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Jung – Mutter von zwei Kindern – Hochrisikopatientin

Jung – Mutter von zwei Kindern –  Hochrisikopatientin Jung – Mutter von zwei Kindern –  Hochrisikopatientin

Vor zwei Jahren bekam Sandra Reichmuth-Gretler die Diagnose PSC (chronische Entzündung der Gallenwege) und PBC (relativ seltene Autoimmunerkrankung der Leber). Das sieht man ihr nicht an, trotzdem gehört sie deshalb zur Hochrisikogruppe, die es zurzeit besonders zu schützen gilt.

ANGELA SUTER

Am 13. März 2020 wurden viele Eltern durch die Schulschliessung geschockt. Nicht so Sandra Reichmuth-Gretler aus Oberiberg: «Damals wurde mir der Entscheid abgenommen, ob ich meine Kinder aus der Schule nehmen soll, um mich zu schützen. » Schon als man von den ersten Corona-Fällen in China hörte, hatte Sandra ein mulmiges Gefühl, distanzierte sich noch etwas mehr und ging kaum noch aus dem Haus.

Schon vor dieser aussergewöhnlichen Zeit musste sie aufpassen, da für sie jeder Virus eine Gefahr ist. Die Autoimmunkrankheit bedeutet nämlich, dass das eigene Immunsystem aufgrund eines Defektes nicht mehr zwischen «Fremd» und «Eigen » unterscheiden kann und körpereigene Zellen angreift. Dadurch ist jeder fremde Virus eine zusätzliche Belastung für das Immunsystem und die angeschlagene Leber. Die Hygieneregeln sind für sie und ihre Familie nichts Neues. Es kam auch schon vor, dass sie wegen einer Erkrankung in der Familie Mundschutz und Handschuhe trug.

«Social Distance» Am 14. März änderte sich aber doch auch etwas drastisches im Leben der jungen Frau. Schweren Herzens zog ihr Lebenspartner Bruno Marty vorübergehend aus, da er weiterhin arbeiten gehen durfte: «Ich muss gehen, ich bin sonst eine Gefahr für dich!» Mit ihren beiden Kindern, Lenny (13 Jahre) und Lynn (11 Jahre), war abgesprochen, dass im Falle einer Isolation die beiden bei ihrer Mutter bleiben: «Das war für meine Kinder von Anfang an klar – sie wollten das mit mir durchziehen!» Es hätte auch die Alternative gegeben, dass sich Sandra mit ihren Eltern selbstisoliert, die aufgrund einer Vorerkrankung ebenfalls zur Risikogruppe gehören.

Die drei gingen seither nicht mehr aus dem Haus. Zahnarztkontrollen wurden verschoben, Untersuchungen und Kontrollen von Sandra ausgesetzt. Die Gefahr, sich ausser Haus anzustecken war zu gross und unberechenbar. Die Kinder achteten sogar darauf, keinen Unfall zu bauen, um einen Spitalbesuch zu vermeiden. Auch der Einkauf in einem Lebensmittelgeschäft wäre ein zu grosses Risiko gewesen, doch schnell fanden sich liebe Freunde, die die Einkäufe für die Familie tätigten. In Oberiberg lieferte regelmässig der Frauen- und Mütterverein Einkäufe vom Volg und das Amigos-Angebot der Migros nutzte sie zweimal. Auch Bruno ging oft für seine Liebsten einkaufen.

Geregelter Tagesablauf

Durch den Fernunterricht ergab sich rasch ein geregelter Tagesablauf. Morgens begannen sie mit ihren Aufgaben, jeweils unterbrochen durch kurze Bewegungspausen, wie Seilspringen oder Tennis, aber auch einfach miteinander schwatzen genossen die drei total. Lynn ist 11 Jahre alt und besucht die 5. Klasse in Oberiberg. Lenny ist 13 und besucht die 1. Oberstufe in Unteriberg, in welcher jeder Schüler sein eigenes Tablet besitzt – das machte die Umsetzung einfacher. Nach einigen Startschwierigkeiten hatte sich diese Unterrichtsform gut eingependelt.

Sandra Reichmuth-Gretler ging mehr oder weniger gewohnt ihrer Arbeit nach. So hat die Krise für sie wenigstens finanziell keine grossen Auswirkungen. Sie ist einerseits Déesse-Beraterin, aber sie bietet auch Spirituelles Heilen, Matrix (Quantenheilen), Trauer- und Sterbebegleitung an. Normalerweise in ihrem Behandlungszimmer im Haus, nun aber bietet sie nur Fernheilungen an. Beratungen führt sie telefonisch.

Freizeitbeschäftigung Auch das Zusammenleben zu Dritt spielte sich gut ein, gestritten wurde erstaunlicherweise nicht. Die Familie lebt in einem Einfamilienhaus mit genug Umschwung und gleich neben dem Grundstück fliesst die Minster.

«Zuerst hiess es zwar: ‹Mir ist langweilig …›,aber das legte sich rasch und wir fanden eine Beschäftigung », erzählt die 38-Jährige. Lynn hatte mehrere Bastelprojekte, wie zum Beispiel ein Steckenpferd, half kochen oder übte Trompete. Lenny begleitete sie mit dem Schwiizerörgeli, half im Haushalt oder arbeitete an seinem Projekt «Vogelhaus», welches er mit wenig Hilfe alleine fertigstellte. Sandra hat sehr vielseitige Interessen: Sport, Natur, Garten und Lesen medizinischer Bücher. Vielen Hobbys konnte sie auch zu Hause nachgehen. Die drei waren sehr aktiv. Jeden zweiten Tag trieben sie Sport – zum Teil mit Online-Kursen. Abends machten sie einen kleinen Spaziergang. Im Garten wurde gebrätelt und aufgeräumt. Sandra erinnert sich: «Wir haben die Kleiderschränke zusammen ausgemistet, das war sehr amüsant und hielt uns einige Stunden auf Trab!» Die Familie erlebte die Freizeit neben dem Fernunterricht ein wenig wie Ferien, einfach mit eingeschränkter Bewegungszone. Nach sieben Wochen zu Hause machten sie zum ersten Mal einen Ausflug – mit dem Auto fuhren sie etwas herum. Die Eindrücke waren enorm – singende Vögel, blühende Wiesen und Bäume und nur schon andere Menschen zu sehen. Soziale Kontakte wurden natürlich auch gepflegt! Sie führten viele Balkongespräche mit Freunden und einmal täglich unterhielten sie sich so mit den Nachbarn: «Dieser Austausch war sehr schön!» Auch mit Sandra Reichmuth-Gretlers Eltern telefonierten sie täglich über Skype. Und natürlich kam Bruno Marty vorbei. Zu Beginn zweimal in der Woche, mit der Zeit dann etwas mehr, da der Abschiedsschmerz etwas nachliess. «Aber wir wissen, warum wir das tun, es muss jetzt halt einfach sein!», erzählt die Familie. Die Familie schweisste diese schwere Zeit noch stärker zusammen und sie sind mehr denn je füreinander da. Auch sind sie mit wenig zufrieden.

Zurück zur «Normalität» Am 3. Mai ist Bruno wieder nach Hause zurückgekehrt. Er kann den Abstand beruflich wahren und schützt sich sehr gewissenhaft. Die Kinder gehen seit dem 11. Mai wieder in die Schule. Dort werden die Hygienemassnahmen auch gewissenhaft eingehalten. «Meine Kinder haben das Recht, wieder in die Schule zu gehen», ist Sandra Reichmuth- Gretler optimistisch. Sie hätten schon ein mulmiges Gefühl, doch für die Kinder sei der soziale Kontakt wichtig. Sandra wird auf ihr Bauchgefühl hören und allenfalls zu Hause selber eine Schutzmaske tragen.

Da man Sandra Reichmuth- Gretler ihre Krankheit nicht ansieht, waren die Reaktionen auf ihre totale Isolation nicht nur positiv: «Es kamen auch Reaktionen, die mich sehr getroffen haben … Von wegen, ich soll doch nicht so ein Theater machen.» Die Situation ist für ,die Familie noch etwas schwieriger, da die Kinder 2009 bereits ihren Vater an Krebs verloren haben. Trotz aller Widrigkeiten schaut Sandra positiv in die Zukunft: «Ich stärke mein Immunsystem mit Naturprodukten, wir achten besonders auf Hygiene und hoffen, dass sich die Gesellschaft solidarisch mit den Risikogruppen auch an die Abstands- und Hygieneregeln hält. Risikopatienten erkennt man nämlich nicht immer von blossem Auge …

«Wir hoffen, dass sich die Gesellschaft solidarisch mit den Risikogruppen auch an die Abstandsund Hygieneregeln hält. Risikopatienten erkennt man nämlich nicht immer von blossem Auge …»

Sandra Reichmuth-Gretler

«Wir sind überglücklich und dankbar, dass wir wieder zusammen sind! Wir bedanken uns bei allen, die uns unterstützten, und für die vielen schönen Aufmerksamkeiten. Danke an alle, die für uns da waren und noch sind»: Sandra Reichmuth-Gretler, Bruno Marty mit Lenny (13 Jahre) und Lynn (11 Jahre).

Lenny bastelte in Eigenregie ein Vogelhaus von A bis Z. Da werden die Vögel im kommenden Winter ihre wahre Freude haben.

Bruno Marty besuchte seine Familie zuerst zweimal in der Woche, später auch häufiger und sie führten »Balkongespräche».

Sandra Reichmuth-Gretlers Lebensmotto lautet: «Lebe im Jetzt und Hier!» Fotos: zvg

Da Lynn jetzt nicht reiten gehen konnte, wurde halt im Pferdelook gekocht! Oder sie bastelte sich selber ein Steckenpferd.

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