«Die reformierte Kirchgemeinde hat keinen schlechten Stand in Einsiedeln»
Die reformierte Schwyzer Kirche im Fokus – Kirchenratspräsident Heinz Fischer und Dekan Klaus-Henning Müller stehen Red und Antwort
Die Schwyzer kehren den Landeskirchen den Rücken. Obwohl auch der reformierten Kirche die Schäfchen davonlaufen, lässt sich diese nicht unterkriegen. Neue Formen halten Einzug, Fusionen werden nicht ausgeschlossen.
MAGNUS LEIBUNDGUT
In der Kirchgemeinde Einsiedeln steigt die Zahl der Mitglieder laufend an: Haben Sie eine Erklärung dafür? Klaus-Henning Müller: Im Kanton Schwyz sind rund zehn Prozent der Bevölkerung reformiert. Dieser Anteil ist relativ stabil. Da, wo es bisher sehr wenig Reformierte gab, wie eben in Einsiedeln, gleicht sich das durch Wanderungsbewegung innerhalb der Schweiz aus. In extremen Diaspora- Orten ziehen reformierte Neuzuzüger hin. In traditionell reformierten Hochburgen wie Bern, Basel und Zürich sinken die Zahlen.
Wie können Kirchgemeinden Beziehungen zu Neuzuzügern aufbauen?
Müller: Wir versuchen auf die Menschen zuzugehen, zum Beispiel schicken Kirchgemeinden Neuzuzügern einen Brief, in dem wir mitteilen, was wir alles anbieten. Wir haben auch schon versucht, Neuzuzüger zu einem Begrüssungsanlass einzuladen. Das hat nicht so richtig funktioniert, da war gar kein Bedürfnis da. Grundsätzlich sind persönliche Kontakte zu den Kirchbürgern ganz wichtig.
Wie gestaltet sich Seelsorge in Zeiten von Corona? Wie hat sie sich verändert? Müller: Wir sind Mitte März ins kalte Wasser gestossen worden, als wegen des Coronavirus Gottesdienste in den Kirchen verboten wurden. Wir haben jetzt in allen Kirchgemeinden Online-Gottesdienste im Internet. Zum Teil wird gestreamt, meistens sind es abrufbare Videos oder Whats-App-Gottesdienste, die angeschaut werden können – als Ersatz für den Sonntagsgottesdienst. Ältere Leute, die nicht so internet-affin sind, erreichen wir via Telefonkette und fragen persönlich nach, wie es ihnen geht. Die Seniorinnen und Senioren leiden auch am meisten unter der Isolation.
Wird sich die Kirche auch nach der Corona-Krise vermehrt auf elektronische Kanäle verlagern? Müller: Ja, wir glauben fest daran, dass die Uhr nicht zurückgedreht werden kann. Wir können und wollen nicht so tun, als wäre nichts passiert. Ich rechne damit, dass nach dem 9. Juni Gottesdienste in den Kirchen wieder möglich werden – wenn auch in eingeschränktem Masse.
Heinz Fischer: Neue elektronische Formen wie Streaming und Videoaufzeichnungen werden uns vermutlich weiterhin begleiten. Es gibt weitere verschiedene Möglichkeiten, mit der Bevölkerung in Kontakt zu sein. Kürzlich hat ein Konfirmandenlager in einer Kirchgemeinde in virtueller Form stattgefunden – mit E-Mails, WhatsApp, Video-Telefonie und mehr; spontane Veränderungen – das eine oder andere Tool daraus wird sicherlich auch künftig eingebunden.
Haben Sie aus theologischer Sicht eine Erklärung für dieses Virus, eine Einschätzung für diese Heimsuchung? Entspricht das Virus einer der zehn biblischen Plagen, die über die Welt hereinbrechen?
Müller: Ein Virus ist genauso ein Bestandteil unserer Lebenswelt wie alles andere auch. Das gehört mit zur Schöpfung. Das ist nicht einfach nur negativ. Was ich als stark negativ empfinde, ist die Angst, die gemacht wurde – bewusst auch von den Medien. Diese sind ihrer Verantwortung nicht immer gerecht geworden. Das Virus fordert die Menschen heraus, neue Wege zu finden. Entwicklungsgeschichtlich gehören Viren und Bakterien dazu. Wir können – theologisch betrachtet – nie zu einem Teil der Schöpfung Ja sagen und zum anderen Nein. Wir müssen alles annehmen.
Hat sich die Seelsorge an sich verändert in der letzten Zeit? Müller: Ja. Der Megatrend zur Individualisierung geht unablässig weiter. Unsere Grossveranstaltungen, die Fertigprodukte der Kirche, werden immer weniger nachgefragt. Wir sind durch die Individualisierung sehr herausgefordert, weil es sehr zeitintensiv ist, die Menschen einzeln zu betreuen. Ich empfinde es als sehr positiv, dass auch Kirchendistanzierte sehr gerne mit dem Pfarrer reden. Die individuelle Seelsorge ist auch wichtig. Das Problem ist, dass wir gar nicht die Kapazität haben, präsent zu sein für jedes Individuum. Die traditionellen Sonntagsgottesdienste werden demgegenüber weniger geschätzt und stehen bei der jungen Generation gar nicht mehr hoch im Kurs.
Wird just in der Spitalseelsorge spürbar, dass die Leute einen anderen Umgang mit dem Tod und dem Sterben haben als in früheren Zeiten? Müller: Die Generation der Hochbetagten, die in den 20er- und 30er-Jahren noch traditionell kirchlich sozialisiert worden ist, ist mit einem Gefühl sehr stark aufgewachsen: Gott gibt und Gott nimmt. Sterben, Krankheit, Leiden, Elend gehören zum Leben dazu. Man hat das als normal empfunden. Nun leben wir gerade in der Schweiz seit 1945 in einer Zeit, in der keine grossen Krisen und schlimme Einbrüche mehr passiert sind. Dieser Erfahrungshorizont von Leid, Not und Krankheit. Die Erwartungshaltung bei der Generation der bis 50-Jährigen ist: «Mir muss es bis zum letzten Lebenstag immer gut gehen.» Fischer: Apropos Individualisierung: Jeder will, dass es ihm gut geht – und dies ohne Rücksicht auf den Rest der Gruppe oder auf den Rest der Gesellschaft.
Wie geht es den Pfarrpersonen in diesen Zeiten? Müller: Es ist eine sehr angespannte Zeit für uns als Seelsorger und Pfarrpersonen. Einerseits können wir unserem Beruf, unserer Arbeit nicht mehr im Normalen nachgehen. Andererseits war es vor allem am Anfang der Corona- meinsam im reformierten Glauben verbunden sein und da und dort durch gemeinsame, bezirksübergreifende oder kantonsweite Projekte und Aktivitäten stärken und fördern.
Wie sieht das Verhältnis zwischen Kirche und Politik aus? Inwiefern leitet sich aus der Religion auch eine Politik ab? Fischer: Im letzten Jahr haben wir das eindrücklich erlebt mit dem Thema «Ehe für alle»: Es führte zu grösseren Diskussionen schweizweit und schliesslich auch zu einer Abstimmung in der Abgeordneten- Versammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), der seit dem 1. Januar 2020 Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) heisst. Es werden neue Themen aufkommen, und erneut werden wichtige Fragen gestellt werden, wo und wie die Mitgliedkirchen (Kantone) und Kirchgemeinden mehr oder weniger aktiv mitdiskutieren und sich einbringen. Müller: Ich sehe es als Pfarrer etwas kritischer: Ich bin der Meinung, dass sich unsere Kirche zu weit in die Politik hineinbegibt. Das ist meiner Meinung nach nicht unser Kerngeschäft: Dieses wäre eher die Frage nach Gott wach zu halten, dass wir Menschen uns nicht vor dieser Frage drücken können, nach Gott zu fragen – wie immer auch die Antwort aussehen wird. Wenn wir uns politisch zu einseitig positionieren – was aus meiner Sicht manchmal durchaus der Fall ist – dann verlieren wir unser Gewicht in den Glaubensfragen. Das ist unser Kerngeschäft – und das sollte auch so bleiben. Wie sieht das Verhältnis zwischen Reformierten und Katholiken Krise eine sehr starke Arbeitsbelastung. Es musste alles umgestellt werden auf die Online-Möglichkeiten. Da sind wir keine Profis – da sind wir wirklich ins kalte Wasser geworfen worden. Es ist auch psychisch für viele Pfarrpersonen eine grosse Belastung, weil sie mit den Menschen, die ihnen so am Herzen liegen, nicht mehr so gut in Kontakt treten können. Im Mai/Juni wären die Konfirmationen geplant gewesen, das wichtigste Fest für Jugendliche und ihre Familien in unserem Kirchenjahr: Das fällt nun ins Wasser, und das tut schon weh; es bedrückt auch, weil die Familien schon länger Vorbereitungen getroffen haben.
In der katholischen Kirche sind Seelsorger oftmals in Gefahr auszubrennen. Sind auch reformierte Pfarrer von Burnout betroffen? Müller: Ja, in der reformierten Kirche besteht die Gefahr auch. Wer Pfarrer oder Pfarrerin wird, hat in der Regel einen sehr hohen Anspruch, eine sehr hohe Erwartungshaltung an sich selbst. Man will für die Menschen da sein, will etwas bewirken. Man will den Menschen Liebe, Trost und die Verkündigung des Evangeliums bringen. Und man wird als Pfarrer in der Praxis mit sehr vielen Rückschlägen konfrontiert. Just die Individualisierung in der Gesellschaft bedeutet für die Pfarrpersonen eine sehr viel höhere Arbeitsbelastung: Eine Hochzeit vorzubereiten ist im Vergleich etwa wie vor fünfzig oder hundert Jahren heute ein Riesen-Event. Der Arbeitsaufwand, der Druck steigt für die Pfarrer: Und das führt nicht selten zum Burnout.
Können Sie erläutern, was das Reformiert-Sein in der Region bedeutet? Fischer: Die reformierte Schwyzer Kantonalkirche besteht aus sechs Kirchgemeinden. Die Kirchgemeinden geniessen eine grosse Autonomie – von der Verfassung und Reglemente her gewährleistet. Dies bedeutet: Die Kirchgemeinden können das lokale Reformiert-Sein in ihrer Region unterschiedlich ausleben. Reformiert- Sein heisst, diese Unterschiedlichkeiten ausleben – ge- aus?
Müller: Wir werden als kleine Kirche vom Kanton Schwyz aus auf Augenhöhe mit der katholischen Kirche gesehen und wahrgenommen. Wir sind gleichberechtigt mit den Katholiken im Kanton. Auch die Katholiken selber behandeln uns auf Augenhöhe. Auch im Klosterdorf: Die reformierte Kirchgemeinde hat keinen schlechten Stand in Einsiedeln.
Wie ist es um die Ökumene bestellt im Kanton Schwyz? Müller: Das ist kein einfaches Feld, weil traditionell gab es die Reformierten im Kanton Schwyz gar nicht: Wir hatten einen sehr schwierigen Start. Früher wurden reformierte Schüler in der Klasse zur Seite gestellt und hatten es als Einzelne schwierig. Wir haben uns aber nach vorne gekämpft und werden heutzutage zum grossen Teil auf Augenhöhe wahrgenommen. Aber ich erlebe auch sehr grosse Spannungen zwischen den einzelnen katholischen Kirchgemeinden selber: Man ist katholischerseits sehr mit sich selbst beschäftigt. Die einen Gemeinden sind nach Chur ausgerichtet, die anderen wollen sich am liebsten abnabeln von Chur. Da fallen wir manchmal herunter am Rand.
Finden Sie, die reformierte Kirche stehe im Kanton Schwyz im Gegenwind?
Müller: Seit Anfang an, seit Jesus Christus, steht die Kirche im Gegenwind. Da, wo sie das Evangelium ernst nimmt, kann das auch gar nicht anders sein. Ich habe Mühe damit, dass in der Schweiz das politische Paradigma «Trennung von Kirche und Staat» auf alle Fahnen geschrieben wird – obwohl es unsinnig ist: Das erschwert uns das Leben an vielen Stellen sehr. In der Schule wird es immer mühsamer, Klassenlisten zu erhalten, vernünftige Unterrichtsräume und -zeiten zu bekommen. Da spüren wir mächtigen Gegenwind seitens von Vertretern in der Politik, die finden, Kirche sei nur noch Hobby und Freizeit – und eigentlich brauche es die Kirche gar nicht mehr: Der Staat braucht keine Kirche.
Woher kommt die Idee, Kirche und Staat seien zu trennen? Müller: Das ist so eine politisch fixe Idee, die ursprünglich aus dem Marxismus kommt. Diese Idee ist realitätsfern, weil es geht am Schluss ja immer um den Bürger. Unser Bürger ist ein politischer Mensch, der ist Kirchenmitglied, ist Mitglied im Turnverein. Da sind dieselben Menschen. Wir können ja die Menschen nicht einfach durchschneiden. Darum müssen wir auch gemeinschaftlich zum Wohle der Bürger handeln. Das äussert sich auch darin, dass es am Schluss um die Kinder geht. Zum Wohle der Kinder ist es dann, wenn sie in der Schule Religionsunterricht, Sport und Fremdsprachenunterricht erhalten können. Das kann man nicht durchtrennen.
Im Bistum Chur wäre man nicht unfroh, wenn es zu einer Trennung von Kirche und Staat käme. Gibt es in der reformierten Kirche auch Gruppierungen, die diese Trennung befürworten? Müller: Das ist ganz klar nicht reformiert. Das ist dann das ganz andere Spektrum, wo es ganz evangelikal wird. Es ist ein Irrglauben, als Christ, als Frommer oder Freikirchlicher zu glauben, man sei etwas ganz Besonderes. Denn da ist der Staat egal, da hält man sich auch nicht an staatliche Regelungen: Was sollen diese Anweisungen zur Covid-19-Pandemie, da muss man sich nicht daran halten, man glaubt ja nur an Gott. Das ist aber überhaupt nicht Evangeliums-gemäss: Wir müssen als Gesellschaft die Probleme gemeinsam lösen. Bleiben die Evangelikalen Mitglied in der Landeskirche?
Müller: Das ist wieder ein Generationenwechsel. Früher waren die Evangelikalen doppelt Kirchenbürger: Sie waren einerseits Mitglied in einer Kirchgemeinde und parallel dazu gleichzeitig in einer Freikirche. Heute ist die Tendenz, dass sich die Evangelikalen von der reformierten Kirche abnabeln und nur in der eigenen freikirchlichen Gemeinde zu Hause sind – vor allem bei den Jüngeren ist dies der Fall.
Kennen Sie die Gründe der Leute für ihren Austritt aus der reformierten Landeskirche? Müller: Was fehlt, ist die Bindung. Ganz selten tritt jemand aus Protest aus der Kirche aus. Selbst das positive Votum für «Ehe für alle» war nicht Anlass für eine Austrittswelle. Es gibt nichts Schreckliches, was bei uns passiert wäre. Vielmehr steht die Bindungslosigkeit im Fokus. Gerade Jüngere stellen sich die Frage: Wofür braucht es die Kirche? Unser Problem ist heute zu zeigen, wofür die reformierte Kirche wichtig ist.
Moniert wird, die Tradition der christlichen Religion werde heutzutage nicht mehr an die kommenden Generationen weitergegeben. Wie kann die Kirche diesem Umstand entgegenwirken?
Müller: Das kann sie nicht. Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Wir müssen versuchen – das ist unsere Kernkompetenz – die Botschaft von Jesus Christus in die jeweilige Zeit zu übersetzen. Wir müssen zeigen, dass Kirche nicht Tradition ist. Zu dieser gehört zwar die Sprache dazu: Aber was wir in dieser Sprache sagen, das kann ganz anders und ganz modern sein. Wir müssen den Leuten zeigen, dass das Thema, sich mit Gott auseinanderzusetzen und wofür wir Menschen verantwortlich sind, aktuell bleibt. Die Sprache kann sich ändern, das Thema selbst wird nie altmodisch.
Beobachten Sie, dass die christliche Religion in Zeiten der Säkularisierung verdunstet? Müller: Der normale Sonntagsgottesdienst mit Orgel und alten Liedern wird es schwer haben in der Zukunft. Da ist die reformierte Kirche der katholischen schon einen oder zwei Schritte voraus. Doch die religiösen Fragen bleiben: Woher kommt das Leben, wer bin ich als Mensch, gibt es Gott oder gibt es Gott nicht.
Hat die reformierte Kirche ein Profil? Müller: Profil ist für mich etwas Äusserliches. Da tut sich die reformierte Kirche in der Tat schwer, weil sie nach aussen hin schlecht erkennbar ist: Wir haben keinen Bischof, keinen medienwirksamen Papst. Wir können nicht so schöne, grosse Veranstaltungen wie eine Papstmesse bieten. Wir müssen immer wieder auf die Inhalte hinweisen: Diese an den Mann zu bringen ist schwierig in unseren Zeiten. Viele Menschen sind derzeit komplett überlastet mit dem alltäglichen Leben. Der Mensch muss immer zuerst essen, trinken, arbeiten, Geld verdienen. Und dann bleibt vielleicht noch Zeit für die tiefen Fragen des Lebens.
Wie reagiert die reformierte Schwyzer Kirche auf die tieferen Mitgliederzahlen? Fischer: Wir sind jetzt 21 Jahre alt, haben in dieser Zeit Strukturen aufgebaut und im vorletzten Jahr zum ersten Mal eine Strategieplanung verabschiedet, in die Personen aus Exekutive und Legislative miteinbezogen werden. Ende Juni wäre die Frühlings-Synode mit Gesprächs-Synode geplant, an der erste Massnahmen abgeleitet hätten werden sollen. Voraussichtlich wird diese Synode gekürzt und die Gesprächs- Synode eventuell auf August/September verschoben. Zur Diskussion stehen Fragen zu den Strukturen unserer Kirche und zu unserem weiteren Weg – gemeinsam wissend der Unterschiedlichkeiten unserer Regionen. Wo gibt es Synergien, die wir besser nutzen können und müssen? Welche Änderungen können nachhaltig sein? An welchen Stellen gilt es prioritär anzusetzen?
Könnte es zu Fusionen von Kirchgemeinden kommen? Fischer: Theoretisch ja. Im Fokus steht die Frage, wie können wir uns laufend reformieren, uns hinterfragen.
Müller: Wir sind stolz auf unsere Schwyzer Kantonalkirche, weil wir sehr modern aufgestellt sind – viel moderner etwa zum Beispiel als die Zürcher Landeskirche. Wir haben nicht in jedem Dorf eine Kirchgemeinde, sondern Bezirkskirchgemeinden. Dadurch haben wir nicht so hohe Altlasten mit Unmengen an Kirchgebäuden. Wir sind schon sehr zentral organisiert und haben eine gute Zusammenarbeit zwischen den Kirchgemeinden.
Kann das heissen, dass die Kirchgemeinden in Ausserschwyz verstärkt mit der Gemeinde in Einsiedeln zusammenarbeiten werden?
Müller: Das ist eine Option. Einsiedeln wurde ja schon einmal ursprünglich von einer Pfarrperson aus Ausserschwyz betreut. Traditionell ist ja Einsiedeln mit den Höfen sehr stark verbunden.
Gibt es so etwas wie eine Schmerzgrenze bei der Mitgliederzahl, bei deren Unterschreiten die Kirche reagieren müsste? Fischer: Handeln müssen wir so oder so – unabhängig von der Anzahl der Mitglieder. Wir sind jetzt 18’000 Mitglieder und eine kleine Kantonalkirche. Die Zahl ist für mich weniger relevant als unsere Strukturen und unser Weg, den wir gehen. Welche Herausforderung stellt sich für die Schwyzer Landeskirche in Zukunft?
Müller: Uns fehlt leider der Nachwuchs bei den Pfarrern sowie in den Bereichen Diakonie und Katechetik. Wir müssen den Beruf in der Kirche wieder populär machen. Es ist eine schöne und interessante Arbeit an einem sicheren Arbeitsplatz. Im Moment liegt dies karrieretechnisch für die junge Generation ganz fern. Hinzu kommt die Herausforderung, wie wir die Aufmerksamkeit der Menschen erreichen können in einem globalen Medienmarkt: Wie können wir es schaffen, dass die Menschen unsere Botschaft hören können. Da können wir nicht weitermachen wie bisher, da müssen wir neue Wege suchen.
Wird die Welt, das Leben anders sein nach diesem Virus? Müller: Nein, die Welt ist dieselbe seit der Schöpfung. Wir müssen uns weiterentwickeln, da führt kein Weg daran vorbei. Die Kirche muss immer wieder Schritte nach vorwärts machen. Selbst wenn es die reformierte Kirche in der heutigen Form nicht mehr geben wird: Es wird etwas anderes geben, da habe ich keine Bedenken. Es ist eher unser eigener Blick auf die Welt, der sich ändert als die Welt selber. Ich halte diese Corona-Krise für völlig überschätzt.
In der Offenbarung des Johannes, der Apokalypse, ist vom Untergang der Welt die Rede: Sind wir nahe an diesem Punkt? Müller: In der reformierten Kirche ist das kein Thema in dem Sinne, dass die Apokalypse demnächst kommt. Im Jahr 1000 und um das Jahr 1500 herum gab es Weltuntergangsvisionen, Annahmen, dass die Welt bald untergehen könnte mit der Pest oder anderen Epidemien. Für mich ist das eine Selbstüberschätzung, dass wir Menschen die Zeichen der Zeit deuten könnten. Gott lenkt die Zeit, er gibt die Zeit. Es ist nicht an uns zu sagen, wann das Ende kommt. Da ist mir der Spruch von Luther lieber: Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich einen Apfelbaum pflanzen. Wir machen einfach weiter, wir sind für die Menschen da, für die Gemeinde.
Klaus-Henning Müller
ml. Klaus-Henning Müller ist am 23. Juni 1960 in Berlin geboren und aufgewachsen. Er hat Theologie studiert und ist Dekan und Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Höfe. Zu den Hobbys von Klaus-Henning Müller gehören Wandern und Heimwerken. Er ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und lebt in Pfäffikon.
Heinz Fischer
ml. Heinz Fischer ist am 23. Juni 1963 in Frauenfeld geboren und aufgewachsen. Er ist Betriebsökonom FH und hat die Fachhochschule Wirtschaft in St. Gallen besucht. Heinz Fischer arbeitet in Zürich als internationaler Versicherungsbroker für grosse Industrieunternehmen. Zu seinem grossen Hobby gehört Tennis. Heinz Fischer ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Küssnacht am Rigi.