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«Man muss das Sterben lernen können im Leben»

«Man muss das Sterben lernen können im Leben» «Man muss das Sterben lernen können im Leben»

Ida Schönbächler lebt in der Alterssiedlung Langrüti. Die 80-jährige Einsiedlerin ist Risikopatientin und hat wegen des Coronavirus während Wochen auf einen Gang ins Dorf verzichtet. Am meisten vermisst hat sie die Kirchgänge.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie geht es Ihnen in diesen bewegten Zeiten?

Eigentlich sehr gut. Es plagen mich zwar gerade Herzgeschichten. Aber das geht wieder vorüber. Vom Virus bin ich jedenfalls vollends verschont geblieben. Sind Sie in den vergangenen Wochen überhaupt noch aus Ihrer Wohnung gekommen? Laufen tut gut und ist wichtig. Deswegen habe ich nicht auf einen Gang rund um das Haus verzichtet, mit Hilfe von zwei Stöcken. Im Dorf war ich allerdings sechs Wochen lang nicht mehr. Am letzten Freitag bin ich wieder einmal auf die Post gegangen, um einen eingeschriebenen Brief aufzugeben. Hat jemand für Sie eingekauft?

In der Tat haben meine beiden Töchter immerzu für mich geschaut und für mich eingekauft. Das Altersheim Langrüti durfte ich ja selber auch nicht mehr besuchen. Sonntags hat mir das Heim jeweils das Mittagessen gebracht. Haben Sie sich isoliert gefühlt in Zeiten von Corona? Das Telefon wurde ganz wichtig in dieser Zeit. Dank des Telefons bin ich viel in Kontakt mit meinen Verwandten gestanden. So habe ich mich selten einsam gefühlt. Was haben Sie am meisten vermisst in dieser Zeit? Die Kirchgänge. Weil Gottesdienste und heilige Messen gab es ja nicht wegen des Coronavirus. Zum Glück bin ich mit Pater Rafael im Briefwechsel gestanden. Jeden Tag habe ich zwei Mal den Rosenkranz gebetet. Haben Sie jemals in Ihrem Leben so etwas erlebt wie diese Corona-Pandemie? Vor über fünfzig Jahren ist die Maul- und Klauenseuche im Bezik Einsiedeln ausgebrochen. Wir mussten höllisch aufpassen, dass die Kühe auf unserem Hof in Willerzell nicht die Viehseuche bekamen. Wie heute musste man sehr darauf achten, wie und wohin man sich bewegt.

Sind Ihnen Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges hochgekommen? Tatsächlich kann ich mich gut an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Wir mussten das Haus abdunkeln und die Vorhänge ziehen, wenn Fliegeralarm ausgelöst wurde. Haben Sie Angst gehabt vor einer Ansteckung durch das Virus?

Nein, man muss in dieser Frage den gesunden Menschenverstand walten lassen. Der Mensch meint immerzu, er müsse mit allen Mitteln am Leben bleiben. Dabei geht es doch darum, dass man im Leben jederzeit das Sterben lernen können soll. Wie kann man das Sterben lernen im Leben?

Seit dreissig Jahren mache ich Sterbebegleitung. Es ist sehr eindrücklich, sterbende Menschen begleiten zu dürfen. So habe ich unzählige Nächte am Bett eines Sterbenden im Spital Einsiedeln verbracht. Der eine will beten, der andere singen. Es berührt mich sehr, einem Menschen nahe zu sein, der an die Schwelle zwischen Leben und Tod tritt. Glauben Sie, dass es ein Leben gibt nach dem Tod? Oh ja, das glaube ich mit ganzem Herzen, dass es ein Leben im Jenseits gibt. Deswegen muss der Mensch auch keine Angst vor dem Tod haben. Ob hingegen das Leben hier auf Erden jemals wieder so werden wird, wie vor der Corona-Pandemie, ist schwer zu sagen. Foto: Annalies Birchler

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