am Rande des Tages stattfinden. An der Komplet um 20 Uhr nehmen normalerweise nicht mehr als 5 Personen teil, da Pilgerinnen und Pilger Einsiedeln früher verlassen. Nun sind es jeweils zwischen 100 und 500 Menschen, die mitbeten, auch wenn sie vielleicht nur kurz dabei sind.
Auch die Klosterkirchentüren sind ja nicht geschlossen. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Leute pro Tag die Kirche für das individuelle Gebet aufsuchen? Da sich die Menschen tagsüber meist stehend bewegen und im Moment keine Pilgergruppen zu uns kommen, hatten wir bis jetzt keine Probleme wegen des Versammlungsverbots. Ich darf den Menschen, die zu uns kommen, sogar ein hohes Verantwortungsbewusstsein zuschreiben. Für unsere Verhältnisse finden im Moment sehr wenige Menschen den Weg in unsere Kirche. Dennoch sind unsere Mitarbeitenden in der Kirche instruiert und könnten intervenieren, wenn es zu Problemen käme.
Bereits das Hochfest Ostern fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nun warten die Feiertage Auffahrt und Pfingsten. Ist es für Gläubige zumutbar, auch an diesen Feiertagen auf einen Kirchgang, eine liturgische Feier, verzichten zu müssen? Gläubige Menschen halten viel aus, denn das ist Bestandteil unseres Glaubens: Ohne die Katastrophe des Karfreitags wäre es nicht zum Osterglauben gekommen, zum wirklichen Leben in und aus Gott heraus. Durststrecken prägen die biblische Botschaft ebenso wie Festmähler. Letztere wünsche ich mir allerdings bald für uns alle. Glauben Sie persönlich, dass der Bundesrat die Gottesdienste auf Auffahrt, oder dann wenigstens auf Pfingsten hin wieder zulässt?
Auf Auffahrt hin ist dies nicht mehr möglich. Das wäre ja bereits übermorgen Donnerstag. Und ich wäre positiv überrascht, wenn das aber auf Pfingsten hin der Fall wäre. Falls es so weit kommt: Werden die Kirchen dann «überrannt»? Menschen, die unsere Kirchen «überrennen» – also dieses Bild ängstigt mich gar nicht (lacht). Dann käme allerdings unser Schutzkonzept zum Tragen und wir müssen die Leute zählen. Da haben wir Gott sei Dank schon unsere Erfahrungen gemacht, bevor Gottesdienste nicht mehr öffentlich gefeiert werden konnten. In Einsiedeln sind wir gerüstet.
Seit Mitte März feiert die Klostergemeinschaft in einer ansonsten leeren Klosterkirche. Foto: zvg